Carlsen-Sieg beim St.-Pauli-Debüt: Von Hoodies und Historischem

Stand: 12.01.2025 11:56 Uhr

Schachstar Magnus Carlsen hat am Sonnabend erstmals für die Schach-Abteilung des FC St. Pauli am Brett gesessen. Der Aufsteiger landete mit der Hilfe des Norwegers den ersten Bundesliga-Sieg überhaupt, dem nur zu Beginn ein kleines Problem im Weg stand. Heute geht es gegen Top-Team Düsseldorf.

von Tobias Knaack

Das Timing passt, der Pullover nicht. Pünktlich um 14 Uhr kommt Carlsen am Sonnabend in die Räume des Brahms-Kontors. In Jeans, weißen Sneakern und einem schwarzen St.-Pauli-Hoodie mit weißem Totenkopf. Den hat er am Freitagabend von Club-Präsident Oke Göttlich bekommen. Doch das Göttlich-Geschenk passt jetzt nicht und so muss Carlsen nochmal "durchstarten".

"Hells Bells" bei Carlsens St.-Pauli-Debüt

Der norwegische Schachspieler Magnus Carlsen im Einsatz für FC St. Pauli. © Witters/ValeriaWitters
Magnus Carlsen im Hoodie der Schachabteilung des FC St. Pauli.

Das erste Bundesliga-Spiel des 34-Jährigen für St. Pauli ist aber nur kurz verzögert. Denn Oliver von Wersch gibt dem norwegischen Superstar seinen beigen Schachabteilungs-Hoodie. "Ein kleines logistisches Problem. Ich bekomme jetzt einen neuen", sagt der stellvertretende Abteilungsleiter der Schachabteilung und Teammanger der Braun-Weißen mit einem Augenzwinkern. Und so kommt Carlsen wenig später zu den Klängen von "Hells Bells" von AC/DC ans Brett, wo sein niederländischer Gegner Max Warmerdam von der SG Solingen auf ihn wartet. Der ansonsten sehr leise Sport wird in diesem Moment kurz einmal laut. Die Beziehung des etwas anderen Clubs mit dem etwas anderen Schachspieler, dem einzigen globalen Superstar seines Sports, ist offiziell "beläutet".

Und dann ist Ruhe. Fast schon andächtig verfolgen die 30 Zuschauenden, die Tickets bekommen haben, die Partien im schlichten Spielsaal. Hellgraue Wandpaneelen, dunkelgrauer Teppich, große rechteckige Deckenleuchten. Normalerweise dient der Raum den Mitarbeitenden des Statistikunternehmens, das ein Sponsor von St. Paulis Schachspielern ist und dem Club die Räume zur Verfügung stellt, als "Open space" für Treffen, Konferenzen, Absprachen.

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Magnus Carlsen zieht eine Schachfigur. © IMAGO / SOPA Images

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Vier Minuten Warten auf den ersten Zug

Mit Sprechen ist es am Sonnabend aber nichts. Auf 16 eng gestellten weißen Tischen stehen 16 Bretter. Acht mal St. Pauli gegen Solingen, acht Mal Werder Bremen gegen Düsseldorfer SK. Wobei, eigentlich richten sich die Blicke der Zuschauenden fast ausschließlich auf Brett eins der Partie St. Paulis: alle Augen auf Magnus. Carlsen stützt zu Beginn immer wieder seinen Kopf auf die rechte Hand, die linke umfasst den rechten Ellenbogen, die weißbesneakerten Füße mal wippend, mal gekreuzt.

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Vier Minuten müssen die Zuschauenden warten, dann hat Carlsen auch seinen ersten Zug im Hoodie des FC St. Pauli gemacht. Er "kontert" Warmerdams ersten Zug mit einem Bauern (c2-c4) ebenfalls mit einem Bauern (e7-e5). Immer wieder stehen der Norweger und sein Kontrahent von ihrem Tisch auf, schauen auch auf andere Bretter.

Anreise aus dem Ruhrpott für Carlsens Debüt

Die Schach-Fans Christoph Thiemann und Laura Mirtsch © NDR/Tobias Knaack
Die Schach-Fans Christoph Thiemann und Laura Mirtsch sind extra aus dem Ruhrgebiet angereist.

