20 Jahre WM-Triumph: Gottschlich und die längste Party ihres Lebens
Vor 20 Jahren waren Deutschlands Fußballerinnen am Ziel ihrer Träume und erstmals Weltmeisterinnen. Die Wolfsburgerin Stefanie Gottschlich war als einzige Norddeutsche beim Triumph am 12. Oktober 2003 dabei. Zwei Jahrzehnte später blickt sie zurück.
Die Erinnerung daran, was sich in der Arena von Carson (USA) in der 98. Minute des Endspiels gegen die Schwedinnen zutrug, lässt Gottschlich noch immer strahlen. Die 45-Jährige lächelt im NDR Interview - auch über sich selbst, über diesen Moment der Unschlüssigkeit, als Nia Künzer nach einem Freistoß von Renate Lingor per Kopfball das 2:1 erzielte - das Golden Goal.
"Ich war im ersten Moment erstaunt darüber, dass das Spiel auf einmal zu Ende war. Man hat sich auch so ein bisschen ratlos angeguckt", schildert sie. "Auf einmal sind dann alle auf Nia zugestürmt und ich dachte: 'Ach komm, jetzt gehst du mit.'"
"Es war gefühlt eine 24-Stunden-Party." Stefanie Gottschlich
Eine ziemlich gute Entscheidung. Denn so war die Verteidigerin des VfL Wolfsburg, die bei allen sechs Auftritten der deutschen Mannschaft zum Einsatz kam und ein Tor erzielte, mittendrin im Bad der Emotionen. Das auch der Startschuss war für Feierlichkeiten, die aufgrund der frühen Anstoßzeit von 10 Uhr Ortszeit in der 95.000-Einwohner-Stadt in Kalifornien lange dauerten. Sehr lange.
"Das Bankett war erst abends um 18 oder 19 Uhr. Also haben wir die Zeit bis dahin irgendwie verdüdelt und in der Kabine schon etwas getrunken. Und dann ging es abends richtig zur Sache. Es war gefühlt eine 24-Stunden-Party", erzählt die Niedersächsin.
Tausende Fans feiern DFB-Frauen auf dem Römer
Die dann nach der Rückkehr nach Deutschland ihre Fortsetzung fand. In Frankfurt gab es einen großen Empfang für die Weltmeisterinnen, das Team von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer ließ sich auf dem Balkon des Römer von Tausenden Menschen feiern.
"Da hat man erst einmal begriffen, wie viele Leute uns als Fans begleiten haben und diesen Erfolg mit uns feiern wollten. Es war schon irre, da hinunterzuschauen. In Wolfsburg habe ich vorher vor 200 Zuschauern gespielt. Und dann stehen da 8.000 bis 10.000 Leute - unglaublich", so Gottschlich.
Mehr Zuschauer als zuvor
Der Titel habe dem Fußball der Frauen den ersten großen Schub verliehen: "Danach waren die Stadien auf einmal voll. Das beste Beispiel war das Spiel gegen Portugal." Mitte November verfolgten 13.500 Zuschauerinnen und Zuschauer in Reutlingen das mit 13:0 gewonnene EM-Qualifikationsspiel - für damalige Verhältnisse eine große Kulisse.
Gefeiert wurde die Weltmeisterin auch bei ihrem Club. Im Gegensatz zu heutigen Zeiten, in denen stets zahlreiche VfL-Spielerinnern im DFB-Kader stehen, war die damals 25 Jahre alte Verteidigerin die einzige Vertreterin aus Wolfsburg und auch die einzige Norddeutsche.
Es hätten aus ihrer Sicht schon damals gerne mehr sein dürfen, damit sich die Aufmerksamkeit besser verteilt. "Ich bin nicht der Typ, der gerne im Rampenlicht steht. Das war alles sehr ungewohnt. Ich habe es irgendwie genossen, aber es war auch total anstrengend."
Nach diversen Verletzungen Karriereende mit 28 Jahren
Der WM-Triumph war der größte Erfolg ihrer Laufbahn, aber längst nicht der einzige. Bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 gewann die Allrounderin mit dem DFB-Team Bronze. 2004 wurde sie Niedersachsens Fußballerin des Jahres und erhielt anlässlich des WM-Gewinns das Silberne Lorbeerblatt. Nach zuvor drei erlittenen Kreuzbandrissen beendete die 45-malige Nationalspielerin (drei Tore) im August 2006 mit nur 28 Jahren ihre Laufbahn. Gottschlich bestand 2006 zwar noch die Prüfung zur Trainerin mit B-Lizenz, doch letztlich schlug sie einen anderen Weg ein.
Gottschlich verkaufte früher Autos und heute Currywurst
"Fußball kommt gefühlt auch gar nicht mehr infrage. Ich bin komplett raus aus dem Thema und das fällt mir auch nicht schwer", berichtet sie. "Ich hatte nach dem Karriereende noch ein bisschen mit Fußball zu tun, mit Stützpunkttraining für Mädchen. Aber ich habe gemerkt, das ist alles nichts mehr für mich." Ihren beruflichen Weg setzte sie im kaufmännischen Bereich fort.
Schon 1995 hatte sie bei Volkswagen eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokummunikation begonnen. Zuerst handelte sie mit Autos, seit 2006 verkauft sie Currywurst an Autohäuser und externe Kunden. Gottschlich: "Die Anfragen kommen per Mail oder Telefon und dann wird gefragt, ob es möglich ist, die Currywurst nach Zürich, Shanghai oder in die deutschen Bundesländer zu bringen. Es macht Spaß, und es gibt immer wieder etwas Neues."
Vor dem Fernseher schon mal im Deutschland-Trikot
Die Auftritte der deutschen Männer verfolgt sie nicht mehr, das Thema sei "seit Katar hinten heruntergefallen". Frauenspiele, gerade bei einer EM oder WM, schaue sie dagegen schon. "Ich fand es schade, dass die Deutschen dieses Jahr bei der WM früh ausgeschieden sind", sagt die 45-Jährige, die seit 2009 in Hannover lebt.
Bei den Spielen der DFB-Frauen "ziehe ich dann auch mal ein Deutschland-Trikot an", erzählt Gottschlich. Es erinnert sie auch ein bisschen daran, wie schön es damals war. Ganz besonders am 12. Oktober 2003 in Carson zur Mittagszeit, als sie nach dem Golden Goal von Künzer kurz ratlos war und dann einfach losrannte - mitten hinein in die längste Party ihres Lebens.