Analyse vor Dortmund-Partie: Was fehlt Kovac' VfL Wolfsburg?
Fußball-Bundesligist VfL Wolfsburg hinkt seit Wochen seinen Ansprüchen hinterher. Die Datenanalyse zeigt: Die Probleme der "Wölfe" sind nicht neu. Das System von Trainer Niko Kovac passt nicht zum Kader - und die Spieler liefern schwankende Leistungen ab.
Von Europa hat man am Mittellandkanal schon lange niemanden mehr sprechen hören. Es sei denn, es wird über die ambitionierten Ziele sinniert, mit denen der VfL (einmal mehr) in die Saison gestartet ist. Doch nach nunmehr sechs sieglosen Spielen in Folge und bisher keinem Dreier im Kalenderjahr 2024 belegen die Niedersachsen lediglich Tabellenplatz zwölf - und die Europa League ist satte neun Punkte entfernt. Auf die Ränge sieben und acht, über die sich der Club für die Conference League qualifizieren kann, hat der VfL vier beziehungsweise fünf Zähler Rückstand.
"Schon die letzten zwei, drei Wochen höre ich, dass es das letzte Spiel ist, das Endspiel. Ich bin ja nicht von gestern, sondern von vorgestern. Ich weiß schon, was im Fußball alles möglich ist." VfL-Trainer Niko Kovac
Vor allem Trainer Kovac steht in der Kritik. Seit über eineinhalb Jahren leitet er die Geschicke der "Wölfe", seine Kritiker werfen ihm eine fehlende Weiterentwicklung der Mannschaft und nicht zuletzt des gespielten Fußballs vor. Das Heimspiel heute gegen Borussia Dortmund (15.30 Uhr, im NDR Livecenter) wird zum Schicksalsspiel für den 52-Jährigen, der dringend lange bekannte und anhaltende Probleme der Wolfsburger in den Griff bekommen muss, wie die Datenanalyse zeigt.
System von Kovac passt nicht zum Kader
Das Kernproblem bei den "Wölfen" ist die Systemfrage. Kovac lässt seine Spieler vorwiegend im 4-2-3-1-System spielen, mit dieser Formation agierte er auch schon als Trainer beim FC Bayern München. Nur: Die GSN-Daten zeigen, dass dieses System gar nicht zu Wolfsburg passt. Laut der Datenanalyse sollte der VfL besser in einem offensiv ausgerichteten 4-2-4-System mit zwei Stürmern agieren oder in einem 4-4-2 mit einer Doppelsechs. Letzteres ließ Kovac übrigens in seiner Zeit bei der AS Monaco spielen.
Mit dem Festhalten an einem 4-2-3-1 setzt der Kroate aber bis heute auf ein System, das nicht zu den Qualitäten seines Kaders passt. Das wäre in seiner ersten Saison als Coach des VfL noch verständlich gewesen, in der er einen Kader vorfand, der vor ihm zusammengestellt worden war.
Drei Transferperioden später ist dies nicht nachvollziehbar. Geld ist bei den "Wölfen" vorhanden, auch aufgrund der prominenten Abgänge wie Felix Nmecha oder Micky van de Ven, die zusammen 70 Millionen einbrachten. Bei der Neustrukturierung des Kaders bewies Sportdirektor Marcel Schäfer kein glückliches Händchen. Die Leistungsdaten der Neuzugänge zeigen, dass sie die Erwartungen bisher kaum erfüllen konnten.
Neuzugänge sind selten Verstärkungen
Bis auf Rechtsverteidiger Joakim Maehle, der für zwölf Millionen Euro Ablöse von Atalanta Bergamo kam, und Mittelfeldspieler Lovro Majer, der für 25 Millionen Euro von Stade Rennes geholt wurde, konnte keine der Verpflichtungen überzeugen. Im Gegenteil: Rechtsaußen Vaclav Cerny (Rang 17 von 21) und Innenverteidiger Moritz Jenz (Rang 57 von 66) gehören auf ihren Positionen leistungsmäßig zum unteren Drittel der Bundesliga. Auch die restlichen Neuzugänge bringen nicht annähernd die Leistungen, die man sich von ihnen erwartet hat.
Der Rest des Kaders ist in seinen Auftritten schwankend und inkonstant: Nur Torhüter Koen Casteels, Kapitän Maximilian Arnold, Mittelfeldspieler Mattias Svanberg und Stürmer Jonas Wind sind so etwas wie Leistungsträger in einer bisher verkorksten Saison.
Hingegen laufen Sebastiaan Bornauw, Yannick Gerhardt und Jakub Kaminski seit Wochen ihrer Form hinterher. Das gilt mittlerweile auch für Stürmer Wind, an dessen Personalie sich ein weiteres Problem der Niedersachsen festmachen lässt: die Offensive und das Toreschießen.
Stürmer Wind: Vom Über- zum Underperformer
Mit der Verpflichtung von Kevin Behrens im Winter wollten die Niedersachsen die "Abteilung Attacke" beleben und auch den Dänen Wind mehr entlasten, was bisher nicht funktioniert hat. Während Wind zu Beginn der Saison überperformte und bis zum zwölften Spieltag neun Tore erzielte, traf er seither überhaupt nicht mehr.
Was daran liegt, dass Wind bis Spieltag zwölf seine Schüsse häufig in "gefährlichen Räumen" abgab (25,1 Prozent) und dies aktuell selten gelingt (11,86 Prozent). Die Tor-Wahrscheinlichkeit ist mehr als halbiert, was viel darüber aussagt, wie sehr sich das Offensivspiel der "Wölfe" verschlechtert hat.
Probleme im Spiel der Wolfsburger sind altbekannt
Denn die Schwierigkeiten im Spielaufbau sind wiederkehrend - und haben ihren Ursprung bereits in der vergangenen Saison. Ein durchgehendes Problem unter Kovac sind die wenigen Balleroberungen. In der vergangenen Spielzeit lag der VfL ligaweit auf Rang 17, aktuell ist er 15. Die Wolfsburger pressen zu wenig, und wenn, ist es nicht effektiv. In den ersten fünf Sekunden nach Ballverlust gelang den Niedersachsen in der bisherigen Saison keine einzige Balleroberung - so kann sich der Gegner regelmäßig in Ruhe sortieren und sein Spiel aufbauen.
Auch die Standards der Wolfsburger sind ausbaufähig. Bisher gelang ihnen kein Treffer nach einem direkten Freistoß, nur einer nach einem indirekten. Und auch die Kontersituationen sind ungefährlich: kein einziges Tor nach einem Tempo-Gegenangriff - das ist der schlechteste Wert aller Erstliga-Teams. Zum Vergleich: In der vergangenen Saison waren die "Wölfe" noch die drittbeste Kontermannschaft der Bundesliga.
Wie lange hat der VfL noch Geduld mit Kovac?
Die Zahlen belegen: Es passt beim VfL Wolfsburg gerade nicht viel zusammen, zumal gemessen an den Ansprüchen des Clubs. Wie viele Chancen für eine Kurskorrektur Trainer Kovac in den folgenden Wochen noch bekommen wird, bleibt abzuwarten. Weitere Rückschläge in der Liga wird sich der Club aber nicht leisten können - ansonsten könnte am Mittellandkanal bald statt von Europa vom Abstiegskampf gesprochen werden.