Vorbeigehen müssen sie dann an Laura Mirtsch. Die 38-Jährige steht vom ersten Zug an einen Meter vom Carlsen-Warmerdam-Tisch entfernt, Blickrichtung Carlsen. Für die Dortmunderin geht an diesem Sonnabend "ein Traum in Erfüllung". Am Morgen haben sie und ihr Mann Christoph Thiemann, der ihr die Karten zu Weihnachten geschenkt hat, sich aus dem Ruhrgebiet auf den Weg nach Hamburg gemacht. Und sie sind vorbereitet, haben sich eigens für den Trip in die Hansestadt braun-weiß-gestreifte Shirts gekauft.

Mirtsch ist großer Schach- und Carlsen-Fan. Das auch, weil sie etwas mit dem Norweger teile, wie sie sagt. "Immer wieder etwas Neues zu brauchen." Ähnlich hat sie es empfunden, als Carlsen seinen WM-Titel ablegte, nachdem er ihn von 2013 bis 2023 durchgehend gewonnen hatte. Das sei der Moment gewesen, als ihre Schach-Begeisterung richtig Fahrt aufgenommen habe. "Ich mag seine Einstellung."

"Mir macht es Spaß, diese Konzentration ausleben zu können. Diese Fokussierung." Laura Mirtsch, Schach- und Carlsen-Fan

Speziell seit der Freestyle-Chess-Challenge im schleswig-holsteinischen Weissenhaus im vergangenen Jahr sei es ein "Spleen", sagt sie mit einem Lachen. Kein Tag, an dem sie nicht über Schach liest, sich im Internet Videos anschaut oder mit ihren drei Kindern spielt. "Schach tut mir gut", sagt die Logopädin.

Im Spielsaal schaut sie wie gebannt auf das Carlsen-Brett. "Mir macht es Freude, diese Konzentration ausleben zu können." Es sei ein "geiles Spiel", sie liebe "die Fokussierung". Und ja, ein "kleiner jugendlicher Crush" sei da auch, erzählt sie mit einem Lachen.

Holzvertäfelte Zuschauerräume

Er könne mit dieser "Konkurrenz" leben, sagt ihr Mann mit einem Augenzwinkern. Thiemann selbst ist kein expliziter Schach-Anhänger, aber begeistert von der "sehr kommoden Atmosphäre" im Brahms-Kontor mit seiner Backsteinfassade und dem Art-Deco-Entrée. Oder den holzvertäfelten Wänden und dem Holzfußboden in Fischgrät-Optik in den zwei Zuschauerräumen. Hier gibt es Essen und Getränke. Kinder spielen gegeneinander oder mit ihren Eltern Schach. Auf Fernsehern werden die Partien übertragen.

Das "ist wahnsinnig exklusiv", findet Thiemann - und meint damit auch die Nähe zu den Spielern. "Da gibt es keine Berührungsängste", sagt er, als er die Räume kurz verlassen hat und an einem Stehtisch im gekachelten Treppenhaus etwas trinkt.

"Als Magnus den Flur entlang kam, hätte ich weinen können." Oliver von Wersch, stv. Schach-Abteilungsleiter FCSP

Drinnen hat seine Frau das braun-weiße Fanutensil, das sie über der weißen Bluse getragen hatte, zwischenzeitlich ausgezogen. Zu warm. Die Temperaturregulierung aber bleibt neben dem kurzfristigen Hoodie-Wechsel von Carlsen das größte "Problem" an diesem Tag für St. Paulis Teammanager von Wersch.

Als die Partien rund zwei Stunden laufen, kann auch er sich mal hinsetzen. Er ist zufrieden. Seit vergangenem März habe er auf diesen Tag hingearbeitet, erzählt er. "Als Magnus den Flur entlang kam, hätte ich weinen können." Für Hajo Kehr, einen der beiden Abteilungsleiter, sei es auch dann "immer noch nicht richtig zu begreifen" gewesen. Lange war er davon ausgegangen, "dass wir mit der Aufstiegsmannschaft antreten".

Einige der Aufstiegsmannschaft setzen aus

Und plötzlich Carlsen. Und dessen bester Kumpel David Howell (an Brett zwei) sowie Johan-Sebastian Christiansen (Norwegen, Brett drei) oder Jonas Bjerre (Dänemark, Brett vier). Auch und vor allem mit der Unterstützung von Sponsoren wie der Weissenhaus Chess Academy von Mäzen Jan Henric Buettner und den Verbindungen von Großmeister Sebastian Siebrecht hat St. Pauli - sofern die Neuzugänge wie an diesem Wochenende Zeit haben - eine Mannschaft mit Weltklasse-Spielern zusammengestellt. Ein Team, das helfen soll, die Klasse zu halten.

