Polizisten und Demonstranten mit Transparenten stehen sich am 29.06.2017 bei einer Demonstration von G20-Gipfel-Gegnern auf der Reeperbahn in Hamburg gegenüber. © dpa - Bildfunk Foto: Bodo Marks

G20-Gipfel in Hamburg: Keine Anklage gegen Polizisten

Stand: 06.07.2021 16:54 Uhr

Vier Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg ist bislang in keinem einzigen Fall Anklage gegen Polizisten erhoben worden - trotz zahlreicher Anzeigen und 169 Strafverfahren.

von Andrej Reisin

Trotz zahlreicher Anzeigen gegen Polizeibeamte und 169 eröffneter Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt ist genau vier Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg bislang in keinem einzigen Fall Anklage gegen Polizisten erhoben worden. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor.

Panorama hatte in seiner umfangreichen Berichterstattung über den Gipfel damals unter anderem auch Menschen interviewt, die berichteten, Opfer willkürlicher Gewaltausübung durch Polizeibeamte geworden zu sein. Mehrere Betroffene werden unter Bezugnahme auf Panorama auch in der Kleinen Anfrage der Linkspartei zitiert.

 

VIDEO: Polizeigewalt: Opfer klagen an (4 Min)

Anfrage bezieht sich auf Panorama-Fälle

So wird in der Anfrage unter anderem auf die Tänzerin Lola D. Bezug genommen, die in Panorama berichtete, dass ihr durch einen Schlagstockeinsatz der Polizei ihr Bein gebrochen wurde. Dazu antwortete der Senat: "Das Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Eine Auswertung von Videomaterial hat stattgefunden. Beschuldigte Personen wurden ermittelt und rechtliches Gehör wurde gewährt. Ferner wurden zahlreiche Zeugen vernommen; weitere zeugenschaftliche Vernehmungen stehen noch aus."

Im Hinblick auf Anwohner im Hamburger Schanzenviertel, die in Panorama beklagten, von der Polizei ohne nachvollziehbare Gründe massiv mit Pfefferspray traktiert worden zu sein, lautet die Antwort des Senats, dass das "Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, weil ein rechtswidriges Vorgehen eines konkreten Polizeibeamten nicht festgestellt werden konnte."

 

Weitere Informationen
Rennende Polizisten in der Hamburger Lerchenstraße © PM Cheung

Polizeiübergriff bei G20: Ein verhängnisvoller Abend

Nach dem G20-Gipfel mehren sich die Vorwürfe, auch die Polizei habe stellenweise exzessive Gewalt eingesetzt und mutwillig Menschen verletzt. Ein Betroffener erzählt seine Geschichte. mehr

Aufarbeitung bleibt einseitig

Insgesamt wurden bislang 133 der 169 Strafverfahren gegen Polizisten eingestellt, Anklage wurde in keinem Fall erhoben. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Krawalle verläuft dagegen deutlich anders: Gegen 451 Beschuldigte wurde Anklage erhoben, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzungen und anderer Delikte. Zum Teil wurden dabei mehrjährige Haftstrafen verhängt. Auch über einen Teil dieser Prozesse und damit zusammenhängende Ungereimtheiten bei der Strafverfolgung hatte Panorama immer wieder berichtet.

 

Weitere Informationen
Fabio V.

G20-Prozess: Hartes Vorgehen gegen Fabio V.

Der Fall des jungen Italieners sollte ein Beispiel für erfolgreiche Strafverfolgung von G-20-Demonstranten sein. Doch so einfach scheint es nicht zu sein. Denn die Beweislage ist dünn. mehr

Der innenpolitische Sprecher der Hamburger Linksfraktion, Deniz Celik, kritsierte, es handle sich um ein "erhebliches Rechtsstaatsdefizit: Die strafrechtliche Aufarbeitung von polizeilichen Straftaten ist völlig unzureichend und endet in der Regel mit Einstellungen."

Weitere Informationen
Polizisten stehen im Schanzenviertel vor der Roten Flora - einem Zentrum linker Aktivisten. Im Hintergrund brennen Barrikaden. © dpa Foto: Axel Heimken

G20: Der Gipfel der Gewalt

Politiker, Demonstranten, Randalierer, Schaulustige, Anwohner - und die Polizei: Panorama hat sich mit vielen Facetten des G20-Gipfels beschäftigt. Hier finden Sie alle unsere Beiträge zum Thema. mehr

Polizisten und Demonstranten treffen am "Rondenbarg" aufeinander. © NDR

G20: Angriff auf die Versammlungsfreiheit?

Beim Prozess gegen Fabio V interpretiert die Hamburger Justiz ein Grundrecht neu. Das haben auch ein Bonner Student und ein öffentlich gesuchter Tatverdächtiger erfahren. mehr

Krawalle im Schanzenviertel zum G20-Gipfel © dpa-Bildfunk/ Daniel Bockwoldt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Linke Gewalt: Hamburger Justiz greift durch

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hatte schon kurz nach dem G-20-Gipfel "harte Strafen" gegen G-20-Randalierer gefordert. Hat die Politik die Justiz beeinflusst? mehr

Polizisten und Demonstranten treffen am "Rondenbarg" aufeinander. © NDR

G20: Macht man die Falschen zum Sündenbock?

Ein italienischer G20-Demonstrant sitzt in Untersuchungshaft, die richterliche Begründung dafür ist mehr als fragwürdig. Ein widersprüchliches Polizeivideo wirft Fragen auf. mehr

POISK.MEDIA

Russen von der Schanze: Blogger, keine Randalierer?

Als am 7. Juli die Gewalt im Hamburger Schanzenviertel eskalierte, wurden vier Russen festgenommen und als Gewalttäter dargestellt. Panorama erzählen sie ihre Version. mehr

Polizisten stehen im Schanzenviertel vor der Roten Flora - einem Zentrum linker Aktivisten. Im Hintergrund brennen Barrikaden. © dpa Foto: Axel Heimken

G20-Gewalt: Wer sind die Täter?

Linksextremisten, Demonstranten, Schaulustige, Anwohner - und die Polizei: Panorama hat sich auf Spurensuche begeben und versucht, mit allen Beteiligten zu sprechen. mehr

Sozialpsychologe Harald Welzer
18 Min

Welzer: "Gewalt ist ein Mittel sozialer Praxis"

Weil Politik, Medien und Gesellschaft fast nur noch über die Gewalt beim G20-Gipfel in Hamburg sprechen, waren friedliche Formen des Protestes kaum sichtbar, meint Sozialpsychologe Harald Welzer. 18 Min

Sozialpsychologe Harald Welzer
1 Min

Links und Gewalt schließt sich aus? "Was für ein Unsinn"

Links und Gewalt schließt sich aus? Linke Gewalt hat Tradition, meint Sozialpsychologe Harald Welzer. Das ganze 20. Jahrhundert ist voll von Arbeiterbewegungskämpfen und Revolutionen. 1 Min

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.11.2017 | 21:15 Uhr