Abschied vom Kapitalismus? Was die Klimawende wirklich kosten müsste
Der Kapitalismus ruiniert Klima und Umwelt - "grünes Wachstum" soll die Rettung sein. Wirtschaftsexpertin Ulrike Herrmann erklärt in ihrem Essay, warum wir stattdessen "grünes Schrumpfen" brauchen.
Auf Rügen regt man sich über das "Monster-Terminal" auf, das im Industriehafen Mukran errichtet werden soll. Auch ein Besuch von Kanzler Scholz konnte die Wogen nicht glätten. Die Bundesregierung glaubt, dass dieses neue Terminal nötig sei, um Ostdeutschland mit Flüssiggas zu versorgen. Denn aus Russland kommt ja kein Gas mehr, seitdem die Pipeline Nord-Stream-1 zerstört wurde. Doch dieses Argument überzeugt viele Rügener nicht. Die Hoteliers fürchten um ihren Tourismus und die Naturschützer um den Greifswalder Bodden. Klima-Aktivisten wiederum bezweifeln, dass dieses "Monster-Terminal" überhaupt gebraucht wird, weil Deutschland auf Ökostrom umstellen will.
"Monster-Terminal": Hoteliers tun so, als wäre Rügen ein einziges Naturparadies
Die Wut ist verständlich, und trotzdem überrascht der scharfe Protest. Die Hoteliers tun so, als wäre Rügen ein einziges Naturparadies. Doch haben sie nichts dagegen, wenn permanent weitere Flächen versiegelt werden, um neue Bettenburgen und Ferienhäuser zu errichten. Der Protest entzündet sich erst, wenn Umwelt zerstört wird, ohne dass sie davon profitieren.
Anders als jetzt behauptet wird, wäre das Gas-Terminal nicht das "größte Infrastrukturprojekt" auf Rügen. Das größte Mega-Projekt steht gleich am Eingang zur Insel und heißt "Rügenbrücke". Sie ist unglaubliche 127,75 Meter hoch und vier Kilometer lang. Außerdem fräst sich dahinter eine breite Bundesstraße bis nach Sassnitz und nach Binz. Diese Monster-Brücke wurde direkt neben der zauberhaften Altstadt von Stralsund errichtet und ist weitaus höher als die gotischen Kirchtürme. Doch diese Verschandlung der Stadtsilhouette wird klaglos hingenommen und zum "Wahrzeichen Stralsunds" verklärt.
Begeistert wird mit Rekorden geprahlt: Der "Jahrhundertbau" sei die "größte Schrägseilbrücke" Deutschlands und zugleich die längste Brücke in der Bundesrepublik, noch länger als die Köhlbrandbrücke in Hamburg. 22.000 Tonnen Stahl und 180.000 Tonnen Beton wurden verbaut. Bis zu 30.000 Fahrzeuge passieren täglich diese Brücke und transportieren ihre Abgase und ihren Lärm bis in den letzten Winkel der Insel. Das wird toleriert. Aber ein Flüssiggas-Terminal in einem Industriehafen, das ist zu viel.
Ökostrom wird knapp und teuer bleiben: Offizielle Klimaziele nicht mit Realität verwechseln
Bleibt das Argument der Klimaschützer, dass dieses Terminal gar nicht gebraucht würde, weil Deutschland auf Ökostrom umstellen will. Diese Aussage ist erst einmal richtig. Wenn sich die Bundesrepublik komplett durch Sonne und Wind versorgt, wären die geplanten Flüssiggas-Kapazitäten auf Rügen überflüssig. Das entscheidende Wort ist jedoch "wenn". Es ist keineswegs ausgemacht, dass es Deutschland gelingt, vollständig aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen und auf Ökostrom umzurüsten. Man darf die offiziellen Klimaziele nicht mit der Realität verwechseln. Papier ist bekanntlich geduldig.
Zwei Zahlen reichen, um die Herausforderungen zu verdeutlichen: 2022 hat die Windenergie ganze 5,3 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs abgedeckt, Solarpaneele kamen auf nur 2,9 Prozent. Zudem genügt es nicht, nur Windräder und Solarpaneele zu installieren. Wie jeder weiß, scheint die Sonne nicht immer, und auch der Wind bleibt häufig aus. Um für Dunkelheit und Flauten vorzusorgen, muss sehr viel Strom gespeichert werden. Batterien und grüner Wasserstoff sind jedoch aufwendig, nicht billig.
Schon diese kleine Skizze zeigt, dass Ökostrom knapp und teuer bleiben wird. Außerdem wird gern vergessen, dass die Flächen in Deutschland gar nicht reichen, um genug grüne Energie zu produzieren. Es wird geschätzt, dass wir 40 Prozent aus fernen Ländern importieren müssen - was richtig teuer wird.
Zunächst mag es verwundern, dass Ökoenergie aus der Sahara kostspielig sein soll. Denn die Sonne scheint dort fast immer, sodass eine Kilowattstunde Wüstenstrom nur einen Cent kostet. Das ist sagenhaft billig und würde jeden deutschen Haushalt erfreuen. Bei dieser Kalkulation wird jedoch vergessen, dass der Saharastrom erst einmal nach Deutschland gelangen muss. Und das wird schwierig. Hochspannungsleitungen scheiden aus, weil sie viel zu teuer wären. Daher muss der Strom zunächst umgewandelt werden, um transportfähig zu sein. Am besten wäre wohl, synthetische Kraftstoffe wie etwa Öko-Kerosin zu produzieren, die sich mühelos nach Deutschland verschiffen ließen. Diese schöne Idee hat nur einen Nachteil: Synthetische Kraftstoffe wären bis zu 40 Mal so teuer wie fossiles Öl oder Gas.
