Ex-Mitspieler Eggimann: "Enkes Tod hat das Geschäft nicht verändert"
Am 10. November 2009 nahm sich Robert Enke das Leben. Nach dem Tod des Nationaltorhüters von Hannover 96 wurde laut nach Veränderungen im Fußball-Business gerufen. Doch viel ist davon nicht geblieben, findet sein ehemaliger Mitspieler Mario Eggimann.
Mario Eggimann erinnert sich an den 10. November 2009, als wäre es gestern gewesen. "Ich saß im Auto. Stand vor meinem Haus und habe noch telefoniert. Ich habe mein Handy in der Hand gehalten und eine Whatsapp reinfliegen sehen von meiner Frau. Und da stand einfach: 'Robert ist tot.' Von dem Moment an, muss ich sagen, die nächste Stunde weiß ich nicht mehr viel", blickt der 42-Jährige zurück.
Wie viele erwischte die Nachricht von Enkes Tod auch Eggimann eiskalt. Eineinhalb Jahre zuvor war der Schweizer vom Karlsruher SC zu Hannover 96 gewechselt - und kommt beim Gedanken an die Fähigkeiten seines Mitspielers auch heute noch ins Schwärmen: "Robert Enke war ein unglaublich guter Torwart - der beste Torwart, mit dem ich je zusammengespielt habe." Der ehemalige Verteidiger spricht zudem vom Rückhalt, der der Keeper für seine Mitspieler gewesen sei: "Er hat einfach etwas ausgestrahlt, was eine Sicherheit gegeben hat."
Theresa Enke: "Wir dachten, mit Liebe geht das"
Ausgerechnet der Schlussmann eines Fußball-Bundesligisten, der damals auch der Stammtorhüter der deutschen Nationalmannschaft geworden war, fand aber selbst keine Sicherheit. Und das Fatale: "Robbi dachte, man könne das nicht in die Öffentlichkeit tragen", erklärte seine Ehefrau Theresa vor einiger Zeit.
Sie war einige der ganz wenigen, die wusste, dass es Deutschlands Nummer eins überhaupt schlecht ging. Depression sei damals ein Tabuthema gewesen. Bei der viel beachteten Pressekonferenz nach dem Tod ihres Mannes sagte sie unter Tränen: "Wir dachten, mit Liebe geht das. Aber man schafft es doch nicht immer."
DFB-Präsident Zwanziger forderte ein Umdenken aller
In den folgenden Tagen und Wochen überschlugen sich die Meldungen zu Enke, der sich vor einen fahrenden Zug gestürzt hatte. Dass er unter Depressionen litt, hatte der 32-Jährige verheimlicht. Nach außen hin hatte er sich nichts anmerken lassen. Die Anteilnahme war nach dem Suizid groß. Besonders in Hannover, wo im Niedersachsenstadion eine Trauerfeier stattfand. Aber auch bundesweit, die Veranstaltung wurde im Fernsehen übertragen.
Einer der Redner war damals Theo Zwanziger. Und der DFB-Präsident fand ebenso bewegende wie eindringliche Worte. "Maß! Balance! Werte - wie Fairplay und Respekt - sind gefragt. In allen Bereichen des Systems Fußball. Bei den Funktionären, beim DFB, bei den Verbänden, den Clubs, bei mir - aber auch bei euch liebe Fans", schallte es durchs Stadion, und es gab Zustimmung allenthalben.
Eggimann lernte, auf sich und andere aufzupassen
Für Eggimann war der Tod seines Mitspielers ein Moment, um tief in sich hineinzuhorchen. "Wenn man in dieser Struktur drin ist, spürt man schon: 'Oh, es ist schwer.' Es gibt schlechte Tage. Aber normalerweise schaut man nie so genau hin, was da wirklich passiert", erklärt der ehemalige Schweizer Nationalspieler. "Wenn man in dieser Struktur aufwächst, denkt man immer, dass es normal ist, was da passiert."
"Robert hat mir ein Bewusstsein dafür gegeben zu schauen, wie es mir selber geht. Aber auch dafür, bei anderen hinzuschauen und sie zu unterstützen." Mario Eggimann
Der 1,89-Meter-Modellathlet gestand sich ein, dass es ihm nicht gut geht - und suchte sich professionelle Hilfe, die er bei einer Traumatherapeutin fand. Die Arbeit trug schnell Früchte. Innerhalb kurzer Zeit wurde Eggimann wieder Stammspieler von Hannover 96 - und machte im folgenden Jahr den Großteil der Pflichtspiele. Allerdings legt der Ex-Profi großen Wert darauf, dass er selbst nicht depressiv gewesen sei: "Mir ging es nicht gut, Robert war schwer krank."
