Stand: 17.09.2015 17:00 Uhr

"Die Politik muss deutlich machen, dass Fremde keine Feinde sind"

Professor Dr. Wolfgang Benz ist Historiker und Vorurteilsforscher. An der Technische Universität Berlin leitete er bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung, das über Vorurteile und ihren Folgen, wie Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus forscht. Zur Zeit beschäftigt er sich mit der Anti-Islam-Bewegung Pegida. Mit Panorama sprach er über die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime.

Panorama: In den vergangenen Monaten fanden fast täglich Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte statt, zum Teil mit Zustimmung der Bevölkerung - was hat die Politik falsch gemacht?

Wolfgang Benz: Die Politik macht immer dann Fehler, wenn sie etwas nicht rechtzeitig deutlich benennt. Wenn die Politik zu lange von "berechtigten Ängsten und Sorgen" spricht, dann glaubt die Sekte der Wutbürger irgendwann, sie habe auch den Beifall der Politik.

Was halten Sie davon, dass Politiker das Gespräch mit "besorgten Bürgern" über "berechtigte Ängste" gesucht haben?

Wolfgang Benz, Historiker und Vorurteilsforscher
"Rechtsextreme erkennt man nicht am Outfit", so der Historiker und Vorurteilsforscher Wolfgang Benz.

Mir hat diese Diskussion über "berechtigte Ängste" großes Unbehagen bereitet. Denn wenn Ängste berechtigt sind, schreit das nach Handlung - das haben wir inzwischen ja auch erlebt. Man hätte sagen müssen: "Wir sehen, ihr habt Angst", aber man hätte ihnen dann klar machen müssen, dass diese Angst nicht berechtigt ist. Stattdessen hat man nicht nur ihre Angst, sondern auch das Gefühl bestätigt, dass Politik und Gesellschaft nichts tun und man zur Selbstjustiz greifen muss.

Begehen diese Anschläge nur die "klassischen Nazis" mit Springerstiefel und Bomberjacke?

Meiner Meinung nach kommen die Anschläge gegen Asylbewerberheime sehr weit aus der Mitte. Das sind Leute, die Angst haben, sich bedroht fühlen und dann nachts wüten und am anderen Tag gehen sie ihrem Job als Buchhalter oder Molkereifachmann nach. Man macht sich nicht bewusst, wie sehr rechte Parolen in der Mitte fruchtbaren Boden finden.

Spiegeln denn Bewegungen wie Pegida die deutsche Gesellschaft wider?

Der Spruch der Pegida- Leute "Wir sind das Volk" ist reine Usurpation. Tatsächlich war das schon in Rostock Lichtenhagen vor bald 20 Jahren genauso: Sie glauben, einen Auftrag zu haben, fühlen sich als Missionare, tun das, von dem sie glauben, dass es die Mehrheit will, sich aber nicht auszuführen traut.

Ist es denn die Stimme der Mehrheit?

Diese aggressiven Wutbürger sind Gottseidank nicht die Mehrheit, sie reden sich das nur ein und hoffen auf den Beifall der Mehrheit. Umfragen zeigen Gottseidank ein anderes Bild.

Gibt es einen Unterschied zwischen den "besorgten Bürgen" und Rechtsradikalen?

Ich habe diese Leute auch als normale Bürger wahrgenommen - ich bin nur nicht so blauäugig zu glauben, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen normalen Bürgern und einer kleinen Gruppe von Bösen gibt, die dann Böses tun. Der ganz normale Bürger wird, wenn er unzufrieden ist, wenn man ihn in Wut versetzt, gefährlich. Dafür gibt es in der Geschichte genug Beispiele.

Wolfgang Benz, Historiker und Vorurteilsforscher
Wolfgang Benz: "Der ganz normale Bürger wird, wenn er unzufrieden ist, wenn man ihn in Wut versetzt, gefährlich."

Das große Versäumnis der Politik besteht darin, sich selbst einzureden "wir sind gut, nur ein paar wenige sind böse". Die Politik könnte aus der Geschichte lernen und sollte wissen, dass das Dritte Reich nicht von 100 Prozent Nazis am Leben und Wirken gehalten wurde. Die Sympathisanten waren in großer Zahl vorhanden. Die Politik müsste daraus gelernt haben, dass man einen Rechtsextremen nicht am Outfit erkennt.

Warum glauben einige der Täter, sie hätten quasi eine Berechtigung Unterkünfte anzuzünden?

Diese Selbstjustiz trägt Elemente von Herrenmenschentum. Da ist eine Menge Rassismus dabei, weil Flüchtlinge in den Augen der Brandstifter keine gleichwertigen Menschen sind. Keine Nachbarn, sondern lästige Fremden. Das legitimiert sie in ihrem Verständnis, die Unterkünfte abzufackeln.

Was ist die Aufgabe der Politik?

Die Politik muss deutlich machen, dass Fremde keine Feinde sind - erfreulicherweise findet das auch statt. Flüchtlinge sind aufgrund unserer Verfassung hier aufzunehmen, haben ein Anrecht auf Schutz und eine korrekte Prüfung, ob ihr Anspruch mit unserer Verfassung vereinbar ist. Sie dürfen nicht an den Grenzen abgewiesen werden, weil wir Angst haben, weil es Kolonnen von Flüchtlingen sind. Die Politik muss das vertreten, was in unserer Verfassung steht: Politisch Verfolgte genießen Asyl!

Wir berufen uns gerne auf die Werte des christlichen Abendlandes, verstehen uns als eine christliche Gesellschaft. Ist es da nicht das allererste Gebot, sich in Not befindlichen Nachbarn zu helfen, wenn sie um Hilfe bitten?

Das Interview führte Johannes Jolmes.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 17.09.2015 | 21:45 Uhr

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