Kommentar zu Hannover 96: Eine Familie im Selbstzerstörungsmodus
Der Mutterverein und die Kapitalseite von Hannover 96 haben sich buchstäblich in letzter Sekunde geeinigt und den Lizenzantrag für den Fußball-Zweitligisten auf den Weg gebracht. Doch der Schaden innerhalb des Clubs wie in der Außenwirkung ist nach dem jüngsten Zoff immens - und ein Ende des langjährigen Rosenkriegs alternativlos, meint Tom Gerntke in seinem Kommentar.
Wenn eine Ehe zu Ende geht, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Mutter und Vater verstehen sich weiterhin gut, klären die Dinge friedlich miteinander und tun wirklich alles dafür, um das Wohl der Familie und der eigenen Kinder zu schützen. Oder eben: Es gibt Streit. Einen Rosenkrieg, der für Außenstehende manchmal schon fast etwas Skurriles hat, der meist vor Gericht endet und bei dem am Ende eigentlich alle Beteiligten schlecht aussehen.
Letzteres ist bei Fußball-Zweitligist Hannover 96 der Fall. Und das schon seit Jahren. Eine "Familie" im Selbstzerstörungsmodus. Auf der einen Seite der (Mutter)verein um den Vereins-Aufsichtsrat Ralf Nestler und auf der anderen der Vater (des Erfolgs), Martin Kind. Neuestes Kapitel im Ratgeber-Buch "Ich will die Scheidung" war nun der Geschäftsführer-Streit.
Zoff am vorläufigen Tiefpunkt angekommen
Seit im vergangenen Jahr der langjährige Investor Kind, der den Club einst mit vielen Millionen vor dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit rettete, vom Bundesgerichtshof als Clubboss abberufen worden war, konnten sich der e.V. und die Kapitalseite nicht auf einen Nachfolger einigen. Damit war der Zoff am vorläufigen Tiefpunkt angekommen - und das Kind, um das sich eigentlich alles in einer Familie drehen sollte, war akut gefährdet. Es ging um nicht weniger als das sportliche Überleben des Vereins, um die blanke Existenz. Und das, obwohl der Zweitligist aktuell sogar wieder ans Tor zur Bundesliga klopft.
Gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen
Die Historie der jahrelangen Auseinandersetzung würde jeden Kommentar sprengen, deswegen nur so viel: Niemand gönnt dem anderen irgendwas. Anfang der Woche schien es noch so, als würden sich beide Seiten etwas angenähert haben, fast sogar "vernünftig-erwachsen" handeln. Der Vorschlag einer Doppelspitze mit Marcus Mann und Henning Bindzus auf der Geschäftsführerposition war schon fast zu harmonisch, um wahr zu sein.
Ende der Woche dann die erneute Irritation. Beide Seiten schoben sich (mal wieder) gegenseitig die Schuld zu, durch taktische Manöver den Gesamterfolg in Gefahr zu bringen. Oder - um im Bild zu bleiben - die Trennung schien in der Phase der gegenseitigen Vorwürfe und üblen Nachreden stecken zu bleiben. Trotz der Lösung jetzt, kurz vor Ablauf der Frist am Montag: Das schadete allen nachhaltig. Den handelnden Personen und dem Ansehen der gesamten 96-Familie.
So geht es nicht weiter bei Hannover 96
Klar ist: Auch wenn dieses Mal der absolute GAU einer Nicht-Lizenzierung in allerletzter Sekunde abgewendet werden konnte, geht es so nicht weiter bei Hannover 96. Die Pattsituation im Aufsichtsrat muss endgültig gelöst, die Gräben zugeschüttet werden. Auf die Trennungsphase der Gefühlsausbrüche muss nun endlich die der neuen Lebensgestaltung folgen.
Heißt konkret: Alle Parteien müssen sich gegenseitig und nachhaltig versprechen - oder noch viel besser schriftlich festhalten -, künftig an einem Strang zu ziehen. Ein für alle Seiten verbindlicher Ehe-Vertrag vor vielen Jahren hätte wohl vieles verhindert. Was damals nicht geklappt hat, ist heute mehr denn je alternativlos.
