Verfolgung der G20-Täter: Polizei verstrickt sich in Widersprüche
Eine "harte Bestrafung der Täter" forderte Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz nach den von Gewalt begleiteten Protesten rund um den G20-Gipfel. Große Ermittlungserfolge zeichnen sich einen Monat später nicht ab. Es laufen zwar etwa 160 Ermittlungsverfahren und 32 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Aber die Randalierer, die parkende Autos angezündet und Schaufenster von Gebäuden eingeworfen haben, hat man bisher nicht gefasst. Stattdessen nimmt ein Vorfall breiten Raum in der Strafverfolgung ein, der unter der Adresse "Rondenbarg 20" in die Akten von Polizei und Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Es handelt sich um ein Industriegebiet im Westen Hamburgs.
59 Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs
Dort war am frühen Morgen des 7. Juli eine Gruppe von rund 200 Demonstranten unterwegs. Eine Hundertschaft der Polizei erhielt laut einem Protokoll des Innenausschusses der Bürgerschaft die Anweisung, den Demonstrationszug "aufzustoppen". 59 Personen aus dieser speziellen Demonstrantengruppe sind nun mit Strafverfahren wegen "schweren Landfriedensbruchs" und ähnlicher Vergehen konfrontiert. Mindestens vier von ihnen sitzen in Untersuchungshaft.
Was ist am Rondenbarg passiert? Ein Polizeihauptkommissar schildert in einer "zeugenschaftlichen Darstellung des Sachverhalts", die Panorama und der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt, seine Sicht der Dinge. Demnach hätten die Demonstranten die Polizeikräfte angegriffen. "Als sich die Menschenmasse ca. 50m vor uns befand, wurden wir aus ihr massiv mit Flaschen, Böllern und Bengalos beworfen. Steine trafen die Beamten und die Fahrzeuge."
Nur aufgrund der "Schutzausstattung" sei kein Polizist verletzt worden. "Um die gegenwärtigen Angriffe abzuwehren, lief die Hundertschaft in Richtung der Menschenmenge an, wobei der massive Bewurf mit Steinen weiter anhielt," heißt es in dem polizeilichen Bericht weiter. Diese Darstellung ist Grundlage der erwähnten Strafverfahren und Haftbefehle.
Polizeivideo weckt Zweifel an Polizeibericht
Panorama und die "Süddeutsche Zeitung" konnten nun ein Video einsehen, auf dem die wohl entscheidenden Minuten des Vorfalls dokumentiert sind. Was darauf zu sehen ist, zeichnet ein Bild, das mit dem erwähnten Polizeibericht nur schwer in Einklang zu bringen ist. Das Video wurde von der Polizei selbst aufgenommen, mit einer Kamera, die auf das Dach eines Einsatzfahrzeuges montiert war. In dem Film ist zu sehen, wie eine Menschengruppe in einiger Entfernung sich zu Fuß mitten über die Straße fortbewegt.
Aus der Ferne erscheinen die meisten Menschen dunkel gekleidet. Viele sind vermummt. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Gegenmacht aufbauen". Aus der Mitte des Demozuges ragt eine rote Fahne empor. Die Demonstranten bewegen sich in die Richtung, aus der gefilmt wird. Die Kamerauhr zeigt 6:27 Uhr an. Die Polizisten bewegen sich auf den Protestzug zu. Währenddessen fliegen den Beamten drei Bengalos entgegen. Dass Polizisten oder Fahrzeuge getroffen werden, erkennt man nicht. Dann stürmen die Beamten auf die Demonstranten. Dieser Sturm wird mit weiteren Bengalos erwidert. Von einem "massiven" Bewurf mit "Steinen" und "Flaschen", wie in dem Polizeibericht behauptet, ist nichts zu sehen. Unter einem "Angriff" von Gewalttätern, der "abgewehrt" werden muss, stellt man sich etwas anderes vor als das, was das Video dokumentiert.
Für die Beamten ist es den Aufnahmen zufolge keine große Herausforderung, die Demonstranten zu überwältigen. Innerhalb weniger Sekunden liegen viele Demonstranten auf der Straße, die Polizisten stehen über ihnen und halten sie in Schach. Laut Polizeibericht wurden 73 Personen "mit einfacher körperlicher Gewalt zu Boden gebracht". Im Hintergrund sieht man, wie Wasserwerfer sich dem Ort des Geschehens von der anderen Seite nähern. Der Demonstrationszug war also eingekesselt worden.
Schwerer Vorfall in Zusammenhang mit "Rondenbarg-Ereignis"
Die schwerwiegendste Folge des "Rondenbarg-Ereignisses" wird von dem Video nicht eingefangen. Einige Demonstranten hatten versucht, über einen Zaun auf ein benachbartes Firmengelände zu fliehen. Dabei stürzte der Zaun ein und mehrere Menschen wurden schwer verletzt.
Polizei will sich nicht äußern
Am Rande des Demonstrationszugs fand die Polizei Gegenstände, die sie in der Akte auflistet, u.a. 28 Handschuhe, 51 Mützen, 41 Sturmhauben, zehn Vorhängeschlösser, ein Fahrradschloss, sechs Handfackeln, acht Böller ohne BAM und eine "Zwille". Die Ermittler dürften sich jedoch schwertun, die Gegenstände einzelnen Personen zuzuordnen.
Auf Anfrage wollte die Polizei sich zu den Widersprüchen zwischen dem Bericht des Hauptkommissars und dem Video nicht äußern. Man darf gespannt sein, wie die deutschen Gerichte die Vorfälle am Rondenbarg 20 strafrechtlich bewerten.