Neue Offenheit? Fehlerkultur im Journalismus
Die Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche ist das Treffen der deutschen Rechercheure. Es geht um das eigene Handwerk, um Recherchemethoden und die Suche nach brisanten Informationen in Datenbergen. Die Journalisten diskutieren bei dieser Gelegenheit aber auch, wie zuverlässig ihre Veröffentlichungen sind, wie hysterisch.
Groß diskutiert in diesem Jahr: die sogenannte BAMF-Affäre. Die hatten etwa NDR, Radio Bremen und "Süddeutsche Zeitung", aber auch der "Spiegel" 2018 groß berichtet - übrig geblieben vom Vorwurf, in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge seien Asylanträge vermutlich im großen Stil und vielleicht sogar mit krimineller Energie einfach durchgewunken worden, eher wenig.
"Unsere Berichterstatttung war nicht falsch"
"Es gab immer wieder Leute, die gesagt haben, korrigiert endlich eure Berichterstattung, eure Berichterstattung ist falsch gewesen. Nein, unsere Berichterstattung war natürlich nicht falsch", kontert Christine Adelhardt aus der NDR-Investigation. Zusammen mit einem Kollegen des "Spiegel" erklärt sie die Hintergründe ihrer Veröffentlichungen. Der wichtigste Punkt der beiden Rechercheure: Alles basierte auf einer Selbstanzeige der Behörde und anschließenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Adelhardt ist aber auch selbstkritisch: So hätten sie und ihre Kollegen "natürlich auch unter dem Druck gestanden, dass man auch zu einem Konkurrenzverhältnis zu anderen steht". Rückblickend würde sie zudem einiges anders machen, sagt Adelhardt am Rande der Tagung gegenüber ZAPP: "Ich glaube, dass man es noch deutlicher und noch zugespitzer formulieren muss, dass man wirklich in einem Verdachtsmoment ist."
Der Fall Relotius beschäftigt alle
Auf einem anderen Podium geht es um den Umgang mit Fehlern. Das Wort "Relotius" - also der Fälscher vor allem von "Spiegel"-Texten - fällt immer wieder. Den Journalisten hier geht es aber um Ungenauigkeiten, die im Alltag passieren, etwa unter dem Druck der Aktualität. Das klare Signal: Nur der offensive und transparente Umgang mit Fehlern ist der richtige Weg. Der ist allerdings nur möglich, wenn es auch eine Kritikkultur in den Häusern gibt – und nicht, wenn schon einfache Fehler personelle Konsequenzen nach sich zögen.
Mitarbeitern bei Fehlern den Rücken stärken
"Wenn du weißt, du stehst unter Beobachtung, der Chef steht hinter dir, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man eine Fehlleistung an den Tag legt, viel größer und auch da habe ich wirklich gelernt", sagt Noch-"Tagesschau"- Chefredakteur Kai Gniffke, der künftig Intendant des SWR sein wird. "Wichtig ist, dass wir nach der Sendung sagen: 'Übrigens, da war ein Fehler', nicht 'hoffentlich merkt’s keiner'. Das wäre der falsche Weg."
Die "Tagesschau" versuche, Probleme in der eigenen Berichterstattung selbst öffentlich zu machen, sagt Gniffke. Sein aktuelles Beispiel: Zu den Protesten gegen Venezuelas selbst ernannten Übergangspräsidenten Juan Guaidó im Februar 2019 hatte eine Korrespondentin gemeldet, Regierungsanhänger hätten Lkw mit Hilfsgütern angezündet - wie viele andere Medien auch. Nach der Ausstrahlung zweifelte die Redaktion allerdings daran.
Medien machen Fehler transparent
Die "Tagesschau" recherchierte gezielt nach und stellte fest: "Mit dem Wissen von heute lässt sich der tatsächliche Ablauf nicht exakt rekonstruieren. Zumindest sind Zweifel angebracht. Genau deshalb hätte die tagesschau wesentlich vorsichtiger texten sollen und nicht eine der möglichen Versionen als Gewissheit darstellen sollen."
Die "Tagesschau" setzt ihren "Faktenfinder" immer wieder auch auf sich selbst an. Viele Sender wie zum Beispiel das ZDF und auch der NDR haben Korrektur-Rubriken auf ihren Internetseiten. Und manch eine Redaktion nutzt auch Podcasts, um - wie bei Buzzfeed - "Unterm Radar"nicht nur über die eigenen Rechercheleistungen, sondern auch über Schwächen zu sprechen.