Klima nach der Wahl: einfach weiter so?
Bei den Sondierungen von FDP und Grünen droht eine Klima-Koalition der kleinsten Kompromisse.
Im Wahlkampf hatte Christian Lindner sich über die Klimapolitik der Grünen noch lustig gemacht: "Die Chinesen haben Rikschas und Fahrräder aus dem Straßenbild verbannt. Und wir träumen vom Lastenfahrrad", hatte er vor amüsierten Anhängern ins Mikrofon gerufen. Ob er das heutige, oft von kilometerlangen Staus geprägte Straßenbild in China oder Deutschland als gelungenen Gegenentwurf betrachtet, thematisierte der FDP-Vorsitzende nicht.
Jetzt muss Lindner mit den Grünen die Partnerschaft in einer möglichen Koalition sondieren. Und ganz ernsthaft über Klimapolitik sprechen. Er kann dem Thema nicht ausweichen, wenn er mitregieren will.
Verfassungsgericht verpflichtet Politik zum Klimaschutz
Dafür sorgt allein schon die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März. Das Grundgesetz verpflichte den Staat, "Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen", heißt es da. Die "Treibhausgasminderungslast" dürfe nicht einfach in die Zukunft verschoben werden, schreiben Deutschlands oberste Richter. Wenn eine Bundesregierung das trotzdem tue, verletze sie die Freiheitsrechte künftiger Generationen, die dann umso abrupter aus fossilen Energien und Massentierhaltung aussteigen müssten.
Das Verfassungsrecht gilt auch für Christian Lindner und die FDP. Das weiß er und hat deshalb politisch vorgesorgt. Er hat den promovierten Philosophen Lukas Köhler zum klimapolitischen Sprecher der Partei gemacht. Der 35-jährige Bundestagsabgeordnete ist Lindners Brücke zu den Grünen, oder sein Bollwerk gegen sie - je nach Betrachtungsweise. Panorama traf das klimafreundliche Gesicht der FDP: "Sowohl die Grünen als auch wir haben erkannt, welche Herausforderungen auf uns warten", sagt Köhler im Interview. Beiden gehe es darum, "möglichst effizienten Klimaschutz zu machen".
FDP setzt auf Emissionshandel
Getreu dem liberalen Credo verweist Köhler auf das marktwirtschaftliche Instrument des Europäischen Emissionshandels. Der muss demnächst neu ausgestaltet werden, und Brüssel wartet im Prinzip nur auf die neue Bundesregierung. Wie streng wird die Gesamtmenge an Treibhausgasen, die noch ausgestoßen werden darf, begrenzt? Wie schnell sollen die zulässigen Mengen jährlich sinken? Dazu wird sich die neue Bundesregierung in Brüssel verhalten müssen. Köhler sagt im Interview, der bisherige Rhythmus, wonach die erlaubte Emissionsmenge in Europa jährlich um 2,2 Prozent sinkt, müsse erhöht werden. "Wir werden irgendwas über drei brauchen", meint der FDP-Klimamann. Wenn der Emissionshandel nicht "in der nötigen Schärfe umgesetzt wird, wäre das ja absurd", sagt Köhler. CO2 auszustoßen müsse teurer werden.
Aber was bedeutet "Schärfe"? Der klimapolitische Sprecher der FDP strebt null Treibhausgasemission bis 2050 an. Das hält der Professor für Umweltrecht Felix Ekardt für zu lasch. Es sei Selbstbetrug, wenn man wie die FDP behaupte, mit Klimaneutralität im Jahre 2050 könne man die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad begrenzen. Prof. Ekardt, der in Leipzig eine "Forschungsstelle für Nachhaltigkeit und Klimapolitik" gegründet hat, hat die Verfassungsbeschwerde gegen die nachlässige Klimapolitik der Bundesregierung maßgeblich vorbereitet.
"Wenn wir den Klimawandel weiter so wenig konsequent angehen wie bisher, dann verletzt das unsere Grundrechte auf Freiheit und die elementaren Freiheitsvoraussetzungen, Leben und Gesundheit", sagt Ekardt an die neue Bundesregierung gerichtet. "Das hat das Bundesverfassungsgericht klar gemacht. Und deswegen wird eine unzureichende Klimapolitik nach der Bundestagswahl zu weiteren Klagen führen." Dem europäischen Ansatz der FDP kann der Klimaschützer durchaus etwas abgewinnen. Nur müsste der CO2-Ausstoß viel schneller auf Null sinken als von den Liberalen angedacht, wenn man das 1,5-Grad-Ziel einhalten wolle. Ekardt nennt die Zielmarke "2030 oder kurz danach".
