Tennis am Rothenbaum: Wandel mit Zukunft oder Sackgasse?
Am Hamburger Rothenbaum agieren künftig zwei Veranstalter. Der Deutsche Tennis Bund will das Turnier weiterentwickeln und den Masters-Status zurück. Ein riskantes Spiel - und das Aus für das kombinierte Turnier der Damen und Herren?
Das Lob für ein "perfektes Turnier" kam von allen Seiten. Nicht zuletzt von Sieger Alexander Zverev. Vor allem aber waren die Tennis-Fans am Hamburger Rothenbaum begeistert, was angesichts der erfolgreichen deutschen Spielerinnen und Spieler sowie zwei Lokalmatadoren im Finale nicht übermäßig verwundert. Dass trotz miesen Hamburger Wetters aber fast 20 Prozent mehr Zuschauer auf die Plätze an der Hallerstraße strömten (rund 64.000), zauberte Sandra und Peter-Michael Reichel als Veranstalter des kombinierten Damen- und Herrenturniers ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht.
Belgische Agentur übernimmt Herrenturnier
"Da muss irgendwer im Universum sitzen, der es gut mit uns meint", resümierte Turnierdirektorin Sandra Reichel sichtlich zufrieden. Doch ihre Miene verfinsterte sich zusehends, als es um die Zukunft am Rothenbaum ging. Der Status des Events nämlich ändert sich im kommenden Jahr gravierend: Statt ihrer Agentur (MatchMaker), die als Nachfolger von Michael Stich seit 2019 Verantwortung auch für das Herrenturnier trug, hat nun der Belgier Kristoff Puelinckx mit seiner Agentur (Tennium) den Zuschlag durch den Deutschen Tennis Bund (DTB) bekommen.
Von Arnim: "Wollen Turnier weiterentwickeln"
Die WTA-Lizenz für das Damen-Turnier der Familie Reichel ist davon unberührt. Von Arnim betonte: "Wir wollen Damen-Tennis in Hamburg halten." Aber warum macht der Verband eine offensichtlich florierende Veranstaltung zunichte und holt für das Herrenturnier der 500er-Kategorie (500 Weltranglistenpunkte für den Sieger) für die Jahre 2024 bis 2028 einen neuen Veranstalter ins Boot? Der DTB erhofft sich wohl einen finanziellen Mehrwert. Offiziell heißt es, so Präsident Dietloff von Arnim: "Wir wollen einen Weg gehen, der das Turnier weiterentwickelt."
Turnierbotschafterin Petkovic in Rage
Turnierbotschafterin Andrea Petkovic, die einst Weltranglistenneunte war, brachte das salopp gesagt auf die Palme: "Der Deutsche Tennis Bund sollte als Verband auch andere Aspekte als nur wirtschaftliche sehen. In Zeiten von Diversität und Gleichberechtigung finde ich es schon erstaunlich, dass man so ein starkes wirtschaftliches, aber auch symbolisches Produkt auseinanderreißt."
Puelinckx ließ derweil via "Hamburger Abendblatt" ausrichten, seine Agentur wolle "das Turnier am Rothenbaum zu einem Top-Event der 500er-Serie machen, was es momentan aus meiner Sicht nicht ist". Die Turnierwoche nutze er, sich an Ort und Stelle zu informieren. Ein lokales Büro werde im Herbst eröffnet. Vorher werde es Gespräche beider Veranstalter geben, von denen sich beide Seiten offenbar einiges versprechen, deren Inhalt und Ausgang aber streng gehütet werden sollen.
Was wird aus dem Damen-Turnier?
Was aber könnte der Inhalt solcher Gespräche sein, abgesehen davon, dass Sandra Reichel betont: "Ich bin für alles offen." Selbst ein "Verpachten" der Damen-Lizenz für das kommende Jahr schloss die Österreicherin nicht kategorisch aus. Unlängst hatte sie allerdings erklärt, am Rothenbaum für "die nächsten 20, 30 Jahre zu planen". Aber selbst bei bestem Willen dürfte ein kombiniertes Turnier mit zwei unterschiedlichen Veranstaltern zumindest 2024 - und womöglich darüber hinaus - allein aus logistischen Gründen kaum möglich sein.
