Die Ernte ist sicher - nur die Erntehelfer nicht
Eigentlich gelten für Erntehelfer in der Coronakrise strenge Regeln: zum Beispiel möglichst kleine Gruppen und keine Mehrbettzimmer. Doch die Vorgaben werden offenbar nicht immer eingehalten.
Trotz der Corona-Schutzregelungen für Erntehelfer ("Saison-Arbeitskräfte") kommt es zu Verstößen gegen allgemein geltende Regeln des Gesundheitsschutzes. Nach Panorama-Recherchen werden Erntehelfer in großen Betrieben, etwa in Rheinland-Pfalz, weiterhin in Gruppen von 40 bis 70 Personen in einem Anhänger vom Hof zu den Feldern transportiert. Dabei tragen sie offenbar keine Masken. Arbeitsgruppen haben eine Größe von bis zu 45 Personen. Viele Erntehelfer schlafen auch auf zu engem Raum. Eigentlich sollen laut Hygieneschutzbestimmungen Zimmer nur halb belegt werden. Erntehelfer schildern aber, dass sie wie in den Jahren zuvor in voll besetzten Mehrbettzimmern in Wohn- Container schlafen - Bett an Bett.
Szabolcs Sepsi ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund zuständig für Saisonarbeiter und kritisiert, es sei absehbar gewesen, dass einige Landwirte die Vorgaben nicht umsetzen werden: "Die Bedingungen auf den Feldern, so wie wir sie aus unserer jahrelangen Arbeit vor Ort kennen, eignen sich schlicht nicht dafür, solche Regelung einzuhalten. Hier wird die Gesundheit der Erntehelfer gefährdet."
Klöckner sieht keine Gefahr
Doch Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner sieht niemanden in Gefahr: "Es kommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die frei entscheiden können, wo sie arbeiten wollen in Europa, weil sie Geld verdienen möchten."
Das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hatten am 2. April ein Konzept beschlossen, unter welchen Bedingungen Saisonarbeiter wieder einreisen dürfen. Darin steht, dass die Erntehelfer nach ihrer Einreise in eine 14-tägige Quarantäne müssen und in möglichst kleine Gruppen von fünf bis maximal ca. 20 Personen aufgeteilt werden.
Keine klaren Regeln
Wie die Vorgaben von BMEL und BMI umgesetzt werden müssen, darüber besteht erhebliche Uneinigkeit in der Branche: Viele Bauern interpretieren die Regelungen so, dass die Arbeitsgruppenbeschränkung und die halbe Zimmerbelegung nicht für die 20.000 Erntehelfer gelten, die bereits vor dem 2. April nach Deutschland eingereist sind - und auch nicht mehr nach Ablauf der14 tägigen faktischen Quarantäne.
So hat sich ein Regel-Chaos gebildet, das sich teilweise von Landkreis zu Landkreis unterscheidet. Das Gesundheitsamt im Rhein-Pfalz-Kreis, wo sehr viele Erntehelfer eingesetzt werden, empfiehlt den dortigen Betrieben die Hygienemaßnahmen auch länger und für alle Erntehelfer umzusetzen. Rechtlich bindend sind die Vorgaben nach 14 Tagen offenbar nicht mehr.
Arbeitsschutz gilt auch für Erntehelfer
Auch wenn es für die vorher eingereisten Erntehelfer keine speziellen Regeln gibt, fallen sie doch unter den allgemeinen Arbeitsschutz. Zudem gelten seit dem16. April die an die Corona-Krise angepassten Arbeitsschutz-Standards. Auf Nachfrage teilte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) mit: "Der Arbeitsschutzstandard gilt für alle Betriebe und muss der Situation angepasst angewendet werden, wobei das Schutzniveau nicht unterschritten werden darf." Demnach sollen in der Landwirtschaft "möglichst kleine, feste Teams (z.B. 2 bis 3 Personen)" zusammenarbeiten. Darüber hinaus sind die für Saisonarbeitskräfte üblichen Mehrbettzimmer nicht gesetzeskonform, denn: "Grundsätzlich ist eine Einzelbelegung von Schlafräumen vorzusehen. Eine Mehrfachbelegung von Schlafräumen ist grundsätzlich nur für Partner bzw. enge Familienangehörige statthaft." Abweichungen seien im Einzelfall möglich, "wenn zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, die den Infektionsschutz auf gleiche Weise sicherstellen."
"Nichts weiter als eine Farce"
So entstehen erhebliche Wettbewerbsverzerrungen, denn die Einhaltung dieser Corona-Regeln führt bei den Bauern zu erheblichen Mehrkosten. Außerdem gefährden sich die Erntehelfer in den großen Gruppen gegenseitig. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorff, der selbst Landwirt ist, meint, "die Vorgaben der Bundeslandwirtschaftsministerin sind nichts weiter als eine Farce. Sie gaukeln Sicherheit vor, wo es keine Sicherheiten gibt. Dieses unverantwortliche Handeln bezahlen die Erntehelfer unter Umständen mit ihrer Gesundheit."
Professor Stefan Sell, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz sieht in dem Konzept von BMEL und BMI lediglich einen "Versuch, durch symbolische Politik Beruhigungspillen zu verteilen, weil natürlich in der Realität auf den Höfen vieles von dem, was da auf dem Papier steht, so gar nicht organisiert werden kann."
Gemüseproduzent Rudolf Behr aus Niedersachsen hält die Regeln bei allen seinen Mitarbeitern ein. Er geht für seinen Betrieb von Mehrkosten von 1,2 Millionen Euro aus: "Wir haben Hotels, Jugendherbergen, Gastronomie mit angemietet, die Leute mit aufnehmen. So konnten wir das entzerren. Und wir machen jetzt zusätzliche Maßnahmen, dass wir Sanitär-Container zusätzlich holen." Behr hofft, nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben, denn die Gemüsepreise sind oft sehr niedrig und die Gemüsebauern stehen unter hohem Wettbewerbsdruck: "Wenn jemand glaubt, dass er das ein bisschen umgehen kann, damit er kostengünstiger arbeitet, ist das eine Schweinerei. Das muss man ganz deutlich sagen, weil es eine Wettbewerbsverzerrung ist. Neben der Gefährdung der Leute wird sich da ein Vorteil geholt."