Magnus Carlsen © IMAGO / ZUMA Press Wire

"Vielleicht das Ende der FIDE": Schlammschlacht vor Schach-Turnier an der Ostsee

Stand: 05.02.2025 21:28 Uhr

Kurz vor Beginn des zweiten Freestyle Chess-Turniers auf Gut Weissenhaus an der Ostsee ist der Streit zwischen den Turnierorganisatoren und dem Weltverband FIDE völlig eskaliert. Mitorganisator und Ex-Weltmeister Magnus Carlsen fordert den FIDE-Präsidenten gar zum Rücktritt auf. Geldgeber Jan Henric Buettner prophezeit das mögliche Ende der FIDE.

von Niklas Schenk

"Wir machen jetzt unser Turnier und machen am Sonntag einen runden Tisch und dann sollen die Spieler entscheiden. Wenn die sich einig sind und nicht mehr bei der FIDE mitmachen wollen - vielleicht ist das der Beginn vom Ende der FIDE", sagte Unternehmer Jan Henric Buettner im Gespräch mit dem NDR.

Fest steht für ihn schon jetzt: Das Verhältnis von Carlsen und dem Weltverband ist endgültig am Ende. Der Norweger hatte in der Vergangenheit seinen WM-Titel freiwillig abgegeben und immer wieder Reformen gefordert. Aber: Trotz aller Diskussionen braucht die FIDE ihren Superstar, hatte immer wieder probiert, dass er doch an ihren Turnieren teilnimmt.

"Carlsen hat keinen Bock mehr auf die Spielchen der FIDE"

Das ist nun vorbei, denkt Buettner: "Carlsen ist wahrscheinlich weg durch das Ding. Der hat gar keinen Bock mehr auf diese fiesen Spielchen der FIDE. Vielleicht wird er bei gar keinem FIDE-Turnier mehr spielen - bei ihm weiß man nie, was er macht. Da hat sich die FIDE wohl selbst ins Knie geschossen."

Schach im Fischer-Random-Format

Als Buettner, der am Sonntag (22.50 Uhr) zu Gast im NDR Sportclub ist, vor einem Jahr erstmals ein Schachturnier in seinem luxuriösen Weissenhaus Resort veranstaltete, war die Schach-Welt noch ein Stück weit in Ordnung und der Weltverband FIDE konnte sein Glück zunächst wohl kaum glauben. Der Unternehmer investierte Millionen, brachte gute Bilder, neues Publikum - und gespielt wurde Schach im Fischer-Random-Format, bei dem die Startformation der Figuren ausgelost wird.

Eine spektakuläre Variante, an deren Vermarktung die FIDE selbst aber seit Jahren gescheitert war. Mehrere Fischer-Random-Weltmeisterschaften konnten mangels Sponsoren nicht stattfinden. Nun kam also Buettner, schloss sich mit Aushängeschild Magnus Carlsen zusammen, nannte sein Turnier "Freestyle Chess" und kündigte nach der erfolgreichen Premiere an, daraus eine weltweite Turnierserie mit Rekordpreisgeld zu machen.

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Buettner und Carlsen wollten Freestyle-Weltmeister küren

Von der Euphorie des Vorjahres ist nun vor der am Freitag beginnenden zweiten Turnierauflage nichts mehr zu spüren. Stattdessen tobt eine schmutzige Schlammschlacht zwischen Freestyle und der FIDE, die zuletzt völlig eskaliert ist - und deren Auswirkungen auf den Schachsport massiv sein könnten.

Der vermeintliche Auslöser des Konfliktes: Buettner und Carlsen wollten am Ende der ersten, diesjährigen Turnierserie einen Freestyle-Weltmeister küren. Die FIDE hingegen sagt: Nur wir, als einziger vom IOC anerkannter Dachverband, können Weltmeistertitel vergeben. Niemand sonst - kein Privatunternehmen und erst recht nicht bei einem Einladungsturnier, für das sich die meisten Teilnehmer nicht sportlich qualifiziert haben.

Carlsens Jeans wird zum Streitfall

Der Konflikt beider Parteien schwelt allerdings schon seit Monaten. Als in Singapur die Schach-WM stattfand, provozierte Freestyle die ausrichtende FIDE parallel mit einem Schaukampf zwischen Carlsen und dem US-Amerikaner Fabiano Caruana. Kurz darauf stieg Carlsen dann bei der Schnellschach-WM aus, da er durch das Tragen einer Jeans gegen die Kleidungsordnung der FIDE verstoßen hatte.

