FC St. Pauli: Umbruch mit viel Potenzial
Vor einem Jahr hatte Trainer Jos Luhukay für reichlich Wirbel beim Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli gesorgt. Es herrsche "zu viel Bequemlichkeit", es werde "zu viel in der Komfortzone gearbeitet" und es gehe zu viel darum, "miteinander befreundet zu sein", polterte Luhukay bereits vor dem ersten Saisonspiel und forderte Veränderungen. Die Wutrede fand Anklang bei Präsident Oke Göttlich, der davon sprach, wie wichtig "diese Ehrlichkeit" sei, "um Verbesserungen anzustoßen". Zwölf Monate später erfolgt bei den Hamburgern, auch aus finanziellen Gründen, tatsächlich ein radikaler Umbruch: Mit einer klaren Idee, zielstrebig und durchdacht - ohne Rücksicht auf Namen, Meriten und öffentliche Meinung.
Frischer Wind auf der Trainerbank
Erstes "Opfer" wurde ausgerechnet Luhukay selbst: Auf der Trainerbank sitzt nun in Timo Schultz zwar ein Novize, dafür aber ein äußerst erfahrener Mann in Sachen Talente-Förderung. Der 42-Jährige betreute seit 2014 St. Paulis Nachwuchsteams. Viele seiner Ex-Schützlinge stehen im aktuellen Profikader. Auch bei den Co-Trainern entschieden sich die Braun-Weißen für frisches Personal: Vereins-Ikone André Trulsen musste gehen, Schultz hat in Loïc Favé und Fabian Hürzeler zwei junge Assistenten an seiner Seite. Beide sind erst 27 Jahre alt. Vor allem Favé gilt wegen seiner innovativen Übungsformen als vielversprechendes Trainer-Talent.
Kader radikal verjüngt
Einen klaren Plan verfolgt St. Pauli auch bei der Kaderplanung: Jan-Philipp Kalla bekam nach 17 Jahren am Millerntor kein neues Vertrags-Angebot, in Waldemar Sobota und Johannes Flum mussten zwei weitere erfahrene Profis gehen.
Dafür zogen die Kiezkicker vier Nachwuchsspieler zu den Profis hoch (Aurel Loubongo, Christian Viet, Marvin Senger und Jannes Wieckhoff) und achteten auch bei den externen Neuzugängen auf Verjüngung, Perspektive und geringe Transferkosten. Die Stürmer Daniel-Kofi Kyereh und Maximilian Dittgen kamen ebenso ablösefrei wie Linksverteidiger Leart Paqarada. Trotz des noch jungen Alters - keiner ist älter als 25 - besitzt das Trio reichlich Zweitliga-Erfahrung. Mittelfeldmann Rodrigo Zalazar ist von Eintracht Frankfurt lediglich ausgeliehen. Den U20-Nationalspieler Uruguays zeichnet laut Schultz ein "körperbetonter, robuster Spielstil" aus.
Daschner steht für Torgefahr aus dem Mittelfeld
Einzig für Lukas Daschner überwies St. Pauli eine - unbekannte - Ablösesumme an den Drittligisten MSV Duisburg. "Wir haben eine Mannschaft mit vielen jungen und entwicklungsfähigen Spielern. Lukas passt perfekt rein, weil er ebenfalls Potenzial mitbringt und auch schon nachgewiesen hat, dass er in der Lage ist, dieses auf einem guten Niveau kontinuierlich abzurufen", sagte Sportchef Andreas Bornemann über den offensiven Mittelfeldspieler. Trainer Schultz setzt große Stücke auf Daschner: "Wir wollen in der kommenden Saison deutlich mehr Torgefahr aus dem Mittelfeld entwickeln und genau diese Eigenschaft bringt Lukas mit." In der vergangenen Saison erzielte Daschner zwölf Treffer und bereitete sechs vor.
Kommen Östigard und Gyökeres zurück?
Der Kader ist noch nicht vollständig, sicherlich benötigen die Hamburger noch Verstärkung auf der Innenverteidiger-Position und in der Offensive. Vielleicht kehren ja zwei alte, aber ebenfalls junge, Bekannte ans Millerntor zurück: Leo Östigard und Viktor Gyökeres haben bei Brighton & Hove Albion wohl weiter wenig Aussicht auf den Profikader und könnten erneut ausgeliehen werden. Gelingt das, hat St. Pauli eine deutlich verjüngte Mannschaft beisammen, die trotz eines Durchschnittsalters von 24,6 Jahren durchaus das Potenzial besitzt, in der kommenden Saison das Überraschungsteam der Liga zu werden.