Anja Reschke: "Diskutieren - aber ohne Hetze"
Die Resonanz auf den Kommentar von Anja Reschke in den Tagesthemen war überwältigend. Hier antwortet sie auf die zahlreichen Zuschriften.
Liebe Kommentatoren,
die breite Resonanz, die mein Kommentar in den Tagesthemen ausgelöst hat, hat mich überwältigt. Ich habe unheimlich viel positiven Zuspruch erfahren, der mich darin bestärkt hat, dass sich viele Menschen in Deutschland einen hetzerischen Ton und eine generelle Verunglimpfung von Flüchtlingen nicht gefallen lassen wollen. Das stimmt mich froh, weil es zeigt, dass die Mehrheit der Menschen nicht rassistisch ist und den Flüchtlingen gegenüber sogar positiv eingestellt sind. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken.
Natürlich gibt es auch Kritik
Aber es gab natürlich auch viel Kritik zu meinem Kommentar, auf die ich an dieser Stelle auch gerne eingehe. Denn ich finde es ja wichtig, dass man diskutiert und ich habe Kommentare ja eingefordert. Und deshalb ist die Behauptung auch falsch, dass man in diesem Land nicht über dieses Thema diskutieren dürfte. Das Gegenteil ist der Fall, man muss darüber diskutieren. Aber meiner Meinung nach eben nicht in einer hetzerischen Art und Weise.
Viele haben mir vorgeworfen, dass ich es mir ja sehr einfach gemacht hätte und einfach alle, die "anders" denken diffamiert, beleidigt oder bevormundet hätte: Ich muss an dieser Stelle ganz deutlich sagen, dass das nicht stimmt. Mein Thema war sehr konkret: "Hetze im Netz gegen Flüchtlinge" - ein Kommentar zum vorhergehenden Bericht dazu. Das habe ich sicher sehr pointiert getan, aber ich halte meinen Kommentar weder für besonders mutig noch für herausragend. Ich habe lediglich gesagt, dass ich rassistische, menschenverachtende und verhetzende Äußerungen nicht tolerieren kann und diejenigen, denen das so geht wie mir, aufgefordert, sich gegen solche Kommentare zu wehren. Damit ist die Gruppe der Menschen, die ich kritisiert habe, klar eingegrenzt.
Geht es um Hetze oder um Flüchtlinge?
In den meisten Ihrer Zuschriften ging es aber gar nicht um die Hetze, sondern um das gesamte Thema Flüchtlinge. Ich habe einen Kommentar von knapp zwei Minuten gesprochen, in dem ich natürlich nicht auf alle Aspekte des Flüchtlingsthemas eingehen konnte. Dennoch nehme ich dazu gerne Stellung, auch wenn es nicht Thema meines Kommentars war.
Viele haben behauptet, dass Flüchtlinge vor allem deshalb kommen, weil sie unsere Sozialsysteme ausnutzen wollen. Das mag für einen kleinen Teil stimmen, aber für die Masse ist es einfach falsch. Die Menschen aus Syrien, Eritrea, Irak, Afghanistan fliehen vor allem vor dem Krieg in ihrem Land. Die Menschen aus dem Balkan fliehen aus Perspektivlosigkeit. Sie erwarten sich hier ein besseres, sicheres Leben. Aber in dem Satz "unsere Sozialsysteme ausnutzen" steckt drin, dass all jene, die kommen, sich eigentlich auf die faule Haut legen und sich versorgen lassen wollen. Dagegen spricht aber, dass der Großteil der Flüchtlinge darauf aus ist, schnell Asyl zu bekommen, um ein selbstständiges Leben führen zu können, wozu auch Arbeit gehört.
Legale Möglichkeiten sind kaum vorhanden
Es stimmt auch nicht, dass Politik und "linke Mainstream-Medien" schreien, alle sollen herkommen. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt derzeit so gut wie keinen legalen Weg für Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen, deshalb sind fast alle per se "illegale Flüchtlinge". Erst wenn sie ihren Antrag abgegeben haben und der angenommen wurde, werden sie sozusagen zu "legalen" Asylbewerbern.
Die Not vieler Menschen ist anscheinend so groß, dass es sie auch nicht abschreckt, sich in wacklige Boote zu setzen und den gefährlichen Weg übers Mittelmeer auf sich nehmen. Dass sie mit ihren Kindern wochenlang durch Europa wandern und im Freien schlafen, um in Sicherheit zu gelangen – immer der Gefahr ausgesetzt, beraubt, verjagt oder verhaftet zu werden. Man kann ja gerade sehen, dass sie sich auch nicht davon abhalten lassen, wenn der englische Premierminister Cameron in Großbritannien den Eurotunnel kontrolliert. Dann bleiben sie eben davor sitzen und Frankreich hat das Problem. Das heißt, alle Abschreckungsmaßnahmen, die Europa gerade versucht, halten die Menschen dennoch nicht davon ab zu kommen.
86 Prozent aller Flüchtlinge sind nicht in Europa
Es ist aber sachlich falsch zu behaupten, alle Flüchtlinge wollten nach Deutschland. Laut UNHCR befanden sich 2014 59,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, davon 14,4 Millionen außerhalb ihrer Heimatländer. Nur gut ein Viertel (26 Prozent) dieser Flüchtlinge halten sich in Europa auf. Die Länder, in denen sich derzeit die meisten Flüchtlinge befinden, sind die Türkei, Pakistan, Libanon, Iran und Äthiopien. Richtig ist, dass innerhalb der EU die meisten Asylanträge in Deutschland gestellt werden. Allerdings sind wir auch das Land mit den meisten Einwohnern.