Die Illusion des "grünen Wachstums"
Es wird also mühsam, fossile Brennstoffe komplett durch Ökostrom zu ersetzen. Und damit sind wir zurück beim Gas-Terminal auf Rügen. Kanzler Scholz ist Realpolitiker. Er weiß, dass die deutsche Wirtschaft jederzeit Energie braucht. Die implizite Botschaft ist allerdings auch klar, die mit dem geplanten Terminal einhergeht: Klimaschutz hat nicht die höchste Priorität. Falls der Ökostrom nicht reicht, wird eben fossiles Gas importiert.
Die Klimaschützer haben recht, wenn sie gegen diese Realpolitik protestieren und darauf beharren, dass deutsche Gesetze eingehalten werden. Nur zur Erinnerung: Deutschland hat ein Klimaschutzgesetz, das vorschreibt, dass die Bundesrepublik bis 2045 klimaneutral sein muss. Dieses Gesetz wurde übrigens nicht von den Grünen verabschiedet, sondern von der letzten Regierung Merkel. Auch die CSU hat dafür gestimmt, was in Bayern jetzt gern vergessen wird.
Es ist Amtsmissbrauch, wenn Kanzler deutsche Gesetze missachten. Und trotzdem ist diese Kritik wohlfeil. Denn die Wähler und Wählerinnen erwarten ja, dass jederzeit billige Energie im Überfluss zu haben ist. Dieser Wunsch ist jedoch mit Öko-Energie nicht zu erfüllen. Diese bittere Realität ist bei den meisten Deutschen noch nicht angekommen. Das Wahlvolk hängt der Illusion an, dass "grünes Wachstum" möglich sei. Doch tatsächlich läuft es auf "grünes Schrumpfen" hinaus, weil der Ökostrom nicht reichen wird, um unseren riesigen Kapitalismus samt Wachstum zu befeuern.
Wie würde eine klimaneutrale Wirtschaft aussehen?
Es ist kein neuer Gedanke, dass permanentes Wachstum keine Zukunft hat. Viele Klimaaktivisten sind längst überzeugt, dass die Natur nur überleben kann, wenn der Kapitalismus endet. Also haben sie den Slogan geprägt: "system change, not climate change".
Übrigens muss niemand befürchten, dass wir "wieder in der Steinzeit landen" und "in Höhlen wohnen" würden, wenn wir echten Klimaschutz betreiben. Selbst wenn wir auf die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung verzichten würden, wären wir immer noch so reich wie 1978. Wer damals schon gelebt hat, weiß: Wir waren so glücklich wie heute.
Eine ökologische Kreislaufwirtschaft wäre also möglich, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt. Doch wird diese Vision meist mit dem Weg verwechselt. Das Ziel soll zugleich der Übergang sein. Nur selten wird gefragt, wie man aus einem wachsenden Kapitalismus aussteigen soll, ohne eine schwere Wirtschaftskrise zu erzeugen und Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken.
Um sich dieses "grüne Schrumpfen" vorzustellen, hilft es, vom Ende her zu denken. Wenn Ökostrom knapp bleibt, sind Flugreisen und private Autos nicht mehr möglich. Banken werden ebenfalls weitgehend obsolet, denn Kredite lassen sich nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft wächst.
In einer klimaneutralen Wirtschaft würde niemand hungern - aber Millionen von Arbeitnehmern müssten sich umorientieren. Investmentbanker oder Flugbegleiter wären überflüssig, dafür würden sehr viele Arbeitskräfte benötigt, um Windräder und Solarpaneele zu installieren, Wärmepumpen einzubauen, Häuser zu dämmen oder Elektrolyseure für den grünen Wasserstoff zu errichten.
Wir müssen über das Ende des Kapitalismus nachdenken
Immerhin gibt es ein historisches Modell, das als Orientierung für dieses "grüne Schrumpfen" taugen könnte: die britische Kriegswirtschaft ab 1939. Damals standen die Briten vor einer monströsen Herausforderung. Sie hatten den Zweiten Weltkrieg nicht wirklich kommen sehen und mussten nun in kürzester Zeit ihre Wirtschaft komplett auf das Militär ausrichten, ohne dass die Bevölkerung hungerte.
Es entstand eine private und demokratische Planwirtschaft, die bemerkenswert gut funktionierte. Die Eigentümer behielten ihre Fabriken, aber der Staat steuerte die Produktion - und verteilte die knappen Güter. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert.
Bei Häufung von Dürren: Wer erhält das knappe Wasser?
Heute leben wir noch in einer Überflussgesellschaft, sodass die Idee fremd wirkt, dass staatliche Planung und Rationierung nötig sein könnten. Doch erste Zuteilungen sind schon abzusehen - vor allem beim Wasser. Dürren und Hitzeperioden werden sich häufen, und sobald die Niederschläge ausbleiben, wollen alle wissen, wer das knappe Wasser erhält: die Haushalte, die Landwirtschaft oder die Industrie?
Wenn wichtige Güter rar und teuer werden, kann allein der Staat für eine gerechte Verteilung sorgen. Der "Markt" hilft nicht weiter, weil nur die Reichen das nötige Geld hätten, um sich einzudecken.
Es ist ein weiter Sprung, über das Ende des Kapitalismus nachzudenken, wenn es anfangs doch nur um ein Gas-Terminal auf Rügen ging. Doch das Lokale und Globale gehören zusammen. Wer den dauerhaften Import von fossilem Gas kritisiert, muss auch erklären, wie unsere Gesellschaft funktionieren soll, wenn es nur noch Ökostrom geben soll. Denn dann wird Energie knapp - was das Ende des Kapitalismus bedeutet.