Klimarettung: Auf dem Papier ist Deutschland weit vorn
"Es gibt in Deutschland keine Klimapolitik mehr." Dieses harsche Urteil fällen Umweltaktivisten wie Hans-Josef Fell, Bundestagsabgeordneter der Grünen a.D., Physiker und einer der Väter der "Energiewende" vor fast 20 Jahren. "Stimmt nicht ganz", könnte man ihnen entgegen halten. Seit diesem Jahr gilt ein neues Gesetz zum Klimaschutz: das "Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen". Jetzt müssen große Unternehmen auch über die Klimafolgen ihres Geschäfts und ihren Umgang damit berichten. "Weniger Treibhausgase zu emittieren" sei ein Grundgedanke des Gesetzes, erläutert der Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber, SPD, in Panorama.
Und so heißt es wohltönend im neuen Nachhaltigkeitsbericht des Energiekonzerns RWE: "Klimaschutz und Klimaschutzmaßnahmen sind wesentlicher Teil unserer Unternehmensstrategie". Der rheinische Betreiber von Braunkohletagebau und Braunkohlekraftwerken zeigt sich in dem Papier von einer eher überraschenden Seite. Man verfolge eine "Biodiversitäts-Policy", ergreife "adäquate Naturschutzmaßnahmen", gehe "Rekultivierungstätigkeiten" nach, habe einen "landschaftsökologischen Ausgleichsanspruch" und überhaupt: dem Unternehmen böten sich "Chancen zur Aufwertung ökologischer Gegebenheiten."
Rheinisches Braunkohlerevier: Eine der größten CO2-Quellen
RWE - das ist der Energieerzeuger, der im Oktober den Hambacher Wald roden will, um den Braunkohletagebau zu erweitern. Die Abholzung sei "unvermeidlich", heißt es dazu im Nachhaltigkeitsbericht.
Man könne in der Tat von einem Stromerzeuger nicht erwarten, "dass er morgen aussteigt und bei uns die Lichter ausgehen", meint Sabine Braun. Die Chefin der Agentur "Akzente" in München berät viele große Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen, von Bayer bis Siemens, und eben RWE. Die Nachhaltigkeitsberaterin meint im Panorama-Interview, sie könne "nicht erkennen, dass wir versucht hätten, mit dem Thema Biodiversität das Thema CO2 zuzudecken." In der Tat: die Zahlen zu den CO2-Emissionen findet man auch im Nachhaltigkeitsbericht von RWE. 217 Millionen Tonnen des Treibhausgases hat das Unternehmen 2017 ausgestoßen. Die Braunkohle hat daran den größten Anteil. Insgesamt sind die Emissionen von RWE zwar gesunken, aber 217 Millionen Tonnen sind ein Spitzenplatz in der deutschen Industrie, und das rheinische Braunkohlerevier bleibt eine der größten CO2-Quellen Europas. Kann "Klimaschutz" dem Konzern also wirklich so wichtig sein?
"Es stimmt, dass man versucht, die Dinge nicht ganz so übel dastehen zu lassen", räumt Sabine Braun ein. Sie beschreibt den Kommunikationsprozess mit ihren Kunden, wenn es um die Formulierungen in Nachhaltigkeitsberichten geht. "Wir erleben, dass im ersten Textentwurf steht: 'Schwachstelle'. Im zweiten steht es auch noch, im dritten steht statt 'Schwachstelle' dann 'Verbesserungspotenzial'."
Klimaschutz? "Reine Imagepflege"
Wenn Unternehmen über Klimaschutz reden, dann gehe es oft um "reine Imagepflege", meint Stefan Gössling, Professor an den Universitäten Kalmar und Lund in Schweden. Gössling ist Experte für Klimapolitik und erforscht den nicht unerheblichen Beitrag des Flugverkehrs zum menschengemachten Treibhauseffekt. Die Branche könne nur auf "relative Effizienzgewinne" verweisen, etwa durch sparsamere Flugzeuge. "Die absoluten Emissionsmengen wachsen jedoch immer weiter."
Lufthansa zum Beispiel hat 2017 laut eigenem Geschäftsbericht 6,9 Prozent CO2 mehr in die Atmosphäre geblasen als 2016, insgesamt mehr als 30 Millionen Tonnen. Dennoch gibt sich das Unternehmen klima- und umweltfreundlich. Im Nachhaltigkeitsbericht verweist man auf die Bemühungen, "CO2-Ausstoß zu reduzieren." 34 einzelne Projekte verfolge man zur Minimierung der Kohlendioxidemissionen. Die Einsparungen entsprächen 250 Flügen von München nach New York und zurück. Das führende deutsche Luftfahrtunternehmen habe es sogar geschafft, die Transportleistung vom Treibstoffverbrauch zu "entkoppeln". Fakt ist: Nicht bloß das Passagieraufkommen steigt, sondern auch der Treibstoffverbrauch. Es wird eben immer mehr und zu immer weiter entfernten Zielen geflogen. Und dieser Zuwachs frisst die relativen Einsparungen durch verbesserte Triebwerktechnik wieder auf.