Folgen der schlechten Organisation
Auch die häufig aufgestellte Behauptung, Flüchtlinge wären kriminell, stimmt in ihrer Schlichtheit einfach nicht. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Flüchtlinge öfter straffällig werden als andere Menschen. Aber es ist richtig, dass es derzeit - gerade im Bereich von überfüllten Massenunterkünften - auch zu Problemen kommt. Wenn man 1.000 Menschen in Zelte oder Hallen steckt, wenn für 800 Leute nur 15 Toiletten zur Verfügung stehen, wenn - wie es vorgekommen ist - nicht genügend Wasser zur Verfügung steht, dann kommt es auch zu Gewalttätigkeiten.
Darüber wird - entgegen der Behauptungen von vielen - auch berichtet. Sonst wüsste man ja gar nichts darüber. Aber diese mangelnde Versorgung ist nicht die Schuld der Betroffenen. Und Flüchtlinge sind auch nur Menschen - und damit eben auch verschieden. Es gibt sympathische und unsympathische, aggressive und friedliebende. Per se alle Flüchtlinge als kriminell zu bezeichnen aber bleibt eine rassistische Unterstellung.
Natürlich gibt es Flüchtlinge in meiner Nachbarschaft
Die Frage, die mir viele gestellt haben, ob ich denn privat bei mir Flüchtlinge aufnehme, verstehe ich nicht. Denn darum geht es nicht. Die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen darf und soll ja eben keine Privataufgabe sein, sondern es ist Aufgabe des Staates. Dass der damit im Moment anscheinend überfordert ist, ist nicht die Schuld der Flüchtlinge, sondern die Schuld der Politik. Überhaupt wundert mich, dass immer wieder unterstellt wird, Menschen würden sich für Flüchtlinge aussprechen, aber nichts tun.
Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben in Panorama schon über den Politiker Martin Patzelt berichtet, der Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat - und dafür beschimpft und angefeindet wird. Es gibt massenweise Menschen, die Flüchtlingen helfen oder sie gar aufnehmen wollen.
Auch der Vorwurf, ich hätte das Problem in meiner Nachbarschaft ja nicht, weil ich in meiner "reichen Villa" - die ich übrigens gar nicht habe - ja keine Flüchtlinge um mich hätte, sondern dass diese nur bei den "sozial Schwächeren" abgeladen würden, stimmt nicht. Die Flüchtlinge werden über ganz Deutschland verteilt, und die meisten davon kommen in die großen Städte, in alle Stadtteile. In Hamburg wird derzeit etwa eine Asylunterkunft mitten im feinen und teuren Stadtteil Harvestehude gebaut. Die Kommunen nehmen derzeit wegen der großen Zahl der Flüchtlinge jede Möglichkeit wahr, Flüchtlinge unterzubringen und unterscheiden nicht nach sozial schwachen oder reichen Gegenden.
In meiner unmittelbaren Nachbarschaft ist in ca. 300 Meter Entfernung ein Containerheim für Flüchtlinge, und ca. 50 Meter Luftlinie entfernt von mir sind viele Flüchtlingsfamilien in einem Wohnblock untergebracht. Einen Anstieg an Kriminalität, Verlotterung meines Stadtteils oder Vermüllung aber kann ich nicht feststellen.
Zu arm? Zu reich? Schlechte Gründe gegen Flüchtlinge
"Wir sollten uns lieber um unsere eigenen Armen kümmern" haben mir auch viele geschrieben. Ja, ich kann verstehen, dass man sauer ist auf den Staat, wenn man arbeitslos ist oder nur eine kleine Rente bekommt. Dafür kann aber der Flüchtling, der hierher kommt, auch nichts. Die Argumentationen laufen da komplett gegeneinander. Sind Flüchtlinge arm, dann heißt es, sie wollen nur an unsere Sozialkassen. Sind sie gut ausgebildet, besitzen vielleicht ein Handy oder gute Kleidung, heißt es, sie seien ja nicht hilfebedürftig. Noch widersprüchlicher geht es nicht.
Deutschland kann und muss mehr tun
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht um eine romantische, sogenannte "Gutmenschen"-Betrachtung. Ich bin nicht blind, ich sehe auch, dass es einen enormen Zustrom an Flüchtlingen gibt. Auch ich bekomme mit, dass die vielen Helfer, Übersetzer, Polizisten, aber auch Bürgermeister und Landräte an ihre Grenzen stoßen. Sie sind überfordert, aber Deutschland ist es eben nicht.
Deutschland hat die größte Wirtschaftskraft der EU, Deutschland hat die größte Bevölkerung, Deutschland hat in den vergangen Jahrzehnten bewiesen, was es bewegen kann, wenn die bundespolitische Bereitschaft vorhanden ist - ob Banken- oder Eurokrise, ob Oderflut oder Klimakatastrophe. Aber beim Thema Flüchtlinge lässt der Staat seine Bürger alleine. Darauf können Sie sauer sein. Aber es ist nicht gerecht, dieses Versagen in diffamierenden, platten, rassistischen Kommentaren über "die Asylanten" zu gießen. Das ist plumpe Fremdenfeindlichkeit, und dagegen verwehre ich mich.