Linke Gewalt: Hamburger Justiz greift durch
"Heute ist nicht Königstag." Mit diesen Worten leitete der Hamburger Amtsrichter Johann Krieten am 28. August sein Urteil gegen den 21-jährigen Niederländer Peike S. ein. Der "Koningsdag" wird im Nachbarland ausgelassen gefeiert. Mit der Feststellung, dass heute "nicht Königstag" sei, wollte der Richter offenbar die Härte seines Urteils gegenüber einem Niederländer ankündigen. Peike S., der junge Mann aus Amsterdam, muss zwei Jahre und sieben Monate ins Gefängnis.
Knast - auch ohne Vorstrafen
Das Hamburgische Amtsgericht befand ihn für schuldig, am Vorabend des G-20-Gipfels Anfang Juli zwei leere Flaschen auf einen Polizisten geworfen zu haben. "Schwerer Landfriedensbruch", "gefährliche Körperverletzung" und "tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte" waren die Hauptanklagepunkte gegen ihn. Peike S. war nach Hamburg gekommen, um sich an den Protesten gegen das Treffen der G-20-Staats- und Regierungschefs zu beteiligen. Er ist der erste Gipfelgegner, der verurteilt wurde.
Das Urteil gilt als sehr hart. Peike S. ist nicht vorbestraft. Ersttäter kommen bei einfachen Gewalttaten, die ohne Folgen für den Angegriffenen bleiben, in der Regel mit deutlich milderen Strafen davon. Vor allem werden Gefängnisstrafen in aller Regel zur Bewährung ausgesetzt. Dies ist bei einem Strafmaß von über zwei Jahren aber nicht mehr möglich.
Der Verdacht politischer Justiz
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hatte schon kurz nach dem G-20-Gipfel "harte Strafen" gegen randalierende G-20-Gegner und "Verurteilungen" gefordert. Hat er damit die Justiz beeinflusst? Amtsrichter Krieten ging in seiner Urteilsbegründung auf die Aussagen von Scholz ein. Nicht die "törichten Forderungen" von Politikern hätten zu dem Urteil geführt, sondern "Recht und Gesetz".
Doch Krietens Ausführungen wecken Zweifel: So sprach der Amtsrichter davon, dass Polizisten nicht "zum Freiwild der Spaßgesellschaft", von "Krawalltouristen" und "erlebnisorientierten Gewalttätern" werden dürften. Doch auf den Angeklagten treffen diese Aussagen nur bedingt zu. Er war kein Teil jener Schanzenviertel-"Spaßgesellschaft", die die Gelegenheit zum Alkoholexzess und Plündern von Drogeriemärkten nutzte oder Autos abfackelte, sondern Teilnehmer einer von der Polizei gestoppten politischen Demonstration.
Letzteres legitimiert seine Straftaten keineswegs. Aber der Strafantrag der Staatsanwaltschaft und das Urteil des Amtsgerichtes befassten sich deutlich mehr mit dem Gesamtereignis - den "gewalttätigen Ausschreitungen" und den "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" insgesamt - und weniger mit dem Angeklagten. Wie ist diese Art der "Generalprävention" unter rechtsstaatlichen Aspekten zu werten?
Unstrittig ist jedenfalls, dass sowohl in der Politik als auch in der Justiz eine Stimmung herrscht, die zur Härte gegen die Gipfelgegner antreibt. Bundespolitiker tragen ihren Teil dazu bei. So hat Innenminister Thomas de Maizière etwa das Webportal "linksunten.indymedia.org" verboten. Die Innenminister der Union wollen dem Vernehmen nach den Straftatbestand des Landfriedensbruchs so verschärfen, dass auch Teilnehmer einer Demonstration, die "Gewalttätern in ihrer Mitte" Schutz bieten, dafür belangt werden können. Kritiker sprechen von einem schweren Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit.
Mehr als die Hälfte aller Beschuldigten wegen eines Vorfalls
Insgesamt gehen die Strafverfolgungsbehörden zur Zeit gegen 109 namentlich bekannte Personen vor, die beim G-20-Gipfel demonstriert beziehungsweise randaliert haben sollen. Doch 59 Beschuldigte nahm die Polizei an einer einzigen Stelle fest - am frühen Morgen des 7. Juli in einem Hamburger Industriegebiet. Das sind mehr als die Hälfte aller namentlich bekannten Zivilpersonen, denen Straftaten rund um den G-20-Gipfel vorgeworfen werden.
