Faktencheck in den Medien
In der Dokumentation des "Spiegel" arbeiten Menschen mit einem ganz besonderen Fetisch: Sie lieben Fakten. Die etwa 70 Mitarbeiter pflegen einerseits das Archiv - zirka 100 Millionen Presseausschnitte, Gutachten und Unterlagen von Informanten sind in den ersten sieben "Spiegel"-Jahrzehnten bislang zusammengekommen. Vor allem aber prüfen die Dokumentare die Texte des Magazins vor dem Andruck Wort für Wort.
"Was im 'Spiegel' steht, muss stimmen", sagt der stellvertretende Chefredakteur Alfred Weinzierl zu ZAPP. "Wir können uns auch keine Flüchtigkeitsfehler leisten." Deshalb leiste sich sein Magazin diese Spezialabteilung weiter, obwohl der Sparzwang längst auch den "Spiegel" erreicht habe. "Wir wären verrückt, wenn wir anfangen würden, das infrage zu stellen."
Dokumentare sind häufig Spezialisten
Während Autoren oft Generalisten sind, kommen die Dokumentare aus allen möglichen Bereichen - aus der Physik beispielsweise ebenso wie aus der Medizin. Dokumentar Bertolt Hunger hat sich wiederum auf die innere Sicherheit spezialisiert und schützt das Magazin als Experte etwa davor, falsche Legenden über die RAF nachzudrucken, die sich in den Pressearchiven festgesetzt haben.
Mit dem Ansatz "Wir glauben erst mal nichts" findet der Dokumentar, wie er sagt, "täglich" falsch geschriebene Namen oder Angaben aus Statistiken. Und dann seien da "Geschichten, wo ein falscher Zungenschlag reingekommen ist, weil ein Redakteur aus seinem Gedächtnis herausgeschrieben und eben nicht noch mal in die Akte geguckt hat - was wir dann machen."
Eigene Abteilungen leisten sich nur wenige
ZAPP hat knapp zwei Dutzend deutsche Medienhäusern gefragt, ob sie dezidierte Fact Checker beschäftigen, die also fast nichts anderes tun, als Beiträge vor Druck oder Sendung zu prüfen. Einige andere Magazine haben sie, wenn auch deutlich weniger als beim "Spiegel": der "Focus" und das Wirtschaftsmagazin "Brand Eins". Das Verlagshaus Gruner + Jahr beschäftigt ebenfalls Fact Checker - für "Geo" und "Stern" in eigenen Abteilungen, darüber hinaus auch übergreifend für mehrere Titel, darunter "Brigitte".
Bei Springer heißen Fact-Checker Journalisten
Die "Zeit" wiederum, die ebenfalls wöchentlich erscheint, leistet sich so eine Abteilung nicht. Auch ARD und ZDF beschäftigen allenfalls - jenseits von neuen Einheiten zum Kampf gegen sogenannte Fake News - eine Handvoll Fact Checker, die Videos aus sozialen Netzwerken verifizieren, etwa für die Berichterstattung über Krisenregionen oder Augenzeugenmaterial nach Anschlägen. Bei den Texten gilt auch bei ihnen das Prinzip, das eine Sprecherin von Axel Springer für ihr Haus so zusammenfasst: "Fact-Checker heißen bei uns Journalisten, und davon haben wir in allen Redaktionen eine Menge."
Faktencheck = Redakteursarbeit
Will heißen: In den meisten, vor allem aktuell arbeitenden Redaktionen liegt die Aufgabe der journalistischen Qualitätssicherung bei den klassischen Redakteuren - zusätzlich zur Koordination der Zeitungen oder Sendungen und Aufgaben wie dem Setzen von Überschriften und der Bildersuche. Bei der FAZ heißt es dazu sogar: "Mitarbeiter, die ausschließlich Artikel prüfen, aber selbst nicht schreiben und keine Primärrecherche durchführen, entsprechen nicht unserer Vorstellung von Journalismus."
Die "Süddeutsche Zeitung" meldet zurück, dass sie bei Großprojekten mit Vorlauf - wie zuletzt den Enthüllungen der "Panama Papers" - die hauseigene Dokumentation zum Fact-Checking einspannt, die sonst vor allem das Archiv pflegt und Auftragsrecherchen erledigt. Ansonsten kämen nun mal "90 Prozent der Texte in der Stunde vor Redaktionsschluss". Ein Problem, das auch die Onlineredaktion des "Spiegel" hat: Hier arbeiten nur zwei Dokumentare, die ebenfalls nur ausgewählte Texte checken.
Auch im "Spiegel" stehen Fehler
Allerdings stößt auch die pedantische Dokumentation des "Spiegel" an ihre Grenzen, berichtet Hunger. Mal fehle schlicht die Zeit für das vollständige Fact-Checking, wenn der "Spiegel" noch kurz vor Redaktionsschluss eine Geschichte auflege. Bisweilen könnten Dokumentare aber auch nicht in Quellen nachschlagen, weil Rechercheure sie nur einsehen, aber nicht mitnehmen, oder bloß mit Informanten darüber sprechen konnten. "Das kommt öfter vor", sagt Hunger. "Dann müssen wir auf Aufzeichnungen und Erinnerungen vertrauen - und die sind natürlich bei jedem Menschen fehlerhaft."
Gleichwohl rutscht auch dem "Spiegel"-Magazin mit seiner luxuriösen Dokumentation immer wieder etwas durch, mindestens vermeintliche Kleinigkeiten. Für Chefredakteur Weinzierl war etwa dies eine Peinlichkeit: Sein Magazin habe Bill Clinton einen anderen Geburts-Staat zugeschrieben als seinen tatsächlichen, Arkansas. "Warum das passiert ist, warum da so viele Leute drüber geguckt haben, ohne dass das aufgefallen ist, ist eigentlich unerklärlich", sagt Weinzierl. "Wir haben uns alle geschämt und an den Kopf gefasst."