Hässliches Klima-Baby
Aus einer Heirat zwischen FDP und Grünen könnte ein ziemlich hässliches Klima-Baby hervorgehen, warnt der Klimaschützer, dann nämlich, wenn die FDP ihre "laschen Ziele" durchsetze und die Grünen ihre eher national orientierten Klimaschutzmaßnahmen (Tempolimit, Aus für den Verbrennungsmotor 2030, Lastenfahrrad). Das würde "maximal wenig deutschen Klimaschutz bedeuten", meint der Experte und Aktivist. Bei der Koalitionsbildung bestehe die Gefahr, "dass es zu bloßen Formelkompromissen kommt und wir keinen konsequenten Pfad für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze einschlagen."
Deutschland ist nicht auf Kurs, um bis 2030 die verfassungsrechtlich gebotenen 65 Prozent Minderung an Treibhausgasemissionen, gemessen am Jahr 1990, zu erzielen. Das zeigen die Recherchen von Panorama. Selbst das Bundesumweltministerium warnt in einem sogenannten "Projektionsbericht", dass die Minderungsziele in den Sektoren Verkehr und Gebäude deutlich verfehlt werden könnten. Den Klimaschaden des Autoverkehrs versucht die scheidende Bundesregierung durch die großzügige Förderung von E-Autos zu mildern. Aber das Umweltministerium warnt in seinem aktuellen, bislang unveröffentlichten "Klimaschutzbericht", dessen Entwurf Panorama vorliegt, dass ein Teil der im Verkehr durch den Ausbau der Elektromobilität eingesparten Emissionen in die Energiewirtschaft "verlagert" würden. Heißt: Die Politik rechnet damit, dass nicht genug Strom aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen wird, um eine wachsende E-Flotte bedienen zu können. Die Batterien müssten dann mit Strom aus Gas- oder gar Braunkohleenergie aufgeladen werden.
Es fehlt an Strom aus Erneuerbaren Energien
Vom Mangel an Grünem Strom kann auch der Chef der Salzgitter AG ein Lied singen. Gunnar Groebler leitet Deutschlands zweitgrößten Stahlkonzern seit kurzem. Im Interview mit Panorama berichtet er, dass rund vier der jährlichen fünf Millionen Tonnen Stahl in Salzgitter mit Energie aus Kohle gekocht würden. Also in dem seit Jahrzehnten üblichen CO2-intensiven Verfahren auf der "Hochofenroute". Groebler bekräftigt, dass er die Transformation wolle. Im Jahr 2025 wolle er Stahl in nennenswertem Umfang aus emissionsfreier Produktion liefern. Allein, es fehle bislang an Grünem Strom, der die Kohle als Energiequelle ersetzen soll. Nicht einmal ein konkreter Plan, wie ausreichend Strom nach Salzgitter gelangen könnte, sei in Sicht.
"Wir sind in einem Jahr, wo offshore nichts gebaut wird. Wir bauen in diesem Jahr keinen Offshore-Windpark," kritisiert der Chef des Stahlwerks. "Das beantwortet aus meiner Sicht die Frage, wie weit wir gekommen sind." Deutschland müsse "deutlich mehr leisten". Die Strommengen, die für die Stahlproduktion benötigt werden, sind so gigantisch, dass nach derzeitigem Stand der Technik nur großflächige Windanlagen auf See als Quelle in Frage kommen. Für den Transport der Energie - in Form von Wasserstoff - bis ins Stahlwerk von Salzgitter fehlen Leitungssysteme. Der Wechsel in der energetischen Versorgung des Stahlwerks sei "absolut keine Kleinigkeit", sondern ein "gesamtgesellschaftlicher Kraftakt", so Gunnar Groebler. Hier lässt der Konzernchef seine Erwartungen an die neue Bundesregierung anklingen. Die Transformation könne ein Stahlwerk wie die Salzgitter AG "nicht aus den Erlösen" finanzieren. Man brauche staatliche Unterstützung. "Diese Transformation wird Geld kosten", sagt Groebler, "und wir müssen uns die Frage stellen: Wo kommt das Geld her?"
Auf 30 Milliarden Euro schätzt die Branche die Kosten, um die Stahlproduktion in Deutschland emissionsfrei zu machen. Die ebenso CO2-intensiven Zweige Zement und Chemie kommen noch hinzu. Die neue Bundesregierung steht also vor gewaltigen Aufgaben. Die FDP wird als Regierungspartei erklären müssen, wie sie diese ohne die Aufnahme von Schulden bewältigen will.