St.-Pauli-Trainer Fabian Hürzeler feiert auf den Schultern eines Fans den Aufstieg in die Bundesliga. © IMAGO / osnapix

"23 Stunden Fußball" am Tag: Der Triumph von St.-Pauli-Trainer Hürzeler

Stand: 13.05.2024 13:47 Uhr

Der FC St. Pauli ist Bundesligist - und das vor allem auch aufgrund der akribischen Arbeit von Trainer Fabian Hürzeler. In akuter Abstiegsbedrohung hat er die Mannschaft übernommen und zum aktuell besten Team der Liga gemacht. Zugetraut hatten ihm das zu Beginn nicht alle.

von Tobias Knaack

Nach allem, was bekannt ist, haben auch die Tage von Hürzeler 24 Stunden. Der 31-Jährige verbringt sie nur wahrscheinlich anders als viele andere: "Mit 23 Stunden Fußball", wie er einst - halb im Scherz, aber wahrscheinlich doch mit einer großen Annäherung an die Wahrheit - über sich selbst gesagt hat.

Es ist ein kurzer Satz, der dennoch viel verrät. Denn es sind vor allem Hürzelers Prinzipien, seine Passion und Präzision, die ihn zu einem der gefragtesten Trainer der Republik gemacht haben, zu einem angehenden Bundesliga-Coach. Und den FC St. Pauli damit nach 13 Jahren wieder zu einem Erstligisten.

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Als der Sprung nach oben am vorletzten Spieltag feststand, trugen die Fans Hürzeler am Millerntor zunächst auf den Schultern und übergossen ihn dann mit Bier. Zum ersten Mal wird der FC St. Pauli in der nächsten Saison auch in einer höheren Liga spielen als der Stadtrivale Hamburger SV. Es mache ihn stolz, dass St. Pauli die Nummer eins der Stadt sei, bekannte er.

Der Aufstieg mit den "Kiezkickern" ist nach anderthalb Jahren im Amt Hürzelers bisheriges Meisterstück, der vorläufige Höhepunkt der steilen Trainer-Karriere eines Mannes, der es selber nicht ganz zum Profi brachte, der aber immer schon mit Weitblick agiert hat. Eines Mannes, der sich vor Stagnation fürchtet und sich selbst und sein Team immer weiterentwickeln möchte. Next stop: Bundesliga.

Hürzeler, der Mann mit drei Pässen

Geboren wurde Hürzeler 1993 in Houston im US-Bundesstaat Texas, die Mutter Deutsche, der Vater Schweizer, Zahnarzt. Von da komme die Präzision, sagte Hürzeler, der neben dem deutschen auch den amerikanischen sowie den schweizerischen Pass besitzt, dem Schweizer Portal "Blick" im vergangenen Dezember. Noch bevor er drei wurde, zog die Familie nach Deutschland, in Freiburg und später in München wuchs er auf.

Er machte Karriere als Junior beim FC Bayern, der letzte Schritt in die erste Mannschaft aber blieb ihm versagt. Auch bei Hoffenheim II gelang der Sprung ins Profigeschäft nicht - auch aufgrund von Verletzungsproblemen. Und so trieb er seine Karriere als Coach früh voran, war beim DFB-Nachwuchs Co-Trainer und mit 24 Jahren Spielertrainer beim fünftklassigen FC Pipinsried. 2020 dann der Wechsel als Assistent von Timo Schultz ans Millerntor.

Zehn Siege zum Start der Profi-Trainerkarriere

Als Hürzeler - der über sich sagt, dass seine "Tattoo-Sucht" ihn schon "mehrere Tausend Euro gekostet" habe - Ende 2022 das Amt von Schultz übernahm, hielten viele St. Pauli und insbesondere Sportchef Andreas Bornemann und Präsident Oke Göttlich für verrückt. Immerhin hatte der damals 29-Jährige bei einem Profi-Team bis dahin nur in zweiter Trainer-Reihe agiert.

