SC Lorbeer 1906: Triumph und Niedergang
Vom Helden zum "verachteten Verräter"
Im Alter von 21 Jahren wagt es Erwin Seeler, vom Arbeiterclub SC Lorbeer zu einem bürgerlichen Verein zu wechseln, dem SC Victoria Hamburg. Für den neuen Verein bestreitet er am 14. Februar 1932 sein erstes Spiel. Diesen Schritt nehmen ihm viele übel. Denn es ist viel mehr als nur ein lapidarer Vereinswechsel. So sieht es zumindest das "Hamburger Echo". Die Zeitung beschimpft Seeler als Verräter an der Arbeiterklasse - genau wie seinen Lorbeer-Mannschaftskameraden Alwin Springer, der ebenfalls zu Victoria geht: "Jetzt, wo sie auf der Höhe ihres Könnens stehen, haben sie plötzlich alle Beziehungen zu ihrer bisherigen Umgebung abgebrochen und sind Überläufer geworden. Ob ihnen der Hochmutsfimmel zu Kopf gestiegen ist, oder ob finanzielle Vorteile winken?", fragt die Zeitung.
"Paradepferde für die bürgerliche Bewegung"
Erwin Seeler habe all seine Sympathien verspielt. "Es muß doch ein peinliches Gefühl sein, im Arbeiterviertel zu wohnen , täglich seinen ehemaligen Genossen begegnen zu müssen und dann verachtet zu werden. Als Paradepferde für die Kassen der bürgerlichen Bewegung herhalten zu müssen, dafür müssen sich Proletarier zu schade fühlen", schreibt das "Hamburger Echo".
Erwin Seeler wird bürgerlich
Ob Erwin Seeler im Arbeiterviertel Rothenburgsort wirklich nicht mehr gern gesehen war, ist unklar. Aber der Fußballer zieht bald in eine komfortablere Wohnung in Hamburg-Eppendorf, nahe des Victoria-Stadions. An der Ecke Winzeldorfer Weg 16/Frickestraße bezieht er mit seiner Familie im dritten Stock eine Wohnung. Die führenden bürgerlichen Clubs üben damals auf die Spitzenspieler des Arbeitersports eine große Anziehungskraft aus. Obwohl es keinen Profifußball gibt, können die Vereine eine berufliche Karriere fördern oder eine Wohnung vermitteln.
Kommunisten verlassen den SC Lorbeer
Ganz anders die Verhältnisse im Arbeitersport: Uwe Seeler erzählt später, dass sein Vater während seiner Zeit beim SC Lorbeer mal gesperrt werden sollte, weil er acht oder zehn Mark Fahrgeld angenommen haben sollte. Für Erwin Seeler gab es aber offenbar noch einen weiteren Grund, seinen Heimatverein SC Lorbeer zu verlassen. "Damals fing das an mit 'Rotsport' und so'n Mist bei uns im Verein", sagte er 1981 in einem Interview. Gemeint ist das Aufkommen von kommunistischen Sportvereinen, dem "Rotsport". Der SC Lorbeer spaltete sich 1932 auf: Die KPD-orientierten Mitglieder wurden ausgeschlossen, da sie ohne Genehmigung gegen den Verein Rotsport Bergedorf gespielt hatten.
"Old Erwin" beim HSV
Sechs Jahre lang spielt Erwin Seeler für Victoria, ehe er sich 1938 dem HSV anschließt. Dort erlebt er weitere ruhmreiche Jahre - und erhält die Beinamen "Vadder" und "Old Erwin". Im Arbeitersport hat Erwin Seeler neun Mal in der Bundesauswahl des Arbeitersports gespielt, in die DFB-Nationalmannschaft schafft er es jedoch nie. 1948 beendet er seine Fußball-Karriere nach einem Wadenbeinbruch.
- Teil 1: Ein Verein der Arbeiter und Arbeitslosen
- Teil 2: Wie Erwin Seeler zum "Verräter" wird
- Teil 3: Das Ende des SC Lorbeer kommt mit den Nazis