SG Flensburg-Handewitt: Mentale Meisterleistung gegen den Erzrivalen
Die SG Flensburg-Handewitt hat mit dem Last-Minute-Sieg gegen den THW Kiel seine Ambitionen untermauert - und den Meisterschaftskampf in der Handball-Bundesliga früh in der Saison weiter angefeuert. Gegen den TBV Lemgo Lippe kann das Team den Erfolg nun veredeln.
"Derby-Sieger, Derby-Sieger!" Eine halbe Stunde vor Anpfiff hallten eindeutige Sprechchöre durch die "Hölle Nord". War es Optimismus der Fans oder gar eine Prophezeiung? Die SG Flensburg-Handewitt gewann das 109. Landesderby gegen den THW Kiel auf dramatische Art und Weise. Doch der Erfolg hing mehrfach am seidenen Faden, und erst ein Tor in letzter Sekunde verhinderten einen Fehlstart und einen erheblichen Dämpfer der vor der Saison geäußerten hohen Erwartungen.
"Ein Sieg im Derby bedeutet für den Verein mehr als nur zwei Punkte." SG-Siegtorschütze Emil Jakobsen
Nehmen wir das erlösende Tor am Spielende: Einen Plan hatte Emil Jakobsen nicht. Als der Flensburger Linksaußen zwei Sekunden vor dem Abpfiff den Ball bekam, agierte er im Automatismus. "Ich wollte nur schnell werfen, da ich gar nicht genau wusste, wie viel Zeit noch ist", verriet der 25-Jährige später. Der Ball landete im Netz - zum entscheidenden 28:27.
Der Schütze ließ der Aktion gar nicht erst seinen gewohnten Handstand-Überschlag folgen. Stattdessen flitzte er über das gesamte Spielfeld, initiierte so eine Ehrenrunde, der sich immer mehr Teamkameraden anschlossen, bis sich auf der anderen Seite eine Jubeltraube bildete. Und Jakobsen strahlte: "Ein Sieg im Derby bedeutet für den Verein mehr als nur zwei Punkte."
Dieses Mal vielleicht noch mehr als sonst. Das sah man auch Nicolej Krickau an. Der neue Trainer der Flensburger sprach vom "Stolz auf seine Mannschaft", wirkte aber hauptsächlich erleichtert. Am Mittwochmittag hatte er bereits über die Folgen einer Derby-Niederlage sinniert. "Dann hätten wir nach nur drei Spieltagen bereits vier Minuspunkte und damit viel Druck, da ich Magdeburg und Kiel für so stark halte, dass sie in dieser Saison nicht viel verlieren werden", sagte er. Anderthalb Tage später hatten die Flensburger nach "Miesen" mit den beiden vermeintlich ärgsten Mitbewerbern - Magdeburg hatte in Berlin verloren - gleichgezogen.
Drohender Fehlstart lähmte die SG lange gegen Kiel
Allerdings schien der drohende Fehlstart die Gastgeber über weite Strecken zu lähmen. Ihnen unterliefen relativ viele technische Fehler. Sie lagen in der ersten Hälfte mit bis zu fünf Toren zurück und trotz eines rauschenden Überholmanövers im zweiten Durchgang keine fünf Minuten vor Schluss mit 24:27.
Das Ergebnis wäre ein anderes gewesen, wenn der Wurf von Simon Pytlick von der Unterkante der Latte nicht von der Schulter des Keepers über die Linie geflogen wäre, wenn der starke Torwart Benjamin Buric dem THW-Rückraumass Elias Ellefsen á Skipagøtu die letzte Großchance nicht abgekauft hätte oder Jakobsen in der letzten Szene die Nerven einen Streich gespielt hätten. "Das war ein starkes Comeback von uns", meinte Derby-Held Jakobsen. Und Trainer Krickau hob hervor: "Die mentale Leistung unserer neuzusammengestellten Mannschaft war die positive Entwicklung dieses Spiels."
Nach dem frustrierenden Ausgang der letzten Saison hatten die Flensburger ihr Team umgekrempelt: fünf Neuzugänge, neuer Trainer und ein neuer Sportlicher Leiter. Angesichts der individuellen Qualität der Verpflichtungen nahmen die Nordlichter kein Blatt vor dem Mund, redeten von der Meisterschaft und einem Fünf-Jahres-Plan bis zum Gewinn der europäischen Champions League. "Mein Ziel ist die deutsche Meisterschaft, denn der Kader spricht dafür, dass wir es schaffen können", meinte etwa Pytlick.
Flensburg macht Meisterschaftskampf spannend
Der 22-jährige Däne erlebte nun sein allererstes Derby. In der Schlussphase hatte er ein goldenes Händchen, doch mittendrin agierte der Rückraumakteur auch sehr fahrig. "Wir müssen die Zahl der Fehler reduzieren, wenn wir am Ende der Saison etwas erreichen wollten", sagte er nach dem Spiel. Wenige Meter weiter saß THW-Trainer Filip Jicha, der gerade eine psychologische Spitze gesetzt hatte. "Gegen den Meisterschaftskandidaten Nummer eins haben wir uns sehr gut präsentiert", sagte er.
Apropos Meisterschaft: Im Grunde ist noch nichts passiert und es zeichnet sich schon jetzt das von vielen prophezeite enge Rennen an der Spitze ab. Die Flensburger verloren beim sehr heimstarken SC Magdeburg knapp, um dann zu Hause gegen den Erzrivalen aus Kiel noch knapper zu gewinnen. "In der Liga ist alles offen", sagte Krickau entsprechend. Am Montag (19 Uhr) geht es für sein Team nun zum Auswärtsspiel gegen den TBV Lemgo Lippe. Dort hatte die SG in der vergangenen Saison eine 21:26-Niederlage kassiert. Das sollte ihnen dieses Mal nicht passieren, wollen sie den süßen Sieg gegen den THW veredeln und ihre Ambitionen weiter untermauern.
Am Donnerstagabend aber spielte das noch keine Rolle. Erstmal galt es, den besonderen Moment gemeinsam mit der "Hölle Nord" zu genießen. Die Fans auf der Stehtribüne lockten Johannes Golla zu sich. Aus der Menge heraus gab der Kapitän den Takt vor für den Siegestanz seiner Teamkameraden. "Derby-Sieger, Derby-Sieger!"