96-Fans mit Pyro-Choreografie © imaga images Foto: Noah Wedel
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AUDIO: Hannover 96: Streit um höhere Ticketpreise wegen Pyrostrafen (3 Min)

Hannover 96 erhöht Ticket-Preise wegen Pyro-Strafen - Streit droht zu eskalieren

Stand: 07.06.2024 08:09 Uhr

Hannover 96 geht ab der kommenden Saison einen bislang einmaligen Weg. Der Fußball-Zweitligist legt die Strafen, die er wegen des Abbrennens von Pyrotechnik seiner Fans vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) auferlegt bekommen hat, auf die Ticketpreise um. Fan-Vertreter und Experten kritisieren das Vorgehen. Die 96-Fans sind bei dem Thema gespalten.

von Hendrik Lückhoff

Es ist am 16. März 2024 alles vorbereitet für die große Feier bei Hannover 96: Samstagabend, Flutlichtspiel, die Arena am Maschsee ist zur Zweitliga-Partie gegen den 1. FC Kaiserslautern nahezu ausverkauft. Rund 70 Jahre zuvor, am 23. Mai 1954, gewann Hannover 96 seine zweite und bis heute letzte Deutsche Meisterschaft. Im Endspiel damals gegen Kaiserslautern, durch einen 5:1-Sieg. Daran soll erinnert werden an diesem Abend im März.

Das Team der Niedersachsen läuft in extra angefertigten Retro-Trikots auf. Der einzige noch lebende Meister von damals, Rolf Gehrcke, heute 91, ist im Stadion. Viel zu feiern gibt es durch das 1:1 gegen den FCK am Ende aber nicht, der Aufstieg rückt in weite Ferne. Und für den Verein wird der Abend ein teures Nachspiel haben.

Gewaltige Pyro-Show beim Jubiläumsspiel

Denn für die 96-Fans gehört zu diesem Jubiläum eine große Pyro-Show dazu. Unmittelbar vor Anpfiff zünden sie in der Nordkurve hunderte Silvester-Raketen. Rund eine Minute lang schießen die weiß-goldenen Feuerwerkskörper leuchtend hell mit Knall-Effekten aus der Kurve am Stadiondach vorbei in den Nachthimmel. Dazu blinken in der gesamten Nordkurve verteilt hunderte grell-weiße Signallichter.

Hannover 96 ist Strafen-Tabellenführer

Allein diese Aktion wird den Verein rund 150.000 Euro kosten. Hannover 96 ist der Strafen-Tabellenführer der 2. Bundesliga. In den vergangenen zwei Jahren mussten die Niedersachsen aufgrund von Fan-Vergehen gut 1,2 Millionen Euro zahlen. Bereits in der Vorsaison hatte der Club damit gedroht, die Bußgelder auf die Ticketpreise umzulegen, sollten sich die Fans nicht zurückhalten.

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"Auf diese mögliche Maßnahme war vielfach deutlich hingewiesen worden, verbunden mit einem Appell an die Verursacher, ihr Handeln zu überdenken. Leider kam es dennoch zu immer wieder neuem Fehlverhalten", hieß es in einer Mitteilung. Nach Ablauf der aktuellen Spielzeit setzten die Verantwortlichen im Verein ihre Ankündigung um.

Im gesamten Stadion höhere Ticketpreise

Vor allem in der Fankurve auf der Nordtribüne werden die Karten deutlich teurer, im Schnitt steigen die Preise für Dauer- und Tageskarten hier um 22 Prozent. Im restlichen Stadion ist eine Anhebung um rund fünf Prozent geplant. Laut Verein ist die deutliche Anhebung im Fanbereich eine direkte Folge der hohen Strafzahlungen: "Die Umlage betrifft die Blöcke des Stadions, in denen im Rahmen von Heimspielen insbesondere durch das Abbrennen von Pyrotechnik Strafen verursacht wurden", so der Verein.

"Erstmals wird die Kampflinie, die der DFB in Sachen Pyrotechnik seit vielen Jahren erfolglos fährt, übernommen und auf den Fan übertragen." Prof. Harald Lange, Sportwissenschaftler und Fan-Forscher an der Universität Würzburg

Damit geht Hannover 96 im deutschen Fußball neue Wege. "Das ist ein einmaliger Vorgang. Vor allem auch, weil er ganz direkt begründet wird mit dem Umlegen der Pyro-Strafen", sagt der Sportwissenschaftler und Fan-Forscher Prof. Harald Lange von der Universität Würzburg im NDR Interview: "Dass man das auch genauso offen kommuniziert, das ist etwas Neues, das ist eine ganz besondere Qualität."

Hannover 96 argumentiert mit finanziellen Nöten

Der Verein führt dafür finanzielle Gründe an. "Die Höhe der Strafen tut uns extrem weh. Wenn man das ins Verhältnis zum Gesamt-Etat setzt, ist das für uns deutlich schmerzhafter als zum Beispiel für Eintracht Frankfurt oder wen auch immer", sagte 96-Sportdirektor Marcus Mann im Gespräch mit dem NDR. Eintracht Frankfurt führt die Strafen-Liste in der Bundesliga an.

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Hannovers Profifußball-Boss Martin Kind geht sogar noch einen Schritt weiter. Er kritisiert das Strafenmodell des DFB: "Es ist verbandsrechtlich so geregelt, dass wir für das Fehlverhalten Dritter haften. Dieses System halten wir für falsch. Die Strafen sollen einen präventiven Charakter haben. Das ist aber nicht der Fall."