2017 keinen Tropfen Biokraftstoff
In seinem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht verweist Lufthansa darauf, Biokraftstoff erprobt zu haben. Der Leser kann den Eindruck bekommen, Lufthansa arbeite seit Jahren an der Einführung alternativer Kraftstoffe. Tatsächlich hat Lufthansa 2017 auf seinen Flügen keinen Tropfen Biokraftstoff getankt. Das bestätigt der Konzern auf Anfrage von Panorama.
"Es hat sehr viele Diskurse gegeben zu Biokraftstoffen, aber wir haben nicht gesehen, dass tatsächlich einer der Biokraftstoffe den Durchbruch erreicht hätte und genutzt würde", analysiert Stefan Gössling. Lufthansa fliegt also weiter mit Kerosin, wie eh und je. Immerhin kommt im Nachhaltigkeitsbericht dann ein Versprechen: bis 2050 wolle die Luftfahrtbranche ihren CO2-Ausstoß, gemessen an den Werten von 2005, halbieren. "Man diskutiert immer das, was man in der Zukunft machen wird. Das einzige, was wir nicht sehen, ist, dass im Jetzt Dinge passieren, die langfristig zu einem Emissionsminderungstrend führen würden", bemängelt Experte Gössling, der das Fliegen als die "klimaschädlichste Aktivität des Menschen" bezeichnet. Lufthansa teilte Panorama mit, das Unternehmen setze sich dafür ein, "die Umweltauswirkungen im Einklang mit den internationalen Wettbewerbsbedingungen zu begrenzen".
Für Stefan Gössling ergibt sich eine radikale Konsequenz: es müsse weniger geflogen, innerdeutsche Flüge müssten sogar ganz "abgeschafft werden". Freiwillig werden die Unternehmen darauf wohl kaum verzichten. Daher müsse die Politik steuern, etwa durch die Verhängung einer CO2-Steuer. Davon sind Bundesregierung und EU-Kommission jedoch weit entfernt.
Lippenbekenntnis "Emissionen reduzieren"
Die Regierenden scheinen sich mit Lösungen auf dem Papier zu begnügen. Indem man die Klimasünder etwa zu "verbindlichen Nachhaltigkeitsberichten" zwingt. Ein großer CO2-Emittent wie HeidelbergCement, der zweitgrößte Baustoffhersteller der Welt, kann dann schreiben, er wolle "seinen Beitrag" leisten, "den weltweiten Temperaturanstieg auf unter 2°C zu begrenzen." Aber gleichzeitig darf der Konzern seinen CO2-Ausstoß enorm steigern (von 41 Millionen Tonnen 2010 auf 70 Millionen Tonnen 2017), ohne dafür einen angemessenen Preis zahlen zu müssen. Die Forschung an alternativen Bindemitteln und neuen Technologien, die den Verbrauch von Zement verringern könnten und auf die das Unternehmen in seiner Antwort an Panorama verweist, haben bislang nicht zu einer Milderung des Klimaschadens geführt.
"Emissionen reduzieren" ist das Mantra, das führende deutsche Unternehmen verkünden. Es erweist sich in vielen Fällen als reines Lippenbekenntnis. Daimler schreibt in seinem Nachhaltigkeitsbericht, man wolle den CO2-Ausstoß der PKW-Flotte in Europa bis 2021 "um 44 Prozent", gemessen am Jahr 2007, verringern. Das heißt, man wolle sparsamere Autos auf den Markt bringen. Aber was nützt das dem Klima, wenn immer mehr Autos verkauft werden? "Dann ist der Sache noch nicht Genüge getan", wie es Nachhaltigkeitsberaterin Sabine Braun formuliert. Fakt ist: der Autobauer Daimler hat seine absoluten Kohlendioxid-Emissionen zwischen 2010 und 2017 von 34 Millionen auf 81 Millionen Tonnen gesteigert.
Verkaufsbeschränkung wäre eine Lösung
"Nur eine Verkaufsbeschränkung" von Fahrzeugen könne eine Minderung des absoluten Treibhausgasausstoßes bringen, meint Sabine Braun, die etwa Volkswagen und Audi auf ihrer Kundenreferenzliste hat. Aber eine solche Verkaufsbeschränkung "gibt es natürlich nicht."
Die Welt ist auf dem Weg zu einer Erwärmung um mindestens drei Grad Celsius. Aber Deutschland verhält sich wie ein einziges riesiges Volkswagen-Werk: Hauptsache, die Werte stimmen auf dem Papier. Die Wirklichkeit scheint da eher Nebensache zu sein.