Terror von rechts
Warum stach der 44-jährige arbeitslose Frank S die Kölner Sozialdezernentin und OB-Kandidatin Henriette Reker nieder und verletzte sie und weitere Menschen schwer? "Fremdenfeindliche Motive des Täters waren ausschlaggebend", sagte der ermittelnde Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn gestern zum derzeitigen Stand der Ermittlungen, der auf Zeugenaussagen und ersten Vernehmungen des Täters beruht.
Die meisten Medien übernahmen diese Einschätzung. Doch beim genaueren Nachdenken überrascht diese Formulierung: Denn Henriette Reker ist mit Sicherheit nicht "fremd" in Köln. Der Täter mag ein Fremdenfeind sein - und obendrein sogar "verwirrt". Seine Tat aber - und seine eigene Begründung dafür - ist nicht "fremdenfeindlich", sondern rechtsextrem. Und damit ist sie die neueste Eskalation in einer Terrorwelle von rechts, die seit Monaten durchs Land schwappt: Da sind die brennenden Flüchtlingsunterkünfte, die Hass-Kommentare und Bedrohungen im Internet, die Angriffe auf Journalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer.
Gewaltsames Vorgehen gegen Zivilisten
Was aber kennzeichnet Terrorismus? Laut Prof. Peter Waldmann, lange Jahre einer der führenden Terrorismusexperten, versteht man unter Terrorismus "planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund. Sie sollen vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft." Die Harvard-Professorin Louise Richardson, die als eine der führenden Experten für Sicherheitspolitik gilt, schlägt folgende Definition vor: "Terrorismus bedeutet einfach, für politische Zwecke planmäßig und gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen."
Sicherlich kann man lang und breit darüber diskutieren, ob es einer politischen Organisation und einer Gruppe bedarf (wie es das Strafrecht fordert), um von "Terrorismus" sprechen zu können. Zu bedenken ist allerdings auch, dass der wohl furchtbarste rechtsterroristische Anschlag der europäischen Nachkriegsgeschichte von einem fanatischen Einzeltäter geplant und durchgeführt wurde: Anders Behring Breivik brauchte weder eine rechte RAF noch sonstige Helfer, um in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen zu ermorden und eine Spur der Verwüstung zu hinterlassen.
Täter war ein bekannter Neonazi
Der Täter von Köln war genau wie Breivik schon früher in rechtsextremen Kreisen aktiv. Der Journalist Sebastian Weiermann, der hauptsächlich über Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen berichtet, enthüllte gestern, dass der Kölner Täter in den 90er Jahren offenbar in der später verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) aktiv war. Auch soll er bereits wegen Gewalttaten inhaftiert gewesen sein.
Die Kölner Polizei konnte diese Angaben auf Anfrage am Sonntag "weder bestätigen noch dementieren". Aufgrund gesetzlicher Löschpflichten lägen dazu momentan keine Erkenntnisse vor. Der Täter habe aber selbst angegeben, vor Jahren in der rechtsradikalen Szene aktiv gewesen zu sein - weitere Ermittlungen liefen noch. Spätestens mit der gestrigen Tat hat Frank S. seine rechtsextreme Vergangenheit in die Gegenwart katapultiert.
Täter ist voll schuldfähig
Dass der Täter "geistig verwirrt" gewirkt habe, spricht ebenfalls kaum gegen die Einstufung der Tat als Terrorakt. Auch mindestens einer der drei „Charlie Hebdo“-Attentäter, Amedy Coulibaly, litt unter Persönlichkeitsstörungen und war bereits als Minderjähriger als „psychopathische Persönlichkeit“ eingestuft worden. Dennoch kann es keinen Zweifel daran geben, dass seine Taten Teil eines islamistisch motivierten Terrorismus waren. Gleiches gilt im linksextremen Bereich für einige RAF-Täter, an deren „psychischer Gesundheit“ im engeren Sinn man ebenfalls erhebliche Zweifel haben kann. Laut den Ermittlern jedenfalls ist der Mann voll schuldfähig, wie eine psychologische Begutachtung ergab.
In jedem Fall aber kann man sich lebhaft vorstellen, dass die polizeiliche und mediale Einschätzung deutlich anders klingen würde, wenn der Täter von Köln Salafist wäre und "Allahu Akbar“ gerufen hätte. Polizei und Staatsanwaltschaft, Medien, Politik und die demokratische Zivilgesellschaft täten gut daran, die Bedrohung durch den Terror von rechts ernst zu nehmen - und zwar deutlich ernster als bisher. Schon der NSU sollte gezeigt haben, dass es nichts bringt, sich auf Terrorismus-Definitionen zu verlassen, während Rechtsextremisten unbemerkt mordend durchs Land ziehen.
Den Symbolen folgen Taten
Es kann daher nicht sein, dass jemand, der auf einer öffentlichen Demonstration mit einem Galgen "spazieren geht", an dem einst Angela Merkel und Sigmar Gabriel baumeln sollen, zunächst unbehelligt bleibt (gleiches gilt im Übrigen für die Guillotine auf der Anti-TTIP-Demonstration). Zwar nahm die Staatsanwaltschaft nach dem medialen Bekanntwerden am Dienstag Ermittlungen gegen "Unbekannt" auf, doch der Täter gibt der "Bild"-Zeitung Interviews, während eine Chemnitzer Anti-Flüchtlingsinitiative den Mann sogar begeistert feiert.
Es kann nicht sein, dass dieselben "besorgten Bürger" tage- und wochenlang rechtswidrig Zufahrten zu geplanten Flüchtlingsunterkünften blockieren und Mitarbeiter des Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerkes attackieren, während die Polizei daneben steht und zuschaut. Und es kann nicht sein, dass die Behörden sich nicht in der Lage sehen, bei Pegida-, Legida- und sonstigen Aufmärschen der Flüchtlingsgegner die Pressefreiheit zu schützen.
Offener Hass gegen die Demokratie
Die Anti-Islam- und Anti-Flüchtlings-Bewegung hat sich längst radikalisiert. Sie trägt ihren Hass auf „die Medien“, „die Politiker“ und „das System“ offen zur Schau. Unter den Mitläufern finden sich organisierte Rechtsextremisten. Sie beleidigen, sie drohen, sie zündeln, sie greifen an. Die Tat von Köln zeigt, dass jedweder Dialog mit dieser Klientel zum Scheitern verurteilt ist. Sie wollen einen anderen Staat, eine andere Gesellschaft, ein anderes System, ein anderes Land. Wer es mit dem Schutz der Demokratie ernst meint, muss deshalb vor allem eines: den Terror von rechts benennen und ihm entgegen treten.