Sozialwahl: Worum geht es, wie wird gewählt?
Millionen Versicherte im Norden haben Unterlagen zur Sozialwahl 2023 erhalten. Die Abstimmung endete am 31. Mai. Wer stand zur Wahl, was bringt das und was haben Krankenkassen damit zu tun? NDR.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was steckt hinter der Sozialwahl?
Der Grundgedanke der Sozialwahl: Wer Renten- und Krankenkassenbeiträge zahlt, soll mitbestimmen dürfen, was mit diesen Geldern passiert und wofür sie eingesetzt werden. Das geschieht nicht direkt, sondern über die gewählte Vertretung der Versicherten. Die Sozialversicherungen - dazu gehören die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung und die gesetzliche Rentenversicherung - verwalten sich selbst, sollen nach Definition also finanziell und organisatorisch weitgehend unabhängig vom Staat sein.
Wer durfte wählen?
Zunächst einmal: Versicherte der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Techniker, Barmer, DAK-Gesundheit, KKH Kaufmännische Krankenkasse und hkk Handelskrankenkasse können bei der Sozialwahl abstimmen. Sie müssen das 16. Lebensjahr vollendet haben. Laut Bundessozialministerium dürfen bei der Krankenkasse Azubis wählen, familienversicherte Studentinnen und Studenten jedoch nicht. Insgesamt waren bei der Sozialwahl 2023 mehr als 50 Millionen Menschen wahlberechtigt.
Wer wird bei der Sozialwahl gewählt?
Die Wahlberechtigten stimmen für ihre Vertreterinnen und Vertreter für die sogenannten Selbstverwaltungsgremien, die höchsten Entscheidungsgremien der Sozialversicherung. Vereinfacht gesagt: ihre Versichertenparlamente. Bei den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sind das die Verwaltungsräte, bei der Renten- und Pflegeversicherung ist es die Vertreterversammlung. Diese Gremien sind zur Hälfte mit Vertreterinnen und Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber besetzt. Bei den Ersatzkassen sind es sogar mehr Versichertenvertreter und -vertreterinnen.
Worüber entscheiden die Versichertenparlamente eigentlich?
In den Versichertenparlamenten entscheiden die Vertreterinnen und Vertreter etwa über die Haushalte der Versicherungen. Aber auch über den Kurs der Versicherungen, Bonusprogramme oder zum Beispiel Qualität von Reha-Angeboten, Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen. Die Vertreterversammlung der Rentenversicherung wählt zudem mehrere Tausend ehrenamtliche Versichertenberaterinnen und Versichertenberater, die etwa helfen, Rentenanträge auszufüllen. Die Verwaltungsräte bei den Ersatzkassen haben über die Wahl der Vorstände Einfluss, welche Maßnahmen von den Krankenkassen zur Vorsorge angeboten werden und legen neue Services für Versicherte fest, wie es die Deutsche Rentenversicherung Bund erklärt.
Gibt es direkte Kandidatinnen und Kandidaten? An wen geht die eine Stimme?
Bei der Sozialwahl stehen keine Parteien zur Wahl - anders als bei politischen Wahlen. Abgestimmt wird für Listen, die im Vorfeld aufgestellt worden sind. Je nach Anteil der auf die gesamte Liste entfallenden Stimmen werden die Sitze in den Selbstverwaltungsgremien verteilt. Aufstellen lassen sich neben Einzelkandidaten auch Mitglieder von Gewerkschaften, anderen Vereinigungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Vertretungen von Arbeitgebern. Wer auf welcher Liste steht, erfahren Sie auf den Internetseiten der Gewerkschaften und der Krankenkassen.
Wie und wann wurde 2023 gewählt?
Die Wahlberechtigten bekamen dazu einen oder mehrere Briefe. Sie hatten jeweils eine Stimme und konnten diese geheim abgeben. Bei dieser Sozialwahl konnten Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherungen erstmals auch online wählen. Abgestimmt werden konnte bis zum 31. Mai 2023.
Was passiert, wenn ich die Wahl verpasst habe?
Nichts - die Teilnahme an der Sozialwahl ist freiwillig, ebenso wie bei politischen Wahlen in Deutschland. Allerdings wird über die Zusammensetzung der Versichertenparlamente dann ohne Ihre Stimme entschieden. Bei der vorvergangenen Sozialwahl lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 30 Prozent - offenbar auch deshalb, weil viele Menschen nicht wussten, wozu die Wahl gut ist. Da die Kosten für die Sozialwahl 2023 am Ende etwa 60 Millionen Euro betragen, gibt es auch Kritik am Verfahren, das offenbar viele Menschen nicht "mitnimmt".
Welche Kritik am Wahlverfahren gibt es genau?
Ein Kritikpunkt ist das für viele Menschen offenbar undurchsichtige Verfahren, das zu einer geringen Beteiligung führt. Aber es gibt auch Kritik, dass die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Versicherten am Ende relativ gering sind. Denn inzwischen hat der Gesetzgeber in sehr vielen Bereichen das Ruder übernommen. Schätzungsweise mehr als 90 Prozent aller Regelungen in den Sozialversicherungen sind per Gesetz vorgegeben. Da hat ein Selbstverwaltungsorgan nur noch bedingten Spielraum. Zudem können viele Versicherte gar nicht an der Sozialwahl teilnehmen: Bei etlichen Krankenkassen oder auch regionalen Rentenkassen fanden nämlich bereits sogenannte Friedenswahlen statt, bei denen es nur eine Liste gab, beziehungsweise genau so viele Kandidatinnen und Kandidaten wie verfügbare Plätze. Dabei wird kritisiert, dass intransparent sei, wer dort auf der "Wahl"-Liste landet - und am Ende automatisch "gewählt" wird. Selbst eine freie Liste zu gründen ist zwar in vielen Fällen möglich - oft benötigt man dafür aber einige Hundert bis Tausend Unterschriften, bevor man zugelassen wird.
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