Reichels planen Status-Aufstieg
Statt Verzicht könnte es auch eine Aufwertung geben, wenn der Plan gelingen sollte, das Damenturnier zum 500er-Wettbewerb zu machen. "Vielleicht klappt es schon im kommenden Jahr", sagte Peter-Michael Reichel, der als Mitglied im Board of Directors, dem höchsten Gremium der WTA, quasi an der Quelle sitzt und sich einigermaßen sicher ist, dass es spätestens im Jahr 2025 klappen wird. Vorausgesetzt, die Finanzierung steht. Ganz sicher werde das Turnier aber in Hamburg bleiben.
Nutzung mit Hindernissen
Die Stadt Hamburg hat zwar Interesse bekundet, weiter Damen- und Herrentennis zu unterstützen, und leistet laut Sandra Reichel "alle Unterstützung, die man sich denken kann". Sollte jedoch in zwei voneinander getrennten Wochen gespielt werden, ist kaum vorstellbar, wie das am Rothenbaum umgesetzt werden kann. Im Hintergrund spielen schließlich latent immer die Nutzungsbedingungen der Anlage mit. Die besagen, dass Veranstaltungen pro Jahr auf 18 Tage plus vier Auf- und Abbautage limitiert sind. Und das betrifft nicht nur Tennis, sondern auch Beachvolleyball - in diesem Jahr mit einem Weltserie-Turnier vom 16. bis 20. August.
DTB will 1.000er-Turnier
Aber warum dann überhaupt die Zerschlagung des kombinierten Turniers, das auch der "Hausherr" Club an der Alster für optimal hält? Von Arnim jedenfalls sieht den DTB nicht auf dem Weg in eine Sackgasse, sondern liebäugelt mit der Rückkehr zu einem sogenannten Masters-Event, wie einst bis zum Verkauf aus finanzieller Not. "Wir werden uns bewerben", sagte von Arnim. Signale von der ATP gibt es, ein zehntes Turnier dieser 1.000er Kategorie einzuführen. Aber erstens steht eine Entscheidung noch aus und zweitens bietet Saudi-Arabien mit - und da spielt Geld bekanntlich keine Rolle.
Geheime Pläne und Zusage an Hamburg
Von Arnim bekräftigte, dass es auch bei einer Zusage der ATP keine Pläne gebe, das Herrenturnier in eine andere deutsche Stadt zu verlegen. Puelinckx: "Der DTB entscheidet, und wir halten Hamburg für einen tollen Standort. Vor allem das Stadion ist ein großer Pluspunkt." Dass bei einem Upgrade der notwendige Platz an der Hallerstraße nicht ausreicht, ist unbestritten. Angeblich soll es aber bereits Pläne geben, welche die räumlichen, logistischen und politischen Notwendigkeiten berücksichtigen.
Olympia als Zugpferd für den Rothenbaum
"Ein 1.000er-Turnier ist immer eine gute Idee. Aber wir können zunächst nur mit dem planen, was wir haben“, so Puelinckx im "Abendblatt". Derweil stehen zumindest für das Herrenturnier die Termine 2024 fest. Direkt in der Woche nach Wimbledon wird vom 15. bis 21. Juli auf dem roten Sand am Rothenbaum gespielt. Was zwischen Rasen- und Hartplatzsaison dann für die weltbesten Tennisspieler eher Anreiz als Ärgernis sein dürfte. Bei den Olympischen Spielen (26. Juli bis 11. August) in Paris wird nämlich auf der Anlage der French Open in Roland Garros auch auf diesem Belag gespielt, was die Topstars vielleicht animiert, in Hamburg statt bei der Konkurrenz in Gstaad (Schweiz) oder Bastad (Schweden) aufzuschlagen.
Sandra Reichel: "Keine Probleme - nur Herausforderungen"
Für ein kombiniertes Damen- und Herrenevent, das Sandra Reichel 2022 installiert hat, stehen nach zwei unbestritten erfolgreichen Jahren die Zeichen jedenfalls auf Sturm. In der Konsequenz könnte das vielleicht sogar bedeuten, dass die Reichels ihre Lizenz nehmen und das Damenturnier woanders ausrichten. Noch aber verfährt Sandra Reichel nach dem Motto: "Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen." Ein probates Mittel in der verfahrenen Situation um die (wieder einmal) unsichere Zukunft am Rothenbaum wäre: "Man muss miteinander reden."