Die Härte des deutschen Rechtsstaates trifft in besonderem Maße einen 18-jährigen Italiener: Fabio V. reiste am späten Abend des 06. Juli (Donnerstag) nach Hamburg. Am frühen Freitagmorgen wurde er dann am Rande eines von der Polizei aufgelösten Protestzuges fern der Innenstadt festgenommen. Seit zwei Monaten sitzt er nun in Untersuchungshaft.
An "schwersten Ausschreitungen" habe er sich beteiligt, die "bürgerkriegsähnlichen Zustände in Hamburg" habe er "mitverursacht". So begründet das Hanseatische Oberlandesgericht die fortdauernde Untersuchungshaft des jungen Mannes. Eine Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs sei "hochwahrscheinlich", so die Richter in ihrem Beschluss, eine "empfindliche Freiheitsstrafe absehbar".
Ein Polizeivideo zeigt die fragliche Szene
Eine Anklage gegen den jungen Italiener gibt es aber noch nicht. Die Szene, die der Verhaftung Fabios vorausgeht, lässt Zweifel an dem Fall aufkommen. Sie ist in einem Polizeivideo dokumentiert, die Panorama vorliegt. Darin ist zu sehen, wie eine Gruppe von rund 200 schwarz gekleideten und überwiegend vermummten Demonstranten von Polizisten von zwei Seiten gestoppt wird. Von vorne stürmt eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Bundespolizei heran, von hinten rücken mehrere Wasserwerfer an. Sofort stürmen die Beamten auf die Demonstration zu.
Dabei fliegen ihnen einzelne Gegenstände entgegen, darunter Rauchtöpfe und wohl auch Steine. Ein "massiver Bewurf", der Beamte getroffen hätte, wie ein Polizist in einem Bericht über das Ereignis behauptet, ist in der Szene aber nicht zu erkennen. Es kann dennoch sein, dass die Demonstranten vorhatten, massive Gewalt gegen Polizisten einzusetzen. Doch dazu bleibt ihnen kaum Zeit, denn innerhalb von Sekunden ist der Demonstrationszug aufgelöst. Bei dem Polizeieinsatz verletzen sich einige der vermummten Demonstranten schwer.
Fabio soll büßen
"Ich verstehe nicht, warum ich hier bin", sagt Fabio V. Panorama hat ihn in der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand besucht. Seine langen dunkelblonden Haare hat er sich abgeschnitten. Im Gefängnis sei es mit der Stoppelfrisur "einfacher". Die Reise nach Hamburg sei seine erste Auslandsreise ohne elterliche Begleitung gewesen, erzählt der 18-Jährige. Zu den konkreten Umständen der Festnahme und zum Tatvorwurf des "schweren Landfriedensbruchs" möchte er sich wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern. Er betont aber, dass die politschen Proteste, an denen er bislang in Italien teilgenommen habe - etwa für mehr Umweltschutz in den Dolomiten und für günstigeren öffentlichen Nahverkehr - gewaltfrei gewesen seien.
Auch Fabio V. ist nicht vorbestraft. In Italien arbeitet er in einer Fabrik, in der Kunststoffverkleidungen für Flugzeuge und Schiffe hergestellt werden. "Dort fehlt er jetzt schon seit zwei Monaten", sagt seine Mutter Jamila. Sie ist ihrem Sohn nach Hamburg hinterhergereist und kämpft hier für seine Freilassung.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat Fabio "erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel" und eine "tiefsitzende Gewaltbereitschaft". Diese Defizite seien nur durch eine Gefängnisstrafe zu beheben. Allein: Die konkreten Anhaltspunkte für diese Wertungen fehlen. Der Beschuldigte sagt, er verstehe nicht, "auf welche konkreten Tatsachen die Justiz ihre Behauptungen über ihn stützt."
"Überzogene Strafzumessung"
Rechtsexperten kritisieren das Vorgehen der Hamburgischen Justiz gegen den 18-jährigen Italiener. Die Begründung für die Untersuchungshaft lese sich wie eine "überzogene vorweggenommene Strafzumessung", meint der bekannte Bundesrichter a.D. Thomas Fischer, Autor eines maßgeblichen Kommentars zum Strafrecht. Fischer hält es für "rechtsfehlerhaft", solche Wertungen über einen Beschuldigten zu treffen, "den man gar nicht angehört hat und dessen Fall man nur aus den Akten kennt. Es fehlt nur noch, dass die konkrete Strafe schon benannt wird", so der renommierte Jurist.
Wir haben das Oberlandesgericht mit seinem Haftbeschluss konfrontiert. Die Antwort: man habe zur Person von Fabio naturgemäß "vorläufige Einschätzungen" abgegeben. Die Justiz zeigt Härte. Genau das haben sich Politiker gewünscht.