Susi Kentikian: Durchs Leben geboxt
Sie macht schnell Fortschritte und gibt immer Vollgas. "Sie hat schon als Mädchen gesagt, dass sie die Nachfolgerin von Regina Halmich wird", berichtet Mikael. Aber wie soll das gehen? Die Abschiebung hängt wie ein Damoklesschwert über der Familie. Kentikian findet Ablenkung beim Boxen. Insgesamt wird sie viermal Hamburger und zweimal norddeutsche Meisterin. "Sie hat so ziemlich alles zerlegt, was man ihr vor die Nase setzte. Egal, ob schwerer oder erfahrener - sie hat alles aus dem Weg geräumt", sagt Rieth. Mehr ist nicht drin, weil Kentikian die Stadt nicht verlassen darf. Und plötzlich soll sie abgeschoben werden.
"Warum wollt ihr uns abschieben?"
Morgens um vier wird die Familie 2001 von der Polizei geweckt. Eine halbe Stunde Zeit lassen die Beamten den Kentikians, um die Sachen zu packen. "Bei mir ist Panik ausgebrochen", erinnert sich Kentikian, die damals verzweifelt fragt: "Warum wollt ihr uns abschieben? Ich gehe hier zur Schule, ich mache meinen Sport." Stundenlang warten Vater, Sohn und Tochter am Flughafen, aber die Mutter ist immer noch im Krankenhaus. "Ich konnte es nicht fassen. Ich habe zu ihnen gesagt: Ihr könnt uns nicht ohne unsere Mutter nach Armenien fliegen lassen. Gebt uns wenigstens unsere Mutter mit." Derweil setzt Rieth alle Hebel in Bewegung, um die Abschiebung zu verhindern. Schließlich erfolgreich. Der Coach wird die dramatischen Stunden nie vergessen: "Um zwölf ging der Flieger und um halb zwölf waren sie draußen."
2005 wendet sich das Blatt
Dann wendet sich das Blatt. Durch ihren Wechsel ins Profilager kehrt 2005 Sicherheit ins Leben der Kentikians ein, die auch das Bleiberecht erhalten. Susi Kentikian macht ihren Realschulabschluss und wird 2008 deutsche Staatsbürgerin. Gleichzeitig nimmt die Karriere der jungen Frau Fahrt auf: Auf die internationale deutsche Meisterschaft folgt 2007 der erste Weltmeistertitel. Kentikian ist gerade einmal 19 Jahre alt und wird zu Hamburgs Sportlerin des Jahres gewählt. Vom ersten großen Geld kauft sie sich und der Familie eine Wohnung. Zwischenzeitlich hält die Boxerin drei Weltmeistertitel. Mit der Universum-Pleite beginnt aber auch ihr Stern zu sinken. Die Zeit großer Fernsehverträge ist vorbei, immer wieder entstehen lange Ringpausen. Neun Kämpfe bestreitet sie lediglich in vier Jahren - und kassiert dabei zwei bittere Niederlagen.
"Menschen, die sich bemühen, haben eine Chance verdient"
Seit 2013 ist sie wieder WBA-Weltmeisterin und weiß: "Wirklich harte Arbeit zahlt sich immer aus. Du musst nur wirklich fest daran glauben." Bei ihrem anstehenden Kampf in Hamburg wird sie von Udo Lindenberg unterstützt. "Wie sie sich durch die schweren Zeiten gefightet hat, hat mich zu einem Song inspiriert", erklärt der Rocker, der die Musik für ihren Walk-in-Song geschrieben hat. Woher sie kommt, hat sie nicht vergessen. Über 20 Jahre nachdem Kentikian nach Deutschland gekommen ist, suchen dieser Tage tausende Flüchtlinge hierzulande Asyl. "Deutschland muss solche Leute aufnehmen und ihnen die Möglichkeit geben, etwas zu schaffen im Leben", meint die 27-Jährige. "Ich finde, dass es die Menschen, die sich bemühen und integrieren, auch verdient haben, in Deutschland zu bleiben und hier Karriere zu machen."
- Teil 1: "Susi Kentikian gibt niemals auf"
- Teil 2: 30 Minuten von der Abschiebung entfernt