Stand: 20.06.2017 18:17 Uhr

Göttinger Polizei sammelt offenbar illegal Daten

von Philipp Hennig & Barbara Schmickler

Eric A. studiert Geschichte, engagiert sich bei der Basisdemokratischen Linken an der Universität Göttingen, organisiert Vorträge und geht auf Demos. Seit einigen Tagen weiß er, dass beim Göttinger Staatsschutz Daten über ihn gesammelt wurden. Über ihn wurde ein Steckbrief angefertigt. Außerdem findet sich ein Foto von ihm auf einer Demonstration in den Akten. Wieso und warum der Staatsschutz ihn beobachtete? Eric A. weiß es nicht. "Ich war entsetzt. Woher haben die dieses Bild?", fragt er sich.

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"Mehrere Hundert Personen betroffen"

Eric A. hat über seinen Anwalt Sven Adam von den Daten erfahren. Adam geht davon aus, dass über Jahre mehrere Hundert Personen betroffen sind: "Wir können sagen, dass es sich offensichtlich um linksmotivierte Personen gehandelt hat."

Rechtsanwalt Sven Adam
Rechtsanwalt Sven Adam hat für mehr als ein Dutzend Betroffene, die in der Datei auftauchen, Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben.

Die Staatsschützer sind akribisch, observieren zum Teil Aufenthaltsorte, fertigen Steckbriefe an, erfassen Daten aus dem Internet oder zum Arbeitgeber. Insgesamt fünf Ordner füllen sich. Welchem Verdacht der Staatsschutz nachgeht, ist unklar. "Es gibt weder im niedersächsischen Gefahrenabwehrrecht, noch im niedersächsischen Datenschutzgesetz auch nur ansatzweise eine rechtliche Grundlage für eine derartige Form der Datensammelei. Es ist einfach schlicht ein Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht", erklärt Rechtsanwalt Adam gegenüber Panorama 3.

Ermittlungen gegen ehemaligen Staatsschützer

Der Rechtsanwalt vertritt gemeinsam mit einem Kollegen aus Hamburg einen mittlerweile pensionierten Beamten des Göttinger Staatsschutzes. Nach Panorama 3 Recherchen hatte der Beamte in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die illegale Datenspeicherung demonstriert und Vorgesetzte behördenintern informiert. Doch anstatt gegen den Staatsschutz vorzugehen, durchsuchte die Polizei die Privaträume des Pensionärs und stellte Teile der illegalen Datensammlung sicher, die der ehemalige Beamte aus Beweissicherungsgründen kopiert hatte. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Angeblich habe er die Behörde mit den Daten erpressen wollen. Sein Anwalt hält das für vorgeschoben: "Das, was ich sagen kann, ist dass dieser Vorwurf blanker Unsinn in meinen Augen ist und strafrechtlich nicht ansatzweise haltbar. Ich gehe davon aus, dass das Verfahren gegen den Beamten sehr schnell eingestellt werden wird."

Weil der Beamte sich nach der Hausdurchsuchung einen Rechtsanwalt nahm, kam die Existenz der illegalen Datensammlung ans Licht. Offenbar war auch die Polizei nach den Hinweisen des pensionierten Beamten aktiv geworden. In einer Pressemitteilung der Polizeidirektion Göttingen teilt diese mit, die Unterlagen seien bereits vernichtet worden.

Kritik am Vorgehen der Polizei

Stefan Birkner, stellvertretender Vorsitzender der niedersächsischen FDP-Fraktion
Fragt sich, warum die Daten so lange ohne Rechtsgrundlage gesammelt werden konnten: Stefan Birkner, stellvertretender Vorsitzender der niedersächsischen FDP-Fraktion.

Trotzdem stellt sich die Frage: Warum gab es diese Datensammlung? Wollte sich die Polizei einen Überblick über die Linke Szene in Göttingen verschaffen? "Wenn sich das bestätigt, was man annehmen muss, dass keine Rechtsgrundlage da ist, dann ist das auch ein politisches Thema, warum denn hier diese Daten gespeichert worden sind und warum das auch über so einen langen Zeitraum geschehen konnte ohne das eingeschritten wurde", sagt Stefan Birkner, stellvertretender Vorsitzender der niedersächsischen FDP-Fraktion.

Keine Antwort der Polizei

Eric Angermann
Eric A. war entsetzt, als er erfuhr, dass Daten über ihn gesammelt wurden.

Warum niemand eingeschritten ist? Das hat Panorama 3 auch die Polizeidirektion in Göttingen gefragt, doch keine Antwort erhalten. Welches Ausmaß die Datensammlung tatsächlich hatte und wer genau aufgenommen wurde - das ist bis heute unklar. Die Polizei Göttingen teilte lediglich in einer kurzen Pressemitteilung mit, sie haben ihre internen Untersuchungen intensiviert.

Rechtsanwalt Sven Adam hat mittlerweile für mehr als ein Dutzend Betroffene, die nach seiner Erkenntnis in der Datei auftauchen, Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit der Klage will er gemeinsam mit den Betroffenen erreichen, dass das Vorgehen des Staatsschutzes auch offiziell als illegal eingestuft wird.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 20.06.2017 | 21:15 Uhr

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