Der NDR Chor von 1946 bis 2018
Der NDR Chor ist heute einer der international führenden professionellen Kammerchöre. Am 1. Mai 1946 wurde der NDR Chor gegründet. Mit den Chefdirigenten änderten sich die Repertoires, mit den Moden wechselte die Kleiderordnung: Wir lassen einige wichtige Stationen in der Entwicklung des Chors Revue passieren.
1946 bis 1965: Von Oratorium bis Operette - die Ära Max Thurn
Die älteste noch erhaltene Aufnahme des Chors im Archiv des NDR stammt vom 13. Dezember 1948 - ein historisches Dokument: Hans Schmidt-Isserstedt dirigierte den Gefangenenchor aus Beethovens "Fidelio". "O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben" - diese Botschaft dürfte 1948 vielen aus der Seele gesprochen haben. Nach der Barbarei des Nazi-Regimes und der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs sehnten sich die Menschen nach geistiger Erbauung, nach Trost und Schönheit in der Musik.
Um dieses Bedürfnis auch im Rundfunk zu erfüllen, gründete der NWDR 1945 sein Orchester unter Leitung von Hans Schmidt-Isserstedt und ein Jahr später, am 1. Mai 1946, seinen Chor unter Leitung von Max Thurn: "Wir ließen einen Ruf durch den Äther ertönen, und der lautete: Berufssänger aller Stimmgattungen werden gesucht. Sie sollen sich beim NWDR melden."
Aus über 2.000 Bewerbungen wählte der erste Direktor Max Thurn 55 Sängerinnen und Sänger aus, mit denen er den Chor gründete, zunächst vor allem als Partner des Sinfonieorchesters. Die Fotos von damals vermitteln einen Eindruck von der Atmosphäre der Anfangszeit. Die Herren trugen auch in der Probe selbstverständlich Hemd und Krawatte, die Damen kamen im Rock: bei offiziellen Chorfotos standen alle streng in Reih und Glied.
Von Bach-Kantaten bis "Fledermaus"
Einen Schwerpunkt bildete die Musik von Johann Sebastian Bach. In seiner knapp zwanzigjährigen Amtszeit nahm Max Thurn mit dem Chor 106 Bach-Kantaten auf. Die sogenannte ernste Musik war allerdings nur eines von mehreren Standbeinen. Das Ensemble bediente auch die Unterhaltungssparte, mit Gesamtaufnahmen von Operetten wie der "Fledermaus" oder Produktionen einzelner Hits aus dem leichten Repertoire, wie zum Beispiel 1952, da haben die Herren des NDR Chors mit der jungen Anneliese Rothenberger das Lied der Wally aus der Operette "Tausend und eine Nacht" von Johann Strauss Sohn eingespielt.
Die Vielseitigkeit gehörte für den Chordirektor Max Thurn zu den besonderen Herausforderungen eines professionellen Ensembles: "Es geht von der Unterhaltungsmusik über die Oper bis zum Oratorium. Es sind zum größten Teil Werke, die in ihren musikalischen und stimmlichen Anforderungen weit über das hinaus gehen, was Laienchöre vermögen zu singen."
Musikgeschichte mit Schönberg
Der Berufschor des NDR widmet sich im Laufe der Zeit auch immer stärker der Neuen Musik. Ein Meilenstein war die konzertante Uraufführung von Schönbergs Opernfragment "Moses und Aaron" im Jahr 1954 unter Leitung von Hans Rosbaud. Mit dieser Premiere schrieb der Chor Musikgeschichte. Hans Rosbaud war einer von vielen namhaften Dirigenten, mit denen der Chor zusammenarbeitete und seinen hervorragenden Ruf begründete - unter ihnen auch Persönlichkeiten wie Lorin Maazel, Otto Klemperer oder Ferenc Fricsay, der 1959 eine Aufführung von Rossinis "Stabat Mater" leitete.
Nach knapp zwanzig erfolgreichen Jahren ging der Gründer und erste Chordirektor Max Thurn 1965 in den Ruhestand. Sein Abschiedskonzert umfasste ein A-cappella-Programm mit einer Bandbreite von Josquin bis zum "Stabat Mater" von Krzysztof Penderecki.
- Teil 1: 1946 bis 1965: Von Oratorium bis Operette - die Ära Max Thurn
- Teil 2: 1966 bis 1978: Helmut Franz rückt Zeitgenössisches in den Fokus
- Teil 3: 1979 bis 1998: Gänsehautmomente mit Menuhin und Karl Richter
- Teil 4: 1999 bis 2004: Hans-Christoph Rademann verschlankt den Klang
- Teil 5: 2005 bis 2018: Philipp Ahmann formt Kammerchor mit eigener Abo-Reihe