Stand: 04.02.2016 14:00 Uhr

SC Lorbeer 1906: Triumph und Niedergang

Vom Helden zum "verachteten Verräter"

Das Geburtshaus von Uwe Seeler in Hamburg  Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Nach seinem Wechsel zu Victoria Hamburg zieht Erwin Seeler in dieses Haus in Hamburg-Eppendorf - dort wird 1936 Uwe Seeler geboren.

Im Alter von 21 Jahren wagt es Erwin Seeler, vom Arbeiterclub SC Lorbeer zu einem bürgerlichen Verein zu wechseln, dem SC Victoria Hamburg. Für den neuen Verein bestreitet er am 14. Februar 1932 sein erstes Spiel. Diesen Schritt nehmen ihm viele übel. Denn es ist viel mehr als nur ein lapidarer Vereinswechsel. So sieht es zumindest das "Hamburger Echo". Die Zeitung beschimpft Seeler als Verräter an der Arbeiterklasse - genau wie seinen Lorbeer-Mannschaftskameraden Alwin Springer, der ebenfalls zu Victoria geht: "Jetzt, wo sie auf der Höhe ihres Könnens stehen, haben sie plötzlich alle Beziehungen zu ihrer bisherigen Umgebung abgebrochen und sind Überläufer geworden. Ob ihnen der Hochmutsfimmel zu Kopf gestiegen ist, oder ob finanzielle Vorteile winken?", fragt die Zeitung.

"Paradepferde für die bürgerliche Bewegung"

Erwin Seeler habe all seine Sympathien verspielt. "Es muß doch ein peinliches Gefühl sein, im Arbeiterviertel zu wohnen , täglich seinen ehemaligen Genossen begegnen zu müssen und dann verachtet zu werden. Als Paradepferde für die Kassen der bürgerlichen Bewegung herhalten zu müssen, dafür müssen sich Proletarier zu schade fühlen", schreibt das "Hamburger Echo".

Der Aufstieg des Fußballs

Begünstigt durch den neuen Achtstunden-Arbeitstag und durch die zunehmende Berichterstattung in der Presse steigt der Fußball in den 1920er-Jahren zum Massensport auf. Zieht das erste Endspiel um die "bürgerliche" Deutsche Meisterschaft 1903 in Altona nur 2.000 Menschen an, so sind es bei dem 1928 ebenfalls in Altona ausgetragenen Finale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) 42.000 Besucher. Um 1930 zählt der DFB mehr als eine Million Mitglieder, die Fußballclubs in der Arbeitersport-Bewegung kommen auf etwa 130.000 Aktive.

Erwin Seeler wird bürgerlich

Ob Erwin Seeler im Arbeiterviertel Rothenburgsort wirklich nicht mehr gern gesehen war, ist unklar. Aber der Fußballer zieht bald in eine komfortablere Wohnung in Hamburg-Eppendorf, nahe des Victoria-Stadions. An der Ecke Winzeldorfer Weg 16/Frickestraße bezieht er mit seiner Familie im dritten Stock eine Wohnung. Die führenden bürgerlichen Clubs üben damals auf die Spitzenspieler des Arbeitersports eine große Anziehungskraft aus. Obwohl es keinen Profifußball gibt, können die Vereine eine berufliche Karriere fördern oder eine Wohnung vermitteln.

Kommunisten verlassen den SC Lorbeer

Erwin Seeler für den HSV am Ball. © Witters Foto: Witters
Von 1938 bis 1948 bestreitet Erwin Seeler 200 Spiele im HSV-Trikot.

Ganz anders die Verhältnisse im Arbeitersport: Uwe Seeler erzählt später, dass sein Vater während seiner Zeit beim SC Lorbeer mal gesperrt werden sollte, weil er acht oder zehn Mark Fahrgeld angenommen haben sollte. Für Erwin Seeler gab es aber offenbar noch einen weiteren Grund, seinen Heimatverein SC Lorbeer zu verlassen. "Damals fing das an mit 'Rotsport' und so'n Mist bei uns im Verein", sagte er 1981 in einem Interview. Gemeint ist das Aufkommen von kommunistischen Sportvereinen, dem "Rotsport". Der SC Lorbeer spaltete sich 1932 auf: Die KPD-orientierten Mitglieder wurden ausgeschlossen, da sie ohne Genehmigung gegen den Verein Rotsport Bergedorf gespielt hatten.

"Old Erwin" beim HSV

Sechs Jahre lang spielt Erwin Seeler für Victoria, ehe er sich 1938 dem HSV anschließt. Dort erlebt er weitere ruhmreiche Jahre - und erhält die Beinamen "Vadder" und "Old Erwin". Im Arbeitersport hat Erwin Seeler neun Mal in der Bundesauswahl des Arbeitersports gespielt, in die DFB-Nationalmannschaft schafft er es jedoch nie. 1948 beendet er seine Fußball-Karriere nach einem Wadenbeinbruch.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 14.01.2016 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Hamburger Geschichte

Hamburger Fussball im Nationalsozialismus

Aufnahmen des ehemaligen HSV-Präsidenten Emil Martens 1933 (l.) und 1942 (r.)

HSV-Präsident Martens: Verehrt, verfolgt, entmannt

Die Lebensgeschichte von Emil Martens ist widersprüchlich und tragisch: Autoritär und erfolgreich führte er den HSV. Die Nazis trieben ihn in die "freiwillige" Kastration - weil er schwul war. mehr

Asbjørn Halvorsen (M.), HSV-Präsident Emil Martens (l.) und der Sportbeauftragte des Gaus Nordmark, Egon-Arthur Schmidt. Am Rothenbaum 1933.  Foto: Stövhase

"Raute unterm Hakenkreuz" - HSV in der NS-Zeit

Der Hamburger SV stellt sich der Verantwortung und arbeitet seine NS-Vergangenheit inzwischen konsequent auf. Rechten Auswüchsen begegnet der Club mit Aufklärung. mehr

Die Mannschaft des Hamburger SV im Jahr 1924: Baier, Martens, Risse, Lang, Halvorsen, Krohn (oben v.l.), Warnholtz, Breuel, Harder, Schneider, Rave (unten, v.l.) © Witters Foto: Witters

Harder und Halvorsen: Erst HSV-Freunde, dann Todfeinde

1923 feiern die Fußballhelden Asbjörn Halvorsen und "Tull" Harder gemeinsam die deutsche Meisterschaft mit dem HSV. Zwei Jahrzehnte später ist der eine KZ-Kommandant, der andere KZ-Opfer. mehr

Mehr Fußball-Meldungen

Jubel bei den Fußballerinnen des HSV © Witters Foto: Tay Duc Lam

Die Fußballerinnen des HSV - wieder auf dem Weg nach oben?

Nach Rang vier in der ersten Saison nach dem Zweitliga-Aufstieg spielen die HSV-Frauen wieder eine gute Rolle. Die Bundesliga-Aufstockung kommt ihnen entgegen. mehr