Abgasbetrug: Das Märchen vom Klimaweltmeister
Kanzlerin Angela Merkel wird mit schlechten Nachrichten zur Klimakonferenz in Paris reisen. Deutschlands wichtigste Wirtschaftsbranche, die Automobilindustrie, wird die Klimaziele weit verfehlen. Und das nicht ganz überraschend: Es wird schwierig für die deutschen Verhandler, beim Ringen um niedrigere CO2 Werte in Paris zu erklären, warum ausgerechnet der selbsternannte Ökoprimus Deutschland weiterhin mehr PS Protze und hochmotorisierte Dickschiffe als andere produziert.
Denn seit dem VW-Skandal ist klar geworden, dass alle deutschen Hersteller die CO2-Ziele nur theoretisch, also auf dem Papier erreichen. Tatsächlich wird weiter viel mehr CO2 ausgestoßen. "Die Klimaziele real auf der Straße zu schaffen, ist sehr unrealistisch. Das werden die Automobilhersteller in keinem Fall hinbekommen können", gibt Prof. Stefan Bratzel zu, dessen Center of Automotive Management regelmäßig Studien mit der Autoindustrie verfasst.
"Freude am Fahren" statt "Freude am Sparen"
Bei der Bekämpfung des Klimawandels wird die deutsche Autoindustrie kaum in die Pflicht genommen. Ergebnis von ungeniertem Lobbyismus gepaart mit einer beispiellosen Verwässerungstaktik der Politik. Eigentlich sollen alle deutschen Hersteller ab dem Jahr 2021 einen so genannten "Flottenverbrauch" von 95 Gramm CO2 haben. Das bedeutet: Alle neuzugelassen Modelle etwa von BMW, Audi oder Mercedes dürfen im Schnitt maximal 3,7 Liter Diesel oder 4,1 Liter Benzin verbrauchen. Für jeden weiteren Milliliter drohen hohe Strafzahlungen. In der Realität aber ist es kaum vorstellbar, dass der Durchschnittsverbrauch so niedrig liegen soll. Schließlich verkaufen sich deutsche Autos mit dem Argument "Freude am Fahren" und nicht durch "Freude am Sparen".
Labortest mit Schlupflöchern
Die Lösung für die deutsche Autoindustrie: Ein Labortest zur Verbrauchsermittlung, der viele Schlupflöcher hat. Und so optimieren viele Hersteller ihre Fahrzeuge offenbar seit Einführung der Klimaziele vor allem für diesen Labortest -nicht für die Realität. Und analog zu den immer strengeren Flottenverbrauchswerten nimmt erstaunlicherweise auch das Auseinanderklaffen von Laborwerten und wirklichem CO2-Ausstoß zu.
2001 war die Abweichung zwischen Laborwert und realem Verbrauch etwa acht Prozent. Heute sind es, laut Umweltorganisation ICCT, 40 Prozent. Der Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie, Ulrich Eichhorn, sagt: Die prozentuale Abweichung sei deshalb größer, weil der Durchschnittsverbrauch abgenommen habe. Ein Liter Unterschied seien früher 12,5 Prozent gewesen - heute seien es gleich 20 Prozent. Außerdem seien die Fahrzeuge besser ausgestattet, was zu weiteren 20 Prozent führen würde. Je mehr Extras wie Klimaanlage und Sitzheizung desto mehr CO2-Ausstoß. Doch beim Labortest bleiben diese Extras ausgeschaltet. Das Auto stößt weniger C02 aus als im realen Verbrauch.
Verbesserung nur auf dem Papier
Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe mahnt: "Die Automobilindustrie verbessert die Fahrzeuge im Moment ausschließlich auf dem Papier, und Effizienzgewinne, die natürlich tatsächlich auch da sind, werden kompensiert durch stärkere Motoren und durch schwerere Fahrzeuge."
Auch in Zukunft hat die deutsche Autoindustrie wenig zu befürchten. Zwar soll es bald einen neuen, realistischeren Testzyklus im Labor geben. Doch auch bei diesem Test hilft die deutsche Regierung aktuell der Autoindustrie und schafft neue Schlupflöcher, sagt Greg Archer von der Umweltorganisation Transport & Enviroment, der die politische Debatte in Brüssel intensiv beobachtet. Und auch der neue Test wird nicht sehr viel helfen, sagt Prof. Bratzel : "Die Hersteller werden sicherlich versuchen, auf den Zyklus hin ihre Fahrzeuge zu optimieren."
Verschärfen - oder nicht?
Dazu gibt es noch ein besonderes Geschenk für die Autoindustrie. Das 95-Gramm-Ziel könnte abgeschafft und durch ein weniger strenges ersetzt werden - zum Beispiel 110 Gramm. Autolobbyist Eichhorn gibt sogar zu, dass es nie das Ziel war, in der Realität so viel CO2 einzusparen: "Jeder Wert ist immer vom Meßverfahren abhängig. Wenn der neue Zyklus kommt, wird der Wert natürlich nach oben korrigiert. Die EU-Kommission steht im Wort, keine Verschärfung durch die Hintertür."
Das Bundesumweltministerium sagt dagegen auf Nachfrage: "Bei der Umstellung der EU-Gesetzgebung zur CO2-Minderung bei Pkw geht es darum, die Strenge der Vorgaben beizubehalten, das heißt, diese weder zu verwässern noch zu verschärfen.