Hannover 96 setzt sich für Reformen ein - bislang erfolglos

Diese Position können sogar Fan-Vertreter verstehen. Thomas Kessen, Sprecher des Fan-Verbandes "Unsere Kurve" pflichtet Kind bei: "Hier ist ein Fehler im System. Es wird eine ganze Menge in Sachen Sicherheit unternommen. Und die Vereine sagen 'Was sollen wir denn noch machen?' Und dennoch werden sie verurteilt und werden bestraft."

Der Verein aus der niedersächsischen Landeshauptstadt hat sich auch bereits für eine Reform der DFB-Sportgerichtsbarkeit und der Bestrafungspraxis eingesetzt. Auch gerichtlich hat sich Kind in der Vergangenheit schon dagegen gewehrt und Einspruch gegen Strafen eingelegt. Bislang erfolglos.

Fans reagieren gespalten

Eine Umfrage des NDR am Rande eines Spiels der zweiten Mannschaft von Hannover 96 zeigt: Die Fans reagieren gespalten auf die Ankündigung. Viele - gerade die, die nicht zu den Ultras gehören, in deren Kurve die Pyrotechnik gezündet wird - können die Preiserhöhungen in Folge der Strafen nachvollziehen. Auch wenn sie Kollektivstrafen ablehnen.

Andere dagegen glauben, dass sich dadurch nichts ändern wird. Einige befürchten sogar eine weitere Eskalation, berichten von einer angespannten Stimmung. Fan-Forscher Lange ist nicht überrascht über die unterschiedlichen Ansichten: "Es wird seitens des Vereins versucht, einen Keil in die Fankultur reinzutreiben. Dass man die Fans spaltet: in diejenigen, die für Pyrotechnik sind und diejenigen, die dagegen sind. Und das halte ich für sehr bedenklich."

Fan-Forscher: Weitere Eskalation zu befürchten

Das grundsätzliche Problem der Pyrotechnik in Stadien wird mit dem Vorgehen, das Hannover 96 nun praktiziert, kaum zu lösen sein. "Man geht mit viel Schwung an der Problemlösung vorbei", analysiert Lange: "Die Fans werden sagen: Jetzt erst recht. Ihr werdet sehen, was ihr davon habt. Und das ist meine Prognose für Hannover: Wir werden dort eine Ausweitung des Pyro-Themas sehen. Deswegen sind solche Maßnahmen vollends kontraproduktiv." Gut möglich also, dass sich der Verein auf noch höhere Strafen aufgrund von mehr Pyrotechnik im Stadion einstellen muss.

"Unbeteiligte Fans werden in Sippenhaft genommen." Thomas Kessen, Sprecher Fan-Verband „Unsere Kurve“

"Unsere Kurve" sieht das Vorgehen ebenfalls kritisch: "Nicht nur, dass die Strafen stumpf umgelegt werden, sondern unbeteiligte Fans werden auch in Sippenhaft genommen", betont Kessen: "Auch der Vater mit seinem Sohn oder die alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind, die vielleicht auch in der Kurve stehen, sollen jetzt ebenfalls dafür zahlen, dass andere ein Bengalo angezündet haben. Das widerspricht jeglicher Rechtsauffassung."

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Auch der Fanverband fordert eine Reform der DFB-Sportgerichtsbarkeit sowie der Strafenpraxis und sieht einen Fehler im System: "Die immer absurder werdenden Urteile und die immer höher werdenden Strafen müssen ein Ende finden. Selbst viele Vereine finden: So kann es nicht weitergehen. Das muss der nächste Schritt sein. Man versucht seit zwei Jahrzehnten, Pyrotechnik zu verhindern. Und es gelingt nicht. Also sagen wir: Akzeptiert den Status quo und lasst ihn uns gemeinsam so organisieren, dass er für alle sicher ist", so Kessen.

Hannover 96 als Vorbild für andere Vereine?

Bis es möglicherweise dazu kommt, werden die Vereine weiterhin hohe Strafen zahlen müssen, die sie zum Teil stark belasten. Der Anreiz, dem Beispiel Hannover 96 zu folgen, könnte also bei dem ein oder anderen Club steigen. Und dennoch ist ein solches Szenario für Fan-Forscher Lange eher unwahrscheinlich: "Die meisten Vereine haben die Logik der Fans verstanden, deswegen nehmen sie die Strafen zähneknirschend hin. Da haben sich viele Vereine mit den Strafen arrangiert."

Dieser Auffassung ist auch Kessen: "Die Geschäftsführung von Hannover 96 ist seit vielen Jahren bekannt dafür, dass sie mit Fan-Interessen nicht viel gemein hat. Das ist in anderen Vereinen ganz anders. Die, die verstanden haben, dass Fußball nur mit Fans funktioniert, werden das zur Kenntnis nehmen und insgeheim die Position der Fans unterstützen."

Hannover 96 hat mit seiner Entscheidung, die Ticket-Preise wegen der Strafen zu erhöhen, in jedem Fall einen Präzedenzfall geschaffen und damit innerhalb der Fan-Szene für Aufregung gesorgt. Weder eine Lösung des Problems noch eine Befriedung der Beziehung zu den Fans ist in Sicht.

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 10.06.2024 | 08:17 Uhr

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