HSV bei Hertha BSC: Viel Selbstvertrauen, aber auch viel Druck
Der HSV gastiert heute im schweren Auswärtsspiel bei Hertha BSC. Nach der 3:4-Pleite gegen den Karlsruher SC und dem daraus resultierenden Abrutschen auf Tabellenplatz vier stehen die Hamburger und insbesondere ihr Coach Tim Walter in Berlin unter Druck.
Der Gedanke war ja nicht sonderlich abwegig, dass Tim Walter am Donnerstag grimmig oder zumindest mit ernster Miene zur obligatorischen Spieltagskonferenz kommen würde. Der Fußballlehrer war immerhin in den vergangenen Tagen gesundheitlich angeschlagen. Zudem hätte ihm noch die Partie gegen den KSC, dieses beinahe schon absurde Fehlerfestival seiner Mannschaft, in den Kleidern stecken können.
Stattdessen aber erschien der 48-Jährige bestens gelaunt zur Frage-und-Antwort-Runde. Und um noch einmal zu unterstreichen, dass für ihn das Glas offenbar stets voll und nicht halbleer ist, begann die Medienrunde mit einem kleinen Scherz, den allerdings keiner der Anwesenden richtig verstand. "Kannst du ein Seehund-Geräusch?" fragte Pressesprecher Philipp Langer Walter, der Trainer ließ sich nicht lange bitten und heulte kurz zumindest ansatzweise wie eine Robbe.
Walter: "Bin noch relativ gelassen"
Seinen Humor hat der Zweitliga-Rekordtrainer also noch nicht verloren, obwohl sein Team am vergangenen Spieltag erstmals in dieser Saison aus den Aufstiegsplätzen rutschte und sich der Druck auf ihn daher naturgemäß erhöht. "Wir haben nur einen Punkt Rückstand auf die vorderen Plätze. Darum bin ich noch relativ gelassen", sagte Walter. Die Pleite gegen den KSC habe ihm keine schlaflosen Nächte bereitet, versicherte der 48-Jährige: "Das haben wir schnell aufgearbeitet. Wir wissen ja, woran es liegt."
Schonlau fällt weiter aus
Tatsächlich unterschied sich die fünfte Saisonniederlage in ihrem Zustandekommen von den vorigen. Diesmal resultierten die Gegentreffer nicht aus einer zu hoch stehenden Verteidigung oder abenteuerlichen Ballverlusten in der Vorwärtsbewegung. Gegen den KSC führten vier individuelle Fehler zu den Gegentoren. Insbesondere der bis dato so zuverlässige Innenverteidiger Stephan Ambrosius erwischte einen rabenschwarzen Tag. Aber auch Nebenmann Guilherme Ramos stand völlig neben sich.
Der noch immer an einer Wadenverletzung laborierende Kapitän Sebastian Schonlau wurde schmerzlich vermisst - und wird auch weiter fehlen. "Es ist die unendliche Geschichte unseres Innenverteidigers. Wir warten ab", erklärte Walter.
Walter fordert mehr Akribie bei Abwehrarbeit
Ohne Schonlau und auch ohne die angestrebte Innenverteidiger-Verstärkung reisen die Hamburger nun nach Berlin und wollen dort heute Abend (20.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) Wiedergutmachung für das Karlsruhe-Spiel betreiben. "Es ist unsere Aufgabe, unsere Fähigkeiten auf den Platz zu bekommen. Wir müssen konsequenter in Situationen gegen den Ball sein", forderte der Trainer. Seine Erfolgsformel: "Wenn wir es schaffen, so akribisch zu verteidigen wie auf Schalke und so leidenschaftlich anzugreifen wie gegen den KSC, dann glaube ich, sieht es ganz gut aus für uns."
Tatsächlich hatte der HSV zum Rückrunden-Auftakt beim FC Schalke 04 (2:0) eine stabile, reife Defensivleistung gezeigt. Dass die Walter-Mannschaft in Ballbesitz wohl das beste Zweitliga-Team ist, steht ohnehin außer Frage.
Drittes Duell mit Hertha BSC in dieser Saison
Die Suche nach der richtigen Balance - für die Hamburger ist sie ebenso eine unendliche Geschichte wie die Wadenverletzung von Kapitän Schonlau. Vielleicht klappt es ja gegen die Hertha mit einem guten Mix aus Angriff und Verteidigung. So wie in der Hinrunde, als die "Alte Dame" souverän mit 3:0 bezwungen wurde. Im Pokal-Achtelfinalspiel hingegen verteilte der HSV großzügig Geschenke an die Berliner und verlor nach zweimaliger Führung noch mit 6:8 nach Elfmeterschießen.
Wird Reese wieder zum HSV-Schreck?
Seinerzeit sorgte Fabian Reese mit zwei Treffern und einer Vorlage praktisch im Alleingang dafür, dass die Hertha ein 3:3 nach Verlängerung schaffte. Den früheren Angreifer von Holstein Kiel auszuschalten, könnte auch diesmal mitentscheidend für den Ausgang des Spiels sein. Walter macht sich diesbezüglich aber keine Sorgen.
"Bei uns auf der rechten Seite spielt Ignace Van der Brempt", sagte er, verheimlichte dabei allerdings, dass der fraglos sehr gute Rechtsverteidiger gegen den KSC vor dem Gegentreffer zum 3:4 den Ball verlor. "Wir müssen alles im Verbund klären, das ist auch der Plan. Wir sind schon auch gut genug, um das abfangen zu können", ergänzte er mit Blick auf "HSV-Schreck" Reese.
Berlin hat schweres Pokalspiel in den Beinen
Möglicherweise ist es für die Hamburger von Vorteil, dass der Hertha-Stürmer nach einer Corona-Infektion noch nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Und vielleicht profitieren die Norddeutschen auch davon, dass die Berliner noch das schwere Pokalviertelfinal-Spiel vom Mittwochabend gegen den 1. FC Kaiserslautern (1:3) in den Beinen haben. Und wenn nicht? Wenn auch an der Spree nichts Zählbares herausspringt? Dann könnte die nächste Pressekonferenz im Bauch des Volksparkstadions ohne Scherzchen beginnen. Und vielleicht auch ohne "Seehund-Imitator" Tim Walter...
Mögliche Aufstellungen:
Hertha BSC: Ernst - Kenny, Leistner, Kempf, Karbownik - Bouchalakis, Barkok, Scherhant, Niederlechner, Reese - Tabakovic
Hamburger SV: Heuer Fernandes - van der Brempt, Ramos, Ambrosius, Muheim, Meffert, Reis, Benes - Jatta, Glatzel, Dompé