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Für Bartosz Socko, im Aufstiegsjahr häufig an Brett eins, bedeutet das an diesem Sonnabend: Brett sechs. Für Giso Jahncke heißt es, dass er gar nicht spielt. Er habe, als er davon erfuhr, dass Carlsen zu St. Pauli komme, verschiedenste Gedanken in kürzester Abfolge gehabt, sagt er: "Erster Gedanke: mega geil. Zweiter Gedanke: Mist, dann spiele ich gar nicht. Dritter Gedanke: Es bringt die Abteilung zusammen."

Die Frau des Schiedsrichters hilft aus

Und so packen sie alle an. Auch die, die eigentlich gar nicht dafür vorgesehen waren - wie Ingrid Schulz. Sie ist die Frau von Hugo Schulz, einem der beiden Schiedsrichter an diesem Tag. Eigentlich hatte sie ihren Mann aus Langenhorn nur zum Brahms-Kontor bringen wollen, dann aber "wurden noch Hände gebraucht". Und dann helfe man in der Schach-Community und insbesondere beim FC St. Pauli, sagt sie. Und so macht Schulz, die lange selbst im Stadtteil gelebt hat, richtig Meter. Mit Kaffee und Obst, Kuchen und Schnittchen.

Um acht Uhr morgens hatte das zwölfköpfige Organisations-Team angefangen, aufzubauen. Die Tische, die Bretter, aber auch einen Raum, in dem die komplette technische Infrastruktur steht. Kabel an Laptops an Kabeln und Laptops. Und dem gegenüber: Mikrofone für die Live-Kommentierung des Streams. Ein Rechenzentrum mit integriertem Studio.

"Ich bin für St. Pauli, wenn er hier spielt." Zuschauer Glenn Wussmann

Im Nebenraum, in der Nähe des Fernsehers, auf dem die Züge der Carlsen-Partie übertragen werden, steht Glenn Wussmann. Er hat als Letzter eines der begehrten Tickets - Abteilungs-Vize von Wersch zufolge gab es "hunderte Anfragen" für die 99 Euro teuren Karten - ergattern können. Am Freitag. Ursprünglich hatte Wussmann viel zu spät von dem Termin erfahren und kein Ticket bekommen, sich dann aber gedacht: "Ich versuche es nochmal." Mail raus und Glück gehabt, weil ein Karteninhaber seine Karte zurückgehen lassen musste.

Nun ist er froh, denn "die Chance werde ich nur einmal kriegen". Der 32-jährige Hamburger ist über seinen kleinen Bruder zum Schach gekommen, "weil ich besser werden wollte als er". Das habe bislang nicht geklappt, erzählt er. Dafür aber der Besuch des Carlsen-Debüts. Und auch wenn er mit dem Club eigentlich nichts zu tun habe, sei er "für St. Pauli, wenn er hier spielt".

Es ist diese Art von Begeisterung, die von Wersch sich wünscht. Für St. Pauli und den Schachsport. "Wir haben zeitweise bis zu 1.500 Leute parallel in den Streams. Das ist der Unterschied von Magnus zu den anderen", freut er sich.

Carlsen bereitet den Weg zum historischen Sieg

Und der Norweger spielt souverän. Nach gut drei Stunden besorgt er seinem neuen Team die 1:0-Führung auf dem Weg zu einem 5,5:2,5-Sieg. Ein Stück Schach-Historie, denn es ist der erste Bundesliga-Erfolg jemals für die Hamburger, die mit nun drei Punkten auf Rang zehn der Tabelle stehen. "Die Mannschaft ist nicht gut in die Saison gestartet. Ich bin glücklich, dass ich heute helfen konnte", sagt Carlsen nach der Partie.

Deutlich euphorischer ist da sein "Hoodie-Spender" von Wersch: "Das ist schon sehr cool. Solingen ist eine Spitzenmannschaft, die in Bestbesetzung angetreten ist. Die Mannschaft hat Bock auf mehr." Heute geht es gegen Düsseldorf (10 Uhr), das ohne Weltmeister Dommaraju Gukesh antreten wird. Und doch wird die Herausforderung noch größer. Aber wer weiß, vielleicht gelingt dem Bundesliga-Neuling an Tag zwei der Carlsen-Festspiele dann ja auch der zweite Sieg. Solange der Hoodie passt, scheint Vieles möglich.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 11.01.2025 | 19:30 Uhr

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