Basketball-Boom in Deutschland: Segen und Fluch zugleich
Die Erfolge der deutschen Nationalmannschaften und Nach-Corona-Effekte sorgen für einen Boom im Basketball. Innerhalb eines Jahres kamen 26.735 Vereinsmitglieder hinzu - eine Steigerung um 12,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch viele Vereine sind mit dem Ansturm überfordert.
Es ist ein Höllenlärm, den die gut 3.400 Zuschauer an diesem Sonntag in der ausverkauften Inselpark-Halle in Hamburg-Wilhelmsburg machen. Hier, wo normalerweise die Bundesliga-Basketballer der Hamburg Towers ihre Heimspiele austragen, steht nun die deutsche Nationalmannschaft der Frauen für ihr EM-Qualifikationsspiel gegen Italien auf dem Parkett. Es ist eine Partie von geringem sportlichen Wert, ein besseres Testspiel, weil beide Teams als Co-Gastgeber für die Europameisterschaft 2025 ohnehin automatisch qualifiziert sind. Und trotzdem bleibt kein Platz frei.
"Es boomt gerade bei uns." DBB-Präsident Ingo Weiss
Ingo Weiss, Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB), schaut zufrieden auf die vollen Ränge: "Das Länderspiel der Frauen hier - die Halle ist ausverkauft. Und das Länderspiel der Männer im Februar in Ludwigsburg gegen Montenegro war auch nach drei Tagen komplett ausverkauft, obwohl das Spiel erst in knapp dreieinhalb Monaten stattfindet. Also es boomt gerade bei uns", sagt Weiss im NDR Interview.
Aufschwung schon vor dem WM-Triumph
Es gibt nicht nur bei den Profis diesen Aufschwung. Vor allem an der Basis macht sich die Basketball-Euphorie bemerkbar. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat gerade seine neuesten Mitglieder-Zahlen zum Stichtag 1. Januar 2023 veröffentlicht, und darin sticht besonders der Basketball hervor. 242.344 Menschen waren zu Jahresbeginn in Deutschland in Basketball-Vereinen angemeldet - so viele wie nie zuvor. Innerhalb eines Jahres kamen 26.735 Mitglieder hinzu, das entspricht einer Steigerung um 12,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Da die Zahlen aus dem vergangenen Jahr stammen, ist auch klar, dass der WM-Titel der Basketball-Nationalmannschaft der Männer zu diesem starken Zuwachs noch nichts beigetragen hat. Aber woher rührt dann die Basketball-Euphorie?
Nach-Corona-Effekt und EM-Bronze wie Zaubertrank
Weiss erinnert zum einen an die Nach-Corona-Effekte, die auch der DOSB insgesamt bei den Sportvereinen ausgemacht hat. Nachdem während der Pandemie viele Menschen aus den Sportvereinen ausgetreten waren, haben sich die Vereine zuletzt wieder von dem Corona-Tief erholt und weisen inzwischen sogar mehr Mitgliedschaften aus als vor der Pandemie. Die DOSB-Mitgliedszahlen sind auf dem höchsten Niveau seit zehn Jahren.
Zum anderen glaubt Weiss, dass die Bronze-Medaille der Nationalmannschaft der Männer bei der Heim-EM im September 2022 ein Beschleuniger war: "Nach Corona ist dieser Boom gekommen, und wenn das noch mit Erfolgen der Nationalmannschaft zusammenwirkt - eine bessere Mixtur kann sich auch Miraculix nicht einfallen lassen, um daraus einen Zaubertrank zu machen", sagt Weiss lachend.
Natürlich haben die deutschen Frauen mit ihrem überraschend starken Platz sechs bei der Europameisterschaft im Sommer die Euphorie noch einmal neu angefacht. Und erst recht die Männer mit ihrem Weltmeistertitel im September.
Viele Vereine sind mit Ansturm überfordert
Allerdings kennt auch Weiss die andere Seite der Medaille: Viele Vereine sind mit dem großen Mitglieder-Ansturm - gerade nach den Erfolgen der beiden Nationalmannschaften in den vergangenen Monaten - überfordert. Teilweise gibt es Aufnahmestopps oder lange Wartelisten.
Davon kann auch Ex-Nationalspieler Per Günther berichten. Der Sohn des heutigen TV-Experten spielt Basketball in der U17 des Eimsbütteler TV in Hamburg, einem der größten Breitensportvereine Deutschlands: "Ich habe mich mit den Verantwortlichen kurz unterhalten und nach dem WM-Gewinn der Männer gefragt, wie die Situation ist. Und die Antwort war leider, dass sich für sie gar nichts geändert hat. Weil es eine Warteliste gibt. Die war vorher schon voll und jetzt stehen noch deutlich mehr Namen drauf. Aber es sind nicht unbedingt mehr Kinder in den Hallen", so Günther.
Clubs können nicht genügend Hallenzeiten bieten
Mangelnde Hallen-Zeiten sind das größte Problem der Vereine. Und das selbst in Regionen, in denen Basketball Sportart Nummer eins ist. Wie zum Beispiel in und rund um Vechta. In der basketballverrückten Stadt in Niedersachsen wurde Stefan Niemeyer, Clubboss von Bundesligist Rasta Vechta, kurzerhand erfinderisch: "Wir merken das selbst an unserem Standort, dass die Nachfrage noch größer geworden ist. Wir haben uns gerade eine Lagerhalle angemietet, in der wir einen zusätzlichen Basketball-Court installieren, weil unsere Plätze schon nicht mehr ausreichen", so Niemeyer.
Solche Möglichkeiten gibt es aber nicht überall. Auch Vechtas Ligakonkurrent, die Rostock Seawolves, würden gerne mehr Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen anbieten, Basketball zu spielen, es geht aber einfach nicht: "Die hohe Nachfrage hat auch Nachteile, weil wir das alles gar nicht bedienen können", sagt Thomas Käckenmeister, Pressesprecher der Rostocker: "Also wir haben gar nicht genügend Hallenzeiten und Trainer. Da wünschen wir uns, dass wir mehr Hallen bekommen, dass die Stadt und die Politik hinter uns stehen."
DBB-Präsident Weiss: "Man muss einfallsreich sein"
Wegen der mangelnden Hallenzeiten besteht die Gefahr, dass viele motivierte Kinder und Jugendliche aus Frust dem Basketball wieder verlorengehen. DBB-Präsident Weiss will dagegen ankämpfen: "Das Positive ist: Der Boom ist ungebrochen. Wir kriegen das hin. Wir haben mittlerweile in unserer Trainerausbildung schon einiges verdoppelt." Auch in den Hallen werde einiges versucht. Weiss: "Dann wird eben eine Dreifeldhalle sechsfach genutzt, weil man ja genügend Körbe hat. Man muss einfallsreich sein. Das sind wir und das bringt dann eben ein Weltmeistertitel auch mit sich."