Die Unkenrufe, sie verstummten schnell. Denn St. Pauli ist seitdem ein perfektes Beispiel dafür, wie groß der Einfluss eines modernen Trainers auf sein Team tatsächlich ist. Am Tag nach dem Aufstieg lobte Präsident Göttlich im ZDF das Zusammenspiel von Sportchef und Coach: "Die haben die Ambitionen, die Disziplin und den Fleiß in den FC St. Pauli mitgebracht."

Und das vom Start seiner Chaftrainer-Karriere weg: zehn Siege am Stück. Dass Hürzeler - Markenzeichen: Handschuhe bis in den Frühling hinein - die zuvor akut abstiegsbedrohte Mannschaft noch fast bis auf den Relegationsrang führte, gab einen Vorgeschmack auf das, was er und sein Team in dieser Saison vollbracht haben.

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Fans des FC St. Pauli schwenken Fahnen und werfen Konfetti. © IMAGO / Noah Wedel

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Die Menschen stehen im Vordergrund

Die Basis des Erfolges: dass er die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, wertschätzt, ihnen zuhört, sie einbindet. Und ihnen vertraut - den Spielern auf dem Feld ("Ich will Entscheider!"), seinen Assistenten Peter Nemeth und Marco Knoop etwa bei der Erarbeitung von einem der Erfolgsfaktoren in dieser Saison: den Standards.

Die Zeit bei den Bayern habe ihn geprägt, erklärte Hürzeler im vergangenen Herbst: "Als Spieler durfte ich, obwohl ich bei den Amateuren bei Bayern spielte, bei den Profis reinschnuppern." Auch unter Jupp Heynckes und dessen Assistent Peter Hermann. "Von ihnen habe ich sehr viel mitgenommen. Vor allem die Menschlichkeit."

Es sei für den Erfolg bedeutend, auch hinter die Fassade der Spieler zu blicken. "Der Spieler kann nur funktionieren, wenn der Mensch dahinter sich wohlfühlt", sagte er: "Das haben Jupp Heynckes und Peter Hermann gut hinbekommen, sie haben viel Freude ins Training reinbekommen, die Wertschätzung für jeden Spieler war immer da. Es war etwas Besonderes, wie sie Bayern führten."

Familie als Wertebasis

Es fügt sich in Hürzelers Gerüst von "Werten, mit denen ich großgezogen worden bin" in der Familie. Auch wenn dort bei Spieleabenden "schon mal Geschirr geflogen" sei, habe er aus dem Elternhaus vor allem seinen Perfektionsdrang und Ehrgeiz sowie seinen steten Willen, sich selbst und seine Mitmenschen und Spieler weiterentwickeln zu wollen, wie er dem NDR im Herbst sagte.

Trainer Fabian Hürzeler vom FC St. Pauli lächelt breit © Witters Foto: Tim Groothuis
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Das beinhaltet auch das Verhältnis von Lob und Kritik. "Sachliche Kritik und inhaltliches Feedback" gehören für ihn "zur Persönlichkeitsentwicklung", erklärte er damals. Eine Philosophie, die er auch seinen Spielern vermittelt - mit "freundschaftlicher Autorität".

Denn bekäme "die Mannschaft nur Lob und Komplimente - auch von mir -, dann würden wir irgendwann stagnieren", sagt Hürzeler. Er selber etwa will an der Seitenlinie nicht mehr so viele Gelbe Karten kassieren. Ein Spiel hat er in dieser Saison wegen einer Sperre verpasst. "Das ist etwas, woran ich arbeiten muss, das weiß ich."

Arbeitsethos und Anführer

An sich selbst zu arbeiten, besser zu werden, sich zu entwickeln, scheint dabei schon immer Teil seines Wesens, zumindest aber seiner fußballerischen Vita zu sein. Mit zwölf Jahren kam er an die Säbener Straße und war nach eigener Aussage "bis 14 wahrscheinlich der schlechteste Spieler überhaupt bei den Bayern".

Also habe er "jeden Tag hart trainieren" und an sich arbeiten müssen, "ehe sich der Fleiß ein paar Jahre später endlich auszahlte". Von da an sei es bergauf gegangen - und er schnell Kapitän in der Bayern-Jugend geworden. Das auch, weil es ihm schon damals gelegen habe, "vorneweg zu gehen".

