Unbescholten in der Polizeikartei: Jeden kann es treffen
Ein Zeitungsartikel hat Gert Tersteegen kürzlich aufhorchen lassen: Unbescholtene Bürger seien zu Unrecht in Datenbanken der Polizei gespeichert, las er. Da erinnerte sich der Anwalt aus München dunkel an eine Auseinandersetzung mit einem renitenten Nachbarn, der ihn schließlich sogar wegen Sachbeschädigung angezeigt hatte. Der Anlass war ein Streit um einen Autowaschplatz.
"Das war alles Schwachsinn"
Tersteegen lebt in einem Mehrfamilienhaus samt Tiefgarage. Dort hat jeder Bewohner einen Stellplatz, und zusätzlich gibt es einen Waschplatz für die Hausgemeinschaft. Dort parkte der Nachbar - zum Verdruss vieler Mitbewohner - regelmäßig. Irgendjemand knickte ihm dann die Antenne seines Autos ab. Ein Täter wurde nie ermittelt, auch die Anzeige gegen Tersteegen führte zu nichts. "Das war alles Schwachsinn", echauffiert sich der Anwalt noch Jahre später.
Noch mehr ärgerte er sich aber, als er auf seine Datenabfrage tatsächlich die Bestätigung von der Polizei bekam, dass er trotz zwei eingestellter Verfahren weiterhin in den Datenbanken der bayrischen Polizei zu finden war: Einmal wegen der Sachbeschädigung und dann noch wegen einer Betrugsanzeige eines gegnerischen Anwalts. In beiden Fällen waren die Ermittlungsverfahren gegen ihn längst eingestellt worden. Warum aber speichert dann die Polizei etwas über ihn? Und was kann das für Nachteile mit sich bringen?
Argument der Gefahrenabwehr
Die Logik der Polizei ist nämlich eine andere, als man gemeinhin glauben mag. Wenn sich die Tat nicht erwiesen hat, dann ist man unschuldig, oder? Doch die Polizei tickt anders: Zur Gefahrenabwehr speichert sie meist auch solche eingestellten Verfahren - im Regelfall für zehn Jahre. Die Person könnte ja irgendwann mal wieder auffallen, und dann ist es gut zu wissen, was in der Vergangenheit war. Aber es gibt aus Sicht der Polizei noch weitere Gründe, sagt Thomas Nölle, der Datenschutzbeauftragte der Münchener Polizei: "Wenn ich jetzt aber den Hinweis bekomme aus solchen Informationssystemen, dass jemand mal bewaffnet oder gewalttätig war, dann schaue ich natürlich, wenn er seinen Führerschein aus dem Handschuhfach holt, genauer hin, ob der nicht eine Waffe rausholt."
Polizei spricht von Einzelfällen
Klingt nachvollziehbar, so wie auch die Versicherungen der Polizei, dass zu Unrecht gespeicherte Personen Einzelfälle seien, aber der bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Thomas Petri, findet in Stichproben gar nicht selten zu Unrecht gespeicherte Personen. Für ihn liegt ein strukturelles Problem vor. Petri fordert, dass der Informationsaustausch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften vereinfacht wird. Zurzeit ist es so, dass die Staatsanwaltschaft, die die Aufsicht über die Ermittlungen der Polizei führt und am Ende darüber entscheidet, ob es etwa zu einer Anklage oder zu einer Einstellung kommt, die Polizei nicht automatisch informiert. So erfährt diese oft nicht, dass ein Verfahren eingestellt wurde - und somit verbleibt die Person in den Datenbanken der Polizei.
Keinen Job aufgrund der Speicherung?
"Da mag der eine oder andere sagen: 'Ach, mir ist egal, in welcher Datei ich mich finde.' Das kann aber auch plötzlich wieder von Relevanz sein. Dann kann sich das natürlich für jemanden auswirken etwa bei der Frage, bekommt jemand die Stelle oder nicht", warnt die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Andrea Voßhoff. Immer häufiger wird auch bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei Jobs in sicherheitsrelevanten Bereichen auf solche Datenbanken zurückgegriffen. Unter Datenschützern kursieren Geschichten von Bewerbern, die aufgrund von solchen Einträgen einen Job nicht bekommen haben. Aus diesem Grund fordern Datenschützer klare Regeln für die Speicherungen, die zurzeit häufig zu vage formuliert und aus Sicht der Datenschützer von der Polizei zu weit ausgelegt werden.
Vom Demo-Rechtsschutz zum Strafverfahren
Anke Langensiepen fühlte sich zu Unrecht stigmatisiert. Die Familienanwältin aus Frankfurt hatte ehrenamtlich Rechtsschutz bei einer Demonstration angeboten. Aus der Demo flogen Steine, die Polizei kesselte die Gruppe ein, unter anderem auch Langensiepen. Zwar gab sie schon bei der Personalienaufnahme an, dass sie als Anwältin im Einsatz sei, trotzdem ermittelte die Polizei zunächst gegen sie. Das Verfahren wurde eingestellt, aber die Anwältin verblieb in der Datenbank und erhielt zusätzlich einen Vermerk: "Gewalttäterin - politisch links". Ein Eintrag mit Folgen: "Jeder Polizeibeamte kann sehen oder davon ausgehen, ich sei eine Gewalttäterin, und es kann zum Beispiel Ärger an der Grenze geben, wenn ich in den Urlaub fahre." Sie musste erst klagen, bis der Eintrag gelöscht wurde.
BKA fordert höchste Sorgfalt
Die Polizei müsse im Umgang mit diesen Datenbanken "höchste Sorgfalt an den Tag legen", so der Vizepräsident des BKA, Peter Henzler, da falsche Eintragungen "eben tatsächlich auch negative Auswirkungen haben" könnten. Der bayerische Datenschützer Petri fasst das Dilemma so zusammen: "Wie schützen wir die Gesellschaft vor den Straftätern, ohne dass wir Bürger, die nichts getan haben, kriminalisieren?"