Bundeswehr-Veteranen kämpfen um Anerkennung
Deutsche Soldaten befinden sich im Krieg. Am Donnerstag Abend stimmte der Bundestag nicht nur für eine Verlängerung, sondern auch für eine Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes in der Türkei im Kampf gegen den IS. Nur wenige Stunden später wurde das deutsche Konsulat im afghanischen Masar-i-Scharif Ziel eines verheerenden Bombenanschlags der Taliban. Eine schnelle Eingreiftruppe der dort stationierten Bundeswehr-Soldaten rückte aus, um Botschaftsangehörige und das Gebäude gegen weitere Angriffe zu verteidigen. Die Soldaten erschossen dabei zwei Motorradfahrer, die sie für Angreifer hielten.
Dass deutsche Soldaten im Ausland an Kampfhandlungen teilnehmen, ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Alles andere als selbstverständlich jedoch ist der politische Umgang mit diesen Einsätzen, mit dem Thema Krieg und Tod im Auftrag des Vaterlands. Das bekommen vor allem die Rückkehrer zu spüren. Jene inzwischen rund 380.000 Bundeswehr-Angehörigen, die seit 1990 an Auslandseinsätzen teilgenommen haben. Noch immer kämpfen die neuen deutschen Veteranen um Anerkennung, gesellschaftlich und politisch.
Von der deutschen Gesellschaft vergessen?
Aufmarsch am Ehrendenkmal der Bundeswehr in Berlin - etwa 150 Männer in Bikerkutten liegen sie sich in den Armen und weinen. Es sind ehemalige und aktive Soldaten der Bundeswehr, die ihrer gefallenen Kameraden gedenken. Viele von ihnen haben in Spezialeinheiten gedient, die Erlebnisse haben sie geprägt. Sie bezeichnen sich selbst als Veteranen, haben eigens einen Verein gegründet: die "Recondo Vets".
Jedes Jahr treffen sich die Recondo Vets zur Gedenkfahrt, weil sie sich von der deutschen Gesellschaft vergessen fühlen. Organisator Ralf Bartzsch alias "Muerte" ärgert sich auch, dass das Mahnmal nicht prominenter gelegen ist: "Als ich das erste Mal das Ehrendenkmal der Bundeswehr besuchen wollte, bin ich drei Mal dran vorbeigefahren, um es zu finden. Es ist versteckt in einer Seitenstraße, wo niemand vorbeikommt."
Aufmerksamkeit für gefallene Kameraden
"Muerte" fordert endlich mehr Aufmerksamkeit für die gefallenen Kameraden, vor allem aber auch für Kriegsheimkehrer wie ihn. Denn deutsche Soldaten werden immer häufiger in Auslandseinsätze entsandt, seit der Wiedervereinigung mehr als 380.000. 106 Soldaten sind bis heute in diesen Bundeswehr-Missionen gestorben, 35 durch Fremdeinwirkung. Wie viele feindliche Kämpfer oder Zivilisten von deutschen Soldaten getötet wurden, ist dagegen nirgends vermerkt.
Sicher ist nur, dass es weitere Opfer auf beiden Seiten geben wird. Denn die Bundeswehr rüstet auf: Bis 2020 will das Verteidigungsministerium rund 10 Milliarden Euro mehr ausgeben. Der Grund: die wachsenden Anforderungen der Nato-Partner an Deutschland in den internationalen Einsätzen. Derzeit sind es 15 Missionen, in denen die Bundeswehr mit rund 3.000 Soldaten im Einsatz ist.
Hilfe für Rückkehrer
"Muerte" und die Recondo Vets wollen den Rückkehrern helfen, mit dem Erlebten umzugehen: "Wir sagen einfach, du bist Kamerad, ich bin Kamerad, wir können darüber ganz locker sprechen. Und genau das machen wir auch. Wir haben hier unwahrscheinlich viele Leute dabei, die ein Trauma mit sich führen und das nur über ganz gewisse Kanäle abbauen können. Und da hilft nicht die Familie, die versteht es gar nicht. Da hilft auch nicht der Arbeitskollege. Da helfen meist nur die Kameraden."
Gedenkveranstaltung vor den Toren des Verteidigungsministeriums
Auf das Gelände des Verteidigungsministeriums dürfen die Recondo Vets bei ihrer Gedenkveranstaltung aber wieder nicht. Und das, obwohl der "Memorial Run" jetzt bereits zum sechsten Mal in Folge stattfindet. Sie müssen die Gedenkstelle von außen über eine Seitenstraße betreten. Der ehemalige Zeitsoldat Stephan Thews ärgert sich darüber: "Warum dürfen wir nicht von drüben rein, um den Kameraden hier zu gedenken? Warum nicht? Denn die da drüben, die schicken ja diese Menschen da runter, in den Kampfeinsatz, gebilligt durch den Bundestag, durch die Politik, die uns ja vertritt."
Hin und wieder, erzählt "Muerte", wollten Politiker mit ihnen gedenken. Aber die Zusagen seien immer zurückgezogen worden: "Wir haben oft versucht, jemanden zu bekommen und es haben auch oft schon Leute zugesagt. Einmal hatten wir sogar die Zusage des Bundeswehrbeauftragten im Bundeskanzleramt. Und eine Woche vorher kam dann die Absage: Oh, leider sind Termine dazwischen gekommen, ich kann leider nicht kommen." "Muerte" glaubt, das liege am Auftreten der Recondo Vets: "Uns ist klar, warum. Weil dann durchsickert: Du, das sind die Motorradfahrer, das sind die Rocker, das sind die Bösen, die Negativen. Da kannst du nicht mit deinem Anzug stehen. Das geht nicht. Dieses Bild lässt sich nicht vereinen."
Berührungsängste mit dem Veteranenbegriff
Der ehemalige Wehrbeauftragte der Bundeswehr Reinhold Robbe (SPD) glaubt, dass die meisten Politiker das Thema meiden: "Ich wage zu behaupten, dass die Mehrheit unserer Parlamentarier, meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen eher große Berührungsängste hat, wenn es um Einsätze geht, wenn es um Bundeswehr geht, wenn es um Veteranen-Begriff geht, all diese Dinge."
Tatsächlich scheint sich die Politik schwer damit zu tun, einen Umgang mit den Rückkehrern aus den internationalen Einsätzen zu finden. Fragen von Panorama 3 zu den neuen Veteranen hat das Verteidigungsministerium äußerst schmallippig beantwortet. Und um eine offizielle Definition des Veteranenbegriffs ringt der Bundestag schon seit Jahren. Ein Konzept für den Veteranenbegriff, das noch vom ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière stammt, liegt auf Eis.
Politik und Gesellschaft in der Pflicht
Reinhold Robbe sieht dagegen Politik und Gesellschaft in der Pflicht. Sie müsste sich endlich aktiv mit den Einsätzen auseinandersetzen: "Niemand hat gerne mit Dingen wie Verwundung und Tod und Posttraumata, ähnlichen Dingen zu tun und möchte sich gerne darüber unterhalten, aber sie gehören nun mal dazu, sie gehören auch zu dem, was wir Verantwortung, auch internationale Verantwortung nennen."
Für die Veteranen am Bendlerblock ist die Auseinandersetzung mit dem Thema dagegen keine Frage. "Muerte" und seine Kameraden müssen sich den Dingen stellen: "In der letzten Woche hat sich wieder ein Kamerad das Leben genommen. Das kann nicht sein, dass wir rausgehen ins Feld, den Dienst fürs Vaterland tun und hinterher interessiert’s kein Schwein. Das lassen wir für uns nicht zu. Wir vergessen unsere Kameraden nicht."