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Schon vor der Schnellschach-WM hatte es Gerüchte gegeben, dass Carlsen oder Hikaru Nakamura, der weitere Schach-Superstar, nicht mitspielen würden. Laut Nakamura hatte die FIDE gedroht, Spieler, die am Freestyle teilnehmen, aus FIDE-Turnieren auszuschließen.

FIDE beschließt: Freestyle darf keinen Weltmeister küren

In den vergangenen Tagen kam es dann zum endgültigen Bruch. Die FIDE bleibt dabei: Freestyle darf keinen Weltmeister küren. Außerdem sollen alle Spieler, die an FIDE-Turnieren wie der WM-Qualifikation teilnehmen, einen zusätzlichen Vertrag unterzeichnen, der eine Klausel enthält. Diese besagt, dass die Teilnahme an alternativen Schachweltmeisterschaften in einer nicht von der FIDE genehmigten Schachvariante zum Ausschluss aus den beiden aufeinanderfolgenden FIDE-Weltmeisterschaftszyklen führen würde. Nur die Freestyle-Tour 2025 wäre eine Ausnahme.

FIDE-Chef Arkady Dvorkovich lehnt Buettners Angebot ab

Anfang Februar wähnte sich Buettner, nachdem er und die FIDE tagelang verhandelt hatten, kurz vor einem Deal. Der Weltverband sollte laut Freestyle eine sechsstellige Summe erhalten, zudem sollte es einen neuen Qualifikationsmodus für die Freestyle-WM geben. Aber FIDE-Chef Arkady Dvorkovich lehnte kurzfristig erneut ab. "Wie kann man so blöd sein, die hatten einen super Deal! Wir haben den alles gegeben, außer komplette Kontrolle über unser Business", sagte Buettner.

"Die Spieler rufen mich alle an, fühlen sich hilflos, unter Druck gesetzt. Das ist insane." Jan Henric Buettner

Buettner veröffentlichte daraufhin in einem offenen Brief WhatsApp-Nachrichten, die ihm Dvorkovich geschickt haben soll und kündigte an, die Kommunikation nun seinen Anwälten zu überlassen. Die Entscheidung, ob ein eigener Freestyle-Weltmeister gekürt wird, will er aber um zehn Monate verschieben - wodurch die FIDE ihre Forderung an die Spieler zurückzog, bis zum Dienstagabend den Vertrag mit der Klausel zu unterschreiben, sich mittelfristig zwischen Freestyle und FIDE-Turnieren zu entscheiden.

Carlsen spricht von "Nötigung der Spieler"

Und Superstar Carlsen? Der spricht von einer "Nötigung der Spieler" und "Machtmissbrauch", bezichtigte FIDE-Chef Dvorkovich des Wortbruchs und fragte ihn, ob er nun zurücktreten werde.

So eine Schlammschlacht hat selbst die skandalerprobte Schachwelt selten gesehen. Über die durchaus innovative Freestyle-Idee (schließlich wird beim Turnier mit langer Bedenkzeit gespielt) oder das spannende Teilnehmerfeld an der Ostsee spricht jedenfalls niemand mehr. Dabei ist sogar der junge, neue Weltmeister Dommaraju Gukesh (Indien) am Start. Aber der Streit überlagert alles Sportliche.

Buettner: "Großartige PR für unser Turnier"

Was viele der Spieler und auch manche der Organisatoren hinter vorgehaltener Hand durchaus bedauern. Buettner sprach hingegen von "großartiger PR für unser Turnier". Warum der Streit so eskaliert ist, wird auch im Gespräch mit ihm nicht abschließend klar.

Womöglich wollte Buettner die FIDE mit dem Weltmeister-Titel nur provozieren: "Wenn mir jemand sagt, das geht nicht, dann sage ich: 'Mmmh, lass uns mal überlegen. Vielleicht doch! Lass uns mal sehen, was passiert…'". Geld für einen Rechtsstreit dürfte Buettner, reich geworden durch den Verkauf von AOL Europe, jedenfalls haben.

Am Freitag werden sich Buettner und sein Geschäftspartner Carlsen auf der Pressekonferenz direkt vor dem Turnierstart äußern. Sonntag soll der von Buettner organisierte runde Tisch mit allen Spielern folgen, auf dem der Unternehmer mit den Top-Spielern über einen möglichen Weltmeister-Titel sprechen möchte. Womöglich ist die Schach-Welt danach eine andere.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 09.02.2025 | 22:50 Uhr

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