Corona: Hilfe für Milliardäre?
Heinz Hermann Thiele ist einer der zehn reichsten Deutschen. Ende März stieg er bei Lufthansa ein und ist nun der größte Einzelaktionär der Fluglinie. Spekuliert er auf staatliche Hilfen?
Als die Aktie der Lufthansa mitten im Sturzflug ist, greift Heinz Hermann Thiele zu. Der Großaktionär taucht nur selten in der Öffentlichkeit auf, obwohl er laut Forbes einer der zehn reichsten Deutschen ist. Doch Ende März dieses Jahres macht er Schlagzeilen mit dem Lufthansa-Einstieg. Rund zehn Prozent der Lufthansa-Aktien gehören nun ihm. Damit ist er der größte Einzelaktionär der Fluglinie. Ein Investment, das laut Experten zu diesem Zeitpunkt nur Sinn macht, wenn man auf die Lufthansa-Rettung durch den Staat spekuliert.
"Arbeitnehmerrechte eher lästig"
Den Einkauf des Milliardärs sieht der Bundestagabgeordnete von den Grünen, Sven-Christian Kindler, kritisch: "Thiele ist aufgefallen als jemand, dem Arbeitnehmerrechte eher lästig sind." Wenn die Lufthansa mit Staatsgeld gerettet werde, müsse die Politik sich Mitspracherechte sichern, damit man mitbestimmen kann, wie mit den Beschäftigten der Lufthansa umgegangen werde.
An anderer Stelle profitiert Thiele bereits jetzt vom Sozialstaat. In seinem Vorzeige-Unternehmen Knorr-Bremse, Weltmarktführer in Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge, sind seit Anfang April 4.000 der 5.500 MitarbeiterInnen in Deutschland in Kurzarbeit. Ein sozialstaatliches Instrument, das den Arbeitern nutzt, aber auch den Arbeitgebern, die so ihre qualifizierten Mitarbeiter halten können und trotzdem nicht selbst auf den Kosten sitzen bleiben.
Größeres Ausmaß als 2009 zur Finanzkrise
Arbeitgeber argumentieren gerne, dass dieses Instrument von der Arbeitslosenversicherung finanziert wird, in die sie ja auch einzahlen. Das stimmt. Allerdings ist abzusehen, dass die Rücklagen nicht reichen und diese Leistungen letztlich von Steuergeldern aufgefangen werden müssen. So war es schon nach der letzten Finanzkrise. Und diesmal ist das Ausmaß deutlich größer: Es sind bereits über zehn Millionen Menschen in Kurzarbeit. 2009 waren es auf dem Höchststand 1,2 Millionen.
Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) lässt daher das Argument nicht gelten: "Es ist vollkommen sicher, dass das Geld aus der Arbeitslosenversicherung nicht reichen wird. Am Ende müssen die Steuerzahler, Krankenschwestern, Supermarktkassierer die großen Unternehmen unterstützen. So wird Geld von unten nach oben umverteilt."
Knapp 200 Millionen Euro Dividende für Thiele?
Gleichzeitig hat Knorr-Bremse noch Ende April angekündigt, im Juni eine Dividende auszuschütten. Dann würde Thiele als Hauptaktionär mit 70 Prozent der Anteile gut 200 Millionen Euro einnehmen. Fabio De Masi, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag, kritisiert das: "Unternehmen, die Kurzarbeit anmelden, sparen Löhne und Sozialabgaben und halten qualifizierte Mitarbeiter. Außerdem wird die Arbeitslosenversicherung Steuerzuschüsse benötigen. Gewinnausschüttungen wie Dividenden müssen ausgeschlossen sein, wenn der Steuerzahler mittelbar oder unmittelbar haftet."
Es ist ein interessanter Fall, denn Thiele ist ansonsten nicht als Befürworter staatlicher Interventionen bekannt: Er bezeichnet die Erbschaftssteuer als eine Art Enteignung, sieht Mindestlohn und Kindergeld kritisch und hat mit seinem Unternehmen Knorr-Bremse schon vor fast 20 Jahren die Tarifbindung aufgekündigt.
Knorr-Bremse nicht tarifgebunden
Eigentlich gilt in der körperlich anspruchsvollen Metall- und Elektroindustrie eine 35-Stunden-Woche. Knorr-Bremse aber ist als einziges Unternehmen dieser Branche im Aktienindex M-DAX nicht mehr tarifgebunden. Auf Anfrage von Panorama schreibt Thiele, man habe "eine längere Arbeitszeit mit allen Beteiligten vereinbart und dafür eine Absicherung der Arbeitsplätze" zugesichert.
Hakan Civelek von der IG-Metall spricht von "Steinzeitkapitalismus" und einem ganzen Arbeitstag ohne Lohnausgleich. Er meint: "Das Erfolgsgeheimnis der deutschen Wirtschaft ist der Flächentarifvertrag. So muss man sich über Qualität und Innovation, nicht über Kosteneinsparung durch Lohndumping durchsetzen. Herr Thiele macht da einen Strich durch und setzt das gesamte Tarifgefüge unter Druck."
Arbeitsplätze ins Ausland verlagert
Thiele präsentiert sich gerne als Macher, der den Wirtschaftsstandort Deutschland vorangetrieben hat. Für seinen unternehmerischen Erfolg wurde er auch immer wieder von Spitzenpolitikern wie Peter Gauweiler oder Horst Seehofer gelobt. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Knorr-Bremse in den vergangenen 13 Jahren die Arbeitsplätze in Deutschland mehr als halbiert und viele ins Ausland verlagert hat. Gewerkschafter beklagen, regelmäßig seien Unternehmen aufgekauft und wenige Jahre später geschlossen worden, um dann die meisten Arbeitsplätze in Billiglohn-Länder zu verlagern.
Aktuelles Beispiel sei der Standort Wülfrath: Von Knorr-Bremse 2016 übernommen, ist er heute von einer weitgehenden Schließung bedroht. Dabei habe Knorr-Bremse bei der Übernahme ein Zukunftskonzept versprochen. Im Gegenzug verzichtete die Belegschaft auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das Zukunftskonzept sei jedoch nie vorgelegt worden. Auf Anfrage von Panorama ging Knorr-Bremse nicht auf diesen Vorwurf ein.
Auch im aktuellen Geschäftsbericht von Knorr-Bremse werden aufgrund der Corona-Krise „deutlich rückläufige“ Mitarbeiterzahlen angekündigt. Im selben Bericht wird die bevorstehende Dividenden-Auszahlung angekündigt, mit der Heinz-Hermann Thiele über 200 Millionen Euro einnehmen dürfte. Während sein Vorzeige-Unternehmen Kurzarbeit in Anspruch nimmt und er wohl auf Steuergelder für die Lufthansa hofft.
* In einer früheren Version hatten wir behauptet, Heinz Hermann Thiele sei Mitglied in der CSU. Das ist falsch, wir bedauern diesen Fehler.