Fortbildungen in Trauma- und Gesprächstherapie
Das Ereignis und seine Aufarbeitung hinterließen bei Eggimann großen Eindruck. Bei seiner Therapeutin ließ er sich im Bereich Traumatherapie weiterbilden, und auch in der Gesprächstherapie kennt er sich heute bestens aus. Außer einem Studium im Sportmanagement, das er nach seinem Karriereende 2015 abschloss, steht heute zudem eine gestalttherapeutische Ausbildung in seiner Vita. All das lässt er in seine Arbeit als Spielerberater einfließen - in der er immer wieder mit psychischen Problemen seiner Klienten und auch Klientinnen zu tun hat. Auch Fälle, in denen es um Depressionen ging, habe er dank seiner Aus- und Weiterbildung professionell begleiten können.
Sein Appell ist einfach: Reden! Am besten schon in Zeiten, in denen es den Sportlern gut geht. Dann fällt es leichter sich zu öffnen, wenn die Gedanken immer düsterer werden. Dabei sind Vertrauenspersonen wichtig: "Sagt, wie es euch geht. Hört hin, was die dazu sagen. Und dann kannst du, wenn du dich mal geöffnet hast, entscheiden, ob es schon hilft, einfach mit jemandem drüber zu sprechen, oder ob du vielleicht zusätzlich jemanden braucht, dem du mal was erzählen kann."
Robert-Enke-Stiftung leistet wertvolle Arbeit
Theresa Enke leistet mit der im Januar 2010 gegründeten Robert-Enke-Stiftung wertvolle Aufklärungsarbeit, für die sie in diesem Jahr mit dem Niedersächsischen Verdienstorden ausgezeichnet worden ist. Aus ihrer Sicht ist es schon ein großer Fortschritt, dass mittlerweile offen über seelische Gesundheit gesprochen werden. Und sie hat mit Wohlwollen registriert, dass sich in den vergangenen Jahren immer wieder Profifußballer den Mut gefunden haben, über die Probleme zu sprechen. Zuletzt war dies Niklas Schmidt von Werder Bremen. "Ich glaube, der Tod, oder dieses tragische Ereignis, hat ganz viel in den Köpfen ausgelöst", ist Theresa Enke überzeugt.
Dass mittlerweile bei den großen Vereinen fast flächendeckend die Möglichkeiten dafür geschaffen worden sind, dass Spieler mit Teampsychologen sprechen können, begrüßt sie ebenso. "Da wird viel getan. Auch wenn das Thema natürlich in den unteren Klassen noch forciert werden muss. Aber es ist mittlerweile schon ziemlich gut", betonte die 47-Jährige. "Auch die Trainer nehmen sich der Athleten an. Und es ist kein Tabuthema mehr wie noch zu Robbis Zeiten. So: 'Jetzt reiß dich mal zusammen.' Das gibt es nur noch vereinzelt, würde ich sagen, aber nicht mehr groß."
Eggimann: "Die Vereine versuchen viel, aber..."
Doch Eggimann schaut als Berater und Ex-Profi noch aus einem anderen Blickwinkel auf die Thematik. "Das ist eine Leistungsgesellschaft. Der Profi will am Wochenende spielen. Deshalb überlegt er sich zweimal, was er dem Psychologen erklärt", so Eggimann. "Er muss natürlich davon ausgehen, dass das auch intern kommuniziert werden könnte." Deshalb müsse sich jeder fragen, ob es ihm sogar schaden könnte, sich im Verein zu öffnen.
Denn selbst wenn die Verantwortlichen mit Verständnis reagieren und dem Spieler Zeit zur Regeneration geben, könnte der Stammplatz nach seiner psychischen Genesung weg sein. Schließlich gibt es im Kader immer mindestens einen Konkurrenten, der auf seine Chance wartet. "Es wird schon auch versucht, mit dieser Thematik umzugehen. Ich glaube, die Vereine versuchen wirklich viel. Aber dass man jetzt sagt, das hat das ganze Geschäft verändert, das sehe ich nicht so."