Biedermann als Brandstifter: Wer zündet Flüchtlingsheime an?
Es ist ein kleines, leer stehendes Einfamilienhaus am Rande des Ortes, das die Besitzerin als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stellen wollte. So hatte sie es im Internet angekündigt. Kurz darauf brennt das Haus im thüringischen Gerstungen. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Nur zwei Tage nach dem Brand findet in der 6.000 Einwohner-Gemeinde der große Kirmesumzug statt. Der Brandanschlag ist ein großes Thema. Von Betroffenheit jedoch keine Spur. An einem der Wagen heißt es spöttisch auf einem Plakat: "Abgebrannt ist uns’re Hütte. Gebt uns Asyl, bitte, bitte! Aber kein Container, nein. Kann es vielleicht ein Schlösschen sein?" Von Panorama-Reportern zu dem Brand befragt, zeigen sich die meisten im Ort betroffen über die Tat, manch ein Bewohner sieht aber auch eine gewisse Berechtigung: Viele Menschen seien verunsichert, da der Staat angeblich "alle rein" lasse und zu wenig "fürs eigene Volk" tue. "Wenn wir nicht gehört werden, dann passiert halt sowas", sagt eine Frau. "Dann gibt es halt Menschen, die machen das".
Brandstiftung als Selbstjustiz
Eine Haltung, die in Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stößt. Die Rede ist dann meist von mehr oder weniger "berechtigten Ängsten". Es ist aber auch eine Haltung, die dazu führt, dass sich einige offenbar dazu ermutigt fühlen, das vermeintliche Recht selbst in die Hand zu nehmen und gegen Flüchtlingsunterkünfte vorzugehen. Fast täglich kommt es in den letzten Wochen zu Anschlägen. Nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" gab es allein seit Mitte Juli 37 Brandstiftungen, seit Anfang des Jahres insgesamt 61. Nur in zehn Fällen konnten bislang Tatverdächtigeermittelt werden. Dies liegt offenbar auch daran, dass die Täter oft Rückhalt in der Bevölkerung finden. Besonders besorgniserregend: Zwei Drittel aller Unterkünfte waren bewohnt und nur mit Glück ist bislang kein Mensch ernsthaft zu Schaden gekommen.
Karte: Brände in Flüchtlingsunterkünften 2015 - Stand: 17.9.2015, die Punkte bezeichnen die Städte, nicht den genauen Standort - blau: Brandanschläge / hellblau: Tatverdächtige ermittelt
Täter aus der Mitte der Gesellschaft
Bernd Merbitz, Leiter des Operativen Abwehrzentrums (OAZ) in Leipzig und damit zuständig für politische Straftaten, spricht in Panorama von schwierigen Ermittlungen. Oft sei der Kreis der möglichen Verdächtigen extrem groß. Oft stammten sie aus der Mitte der Gesellschaft, seien zuvor nie straffällig geworden. "Wir haben es mit der ganzen Breite der Bevölkerung zu tun", sagt Merbitz. Der Täter sei längst "nicht immer der klassische Rechtsextremist, der schon viele Vorstrafen hat".
Das bestätigt auch Maren Brandenburger, Leiterin des Landesamts für Verfassungsschutz Niedersachsen: "Diejenigen, die die Taten verüben, gehören zu einem großen Teil noch nicht einmal dem Rechtsextremismus an." Es gebe ein Klima, "das durch Internet-Beiträge und durch gesellschaftliches Anerkanntsein offensichtlich geschürt wird". Fremdenfeindliches, rassistisches Denken scheine als Bodensatz vorhanden zu sein. "Und diejenigen, die diese Taten verüben, glauben möglicherweise, Vollstrecker eines solchen Willens der Gemeinschaft, des so genannten Volkswillens zu sein."
Die Verantwortung der Politik
Der Vollstrecker des Willens einer vermeintlichen Mehrheit - so ähnlich sah es vielleicht auch der Mann, der im Februar in Escheburg in Schleswig-Holstein eine geplante Unterkunft angesteckt hat. Er ist bislang der einzige Brandstifter aus diesem Jahr, der bereits angeklagt und verurteilt worden ist. Im Prozess bereute er seine Tat. Allerdings sagte er auch, er habe gedacht, etwas Gutes zu tun, Frauen und Kinder zu beschützen. Der Mann, ein Finanzbeamter, war zuvor nie durch rechtsextreme Straftaten aufgefallen.
Der Historiker Wolfgang Benz, der sich mit den Folgen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit befasst, sieht hier auch die Politik in der Verantwortung. Die Diskussion über "berechtigte Ängste" bereite ihm großes Unbehagen, sagt Benz. Wenn die Angst vor Ausländern, vor Flüchtlingen als berechtigt bezeichnet werde, dann werde sie legitimiert. Sie sei aber nicht legitim. "Denn wenn die Ängste berechtigt sind, dann schreit das ja nach Handlung, und das haben wir inzwischen ja auch erlebt." Deshalb müsse man vielmehr klar machen, dass die Ängste eben nicht berechtigt seien. "Der ganz normale Bürger - wenn er unzufrieden ist, wenn man ihn in Wut versetzt, dafür hat der Historiker genug Beispiele - der wird dann gefährlich", so Benz.