Aufnahme von Flüchtlingen: Eine Chronik des Versagens
Seit Jahren schachert die EU um die Verteilung von Flüchtlingen, die an den Außengrenzen stranden. Auf eine verbindliche Verteilungsquote kann man sich nicht einigen. Solidarität - Fehlanzeige.
Es ist und bleibt die heikelste Frage in der Asylpolitik: Wie werden die Flüchtlinge unter den Mitgliedsstaaten verteilt? Die EU-Kommission hat nun ihre Pläne für eine neue Asylpolitik verkündet. Die Verantwortung für Schutzsuchende solle besser verteilt werden, aber eine Aufnahmepflicht? Erneut Fehlanzeige.
Seit Jahren schachern die EU-Länder um die Verteilung der Flüchtlinge, die an den EU-Außengrenzen stranden. Fast vergessen: Schon Ende 2015 gab es zwei EU-Ratsbeschlüsse, an die sich jetzt kaum ein EU-Mitgliedstaat erinnern will. Darin wurde verbindlich festgelegt, dass 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien „umgesiedelt“, also auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollten. Dieses so genannte "Relocation Program" lief bis 2018. Nach Panorama-Recherchen ist die Bilanz ernüchternd.
Zusagen nicht eingehalten
Statt 160.000 Flüchtlinge wurden nur rund 34.000 aus Griechenland und Italien auf andere EU-Staaten umverteilt. Dabei wurden für das "Umsiedlungsprogramm" schon Flüchtlinge ausgewählt, bei denen eine hohe Schutzquote von mindestens 75 Prozent angenommen wurde. Trotzdem weigerten sich mehrere EU-Staaten, auch nur einen Flüchtling aus dem Programm aufzunehmen - darunter Polen, Ungarn, Island, Slowakei. Länder wie Liechtenstein nahmen gerade einmal zehn Flüchtlinge auf, Kroatien 82. Und Deutschland? Es hatte eine Zusage gemacht, rund 27.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien umzusiedeln. Eingehalten wurde das Versprechen nach Panorama-Informationen nicht. Aus Griechenland waren es nach Auskunft des Bundesinnenministeriums nur 5.391 Flüchtlinge, die nach Deutschland ausreisen konnten und aus Italien 5.451. "Deutschland hat seine eigene Zusage nicht eingehalten - genau wie andere Staaten, die sich verweigert haben", sagt Günter Burkhardt von Pro Asyl.
Die Begründung des Bundesinnenministeriums gegenüber Panorama: "Die zugesagte Zahl wurde nicht erreicht, weil die Anzahl der Personen, welche die Voraussetzungen der Beschlüsse erfüllten (…) deutlich geringer gewesen ist, als im Jahre 2015 angenommen wurde."
Willkürliche Ausschlusskriterien
Zur Wahrheit gehört: Die zugesagte Zahl wurde vor allem deshalb nicht erreicht, weil die Kriterien für die Auswahl der Flüchtlinge so eng definiert worden waren, dass ein Großteil der in Griechenland gestrandeten Menschen von vorneherein keine Chance hatte - vor allem afghanische Flüchtlinge. Unter ihnen sind viele Hazara, Angehörige einer Minderheit, die von den Taliban verfolgt werden. Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechterte sich in den letzten Jahren zunehmend, die Taliban erobern noch bis heute viele Teile des Landes zurück, während die NATO-Streitkräfte immer mehr Truppen abziehen. In Griechenland dagegen sitzen afghanische Flüchtlinge seit Jahren ohne Hoffnung fest. "Man hat willkürlich afghanische Flüchtlinge aus dem Umsiedlungsprogramm herausdefiniert und sie der Möglichkeit beraubt, in Europa anderswo Schutz zu finden", so Günter Burkhardt. Schon 2017 hatte das UNHCR dazu aufgerufen, die Kriterien zu überprüfen und die Schwelle für das "Umsiedlungsprogramm" zu senken. Doch daran hatte offenbar kein EU-Staat ein Interesse.
"Die bisherigen Umsiedlungs-Programme waren ein Feigenblatt für Nicht-Handelnde und Ausdruck dafür, dass man Schutzsuchende in Griechenland und Griechenland selbst im Stich lässt", sagt Günter Burkhardt von Pro Asyl. Das Ergebnis der bisherigen "Umsiedlung" zeigt, wie wichtig eine verbindliche Verteilungsquote wäre, die wirklich alle Schutzbedürftigen umfasst und mit aller Konsequenz umgesetzt wird. Die aktuellen Beschlüsse der EU-Kommission zeugen nicht davon, dass diese "verbindliche Solidarität", wie es der EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas nennt, wirklich ernst gemeint ist.
Es ist also zu befürchten, dass sich Bilder wie auf Lesbos wohl auch künftig an den Außengrenzen der EU wiederholen werden. Und dass tausende Flüchtlinge auch weiterhin in provisorischen Lagern stranden - und dort unter menschenunwürdigen Bedingungen ohne Perspektive feststecken.