Corona: Das Ende der Globalisierung?
Geschlossene Grenzen, kaputte Lieferketten, kein Klopapier. Seit Corona scheint das Ende der globalisierten Welt nah. Tatsächlich aber ist das ein Irrglaube. Denn ohne geht es nicht.
Wenn er das wirklich wäre, der "Patient Null" Europas - dann stünde er sinnbildlich für die global vernetzte Welt, in der wir leben: Ein 33-Jähriger, angestellt bei einem Automobilzulieferer, steckt sich bei einer chinesischen Kollegin an, als die nach einem Besuch bei ihren Eltern in Wuhan in Bayern eine Schulung leitet. Kurz darauf gibt es auch Infizierte in Italien, Frankreich, Großbritannien. Wenig später hat Covid-19 fast die ganze Welt im Griff.
Eine Welt, die für einige wenige keine Grenzen mehr hat. Mit Lieferketten, die den ganzen Globus umspannen - just in time - und Firmen, die ihre Waren überallhin verkaufen: Die globalisierte Welt. Hat sie also Schuld an Corona?
Globalisierung ist gar nicht so neu
In Lübeck läuft Dirk Rieger vor einem unscheinbaren Restaurant auf und ab. Vor einigen Jahren stieß man bei Renovierungsarbeiten hier auf einen grausigen Fund: Auf Skelette, die dicht an dicht liegen. Ein Grab fünf mal fünf Meter groß und zwei Meter tief mit Toten einer der verheerendsten Seuchen unserer Geschichte - der Pest.
Der Schwarze Tod, wie man die Krankheit damals nannte, forderte in Europa des 14. Jahrhunderts innerhalb eines Jahrzehnts schätzungsweise 25 Millionen Tote. Die Seuche kam wohl über die Seidenstraße aus China nach Europa. Gelangte durch ein Handelsschiff über Frankreich nach England, über die Nordsee nach Skandinavien - und so weiter und so fort.
"Die Pest ist die Folge der Globalisierung", sagt der Stadtarchäologe Dirk Rieger und meint damit, dass das, was wir als Globalisierung bezeichnen, schon Jahrhunderte alt ist. Dass Krankheiten schon immer keine Grenzen kannten. Damals - wie heute.
Trotzdem ist die Angst vor der Globalisierung heute so groß wie noch nie. Laut einer vom "Spiegel" in Auftrag gegebenen Umfrage des Civey Instituts sehen mehr als die Hälfte der Befragten die Globalisierung negativ. Vor drei Jahren war das noch genau umgekehrt: Da sahen über 60 Prozent der Befragten die Globalisierung noch als Chance.
Die Angst vor der Globalisierung wächst
Und nun - mit einer Pandemie, die globale Lieferketten unterbricht, die den Kauf von FFP2 Masken aus dem Ausland zu einem Kampf macht, die Handelsschiffe stilllegt und Grenzen schließen lässt - nun wird der Eindruck geweckt, die Globalisierung stehe vor ihrem Aus. Hat sie einen Systemfehler?
In Hessen stapft der norddeutsche Bauer Rudolf Behr über ein Feld mit kleinen Salatköpfen. Er hat das Feld zugekauft. Die Sonne treibt ihm Schweißtropfen auf die Stirn. Eigentlich ist es hier im warmen Rheinhessen zu warm für Salat, erzählt er. Der Salat, der hier gerade noch gehe, sei Mini-Römer. Doch auch der hat es schwer. Auf den Außenblättern sind kleine, gelbliche Dellen. Vom Hagel, erklärt Bauer Behr, und sagt, Unwetter gebe es hier in der Gegend oft.
"Jedes Gemüse dort, wo es hingehört", sagt Rudolf Behr und meint damit: Salat am besten in Norddeutschland, Zucchini und alles, was es gern warm hat, in Hessen. Doch seit einigen Jahren wollen die Menschen regional essen, wollen Einzelhändler in Hessen nicht mehr Salat aus dem Norden kaufen, sondern mit bunten Schildchen als Wohlfühlaroma versehen können: Aus der Region.
Ohne Globalisierung geht es nicht
Dass Globalisierung kein Systemfehler ist, zeigt ein zweiter Besuch in Lübeck. Hier stellt die Firma Dräger FFP Masken her. Ebenso in Schweden und Südafrika. Jetzt in jedem Land parallel Masken zu produzieren, nur weil es Lieferengpässe aus dem Ausland gab, hält Stefan Dräger, Chef der Firma, für unnütz: "Die Masken kommen aus einer hoch automatisierten Produktion." Das heißt, dass lieber einige wenige Fabriken viele Masken produzieren, als viele Fabriken jeweils wenige für den heimischen Markt.
"Wo die Dinge nun hergestellt werden", meint der Ökonom Gabriel Felbermayr, sei gar nicht so wichtig. Wichtiger sei, sich nicht in allem abhängig von Lieferketten zu machen. Lager aufzubauen. Beim Erdöl aus den Krisen der 70er-Jahre habe es ja auch geklappt.
Was weniger Globalisierung für uns als "Exportweltmeister" bedeuten würde, hat der Ökonom für Panorama ausgerechnet. 2018 lag die durchschnittliche Rente bei 905 Euro im Monat. Mit der Hälfte des Außenhandels wären nur noch 748 Euro drin, ganz ohne Außenhandel sogar nur noch 540 Euro.
Die Globalisierung ist also weder schuld an Corona noch ein Phänomen, das sich zurück drehen lässt. Zeigte doch bereits die Pest im Mittelalter, dass Menschen schon immer im Austausch miteinander standen, über Grenzen hinweg. Die Globalisierung ist nicht der Systemfehler, den es jetzt zu beseitigen gilt, sondern für viele Probleme die Lösung. Auch im Kampf gegen Corona.