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Antizipation und intrinsische Motivation

Zum Arbeitsethos kommt noch eine weitere Eigenschaft Hürzelers, die ihn bereits als Spieler auszeichnete: die Antizipation. So nahm er sich einst Weltmeister Bastian Schweinsteiger zum Vorbild und schulte vom Offensivspieler zum Strippenzieher im defensiven Mittelfeld um - und baute sich seine Position. "Gestatten, Bayerns Zukunft", titelte das Sportportal "Spox" damals.

Mit demselben Weitblick agierte er, als der Traum vom Profi sich absehbar zerschlug. Fortan verfolgte er, weil er die Perspektive des Trainers immer schon interessant fand, diesen Weg in den Profi-Fußball.

Diese "intrinsische Motivation" zu lernen, will er auch bei seinen Spielern sehen. Sei es, dass sie sich im Kraftraum athletisch entwickeln - oder nach einer Partie anrufen und fragen, wie sie die eine oder andere Spielsituation hätten auflösen können, wie er im vergangenen Dezember im "Millernton"-Podcast verriet.

Inspiration, Integration und Innovation

Seine Arbeit sei, den Spielern Lösungen an die Hand zu geben. Dass sie auch unter Druck gute Entscheidungen treffen können. Dafür muss er sich auch immer wieder selbst orientieren, bei anderen Mannschaften Inspirationen zu finden und diese, angepasst an das eigene Team und die zur Verfügung stehenden Spieler, ins eigene System zu integrieren.

Beispielsweise bei Ecken, wo Hürzeler und seine Assisten Anleihen in anderen Sportarten nehmen. Allerdings immer die Spieler einbinden, um von ihnen zu hören, "was sie von einer Variante halten und zum jeweiligen Gegner sagen".

Hürzeler will möglichst viel beeinflussen

Kürzlich sagte Hürzeler, dass im situativen Spiel Fußball mit all seinen Unvorhersehbarkeiten Standards "etwas sind, das man beeinflussen kann". Er mag das. Und so sprach er in diesem Moment nicht nur fachlich, sondern auch ein Stück weit über sich selbst.

VIDEO: St. Paulis Coach Hürzeler über das Training von Standards (2 Min)

Denn, das zeigt sein bisheriger Werdegang, Hürzeler möchte gerne so viel wie möglich beeinflussen können, möchte Ordnung, Stabilität, Kontrolle - auf möglichst vielen Ebenen. Daher ist eine seiner Leitmaximen zu handeln, aktiv zu sein, aktiv zu bleiben. Es ist das, was ihn zu einem so starken Akribiker und Analytiker macht. Es ist das, was ihn antreibt - und was ihn zu einem so gefragten Trainer macht.

Das weckte Begehrlichkeiten, um die natürlich auch der ehrgeizige Hürzeler weiß - und so zog sich seine Vertragsverlängerung am Millerntor in die Länge. Am Ende aber blieb der 31-Jährige.

Schulte bleibt St. Paulis jüngster Bundesliga-Coach

Wenn Ende August die neue Bundesliga-Saison beginnt, wird Hürzeler bei allem, was er in den vergangenen anderthalb Jahren seit seinem Amtsantritt am Millerntor vollbracht hat, eines allerdings nicht schaffen: der jüngste Bundesliga-Coach St. Paulis zu werden. Dieser "Titel" bleibt bei Helmut Schulte aus dem Jahr 1988, der damals 30 Jahre und zehn Monate alt war.

Es wird Hürzeler, der gerne als Trainer-Wunderkind bezeichnet wird, herzlich egal sein. Er hat den Club dorthin gebracht, wo der hin wollte und wo auch der 31-Jährige den Verein und sich selbst sieht: die Bundesliga. Er hat es auf seine Weise geschafft - und mit rund 23 Stunden Fußball am Tag. Gestatten, St. Paulis Gegenwart.

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Sportclub | 12.05.2024 | 23:05 Uhr

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