Stand: 04.11.2016 14:22 Uhr

Der NDR Chor von 1946 bis 2018

von Marcus Stäbler

Der Abschied vom Chordirektor Helmut Franz im Jahr 1978 markierte einen Einschnitt. Nach der Anfangszeit mit zwei langjährigen Leitern folgte eine wechselhafte Phase beim NDR Chor. Die Nachfolger hatten es schwer, einen prägenden Eindruck zu hinterlassen.

NDR Chor in der Kirche St. Jacobi in Hamburg © NDR/Detlef Drischel
Uraufführung des Oratoriums "Mysterion" von Iannis Christou mit dem NDR Sinfonieorchester und dem NDR Chor unter der Leitung von Francis Travis in der Kirche St. Jacobi in Hamburg

Trotzdem erlebte der NDR Chor in dieser Zeit einige Sternstunden - auch dank der charismatischen Gastdirigenten. Der Bassbariton Christfried Biebrach, seit 1976 dabei, schwärmt von seinen persönlichen Gänsehautmomenten während der 80er-Jahre: "Zum Beispiel hat Menuhin ein Gedenkkonzert dirigiert, mit dem Mozart-Requiem. Er hatte eine derartige Ausstrahlung, dass man so ein Konzert als etwas Besonderes empfand. Oder sehr schön in Erinnerung habe ich auch Peter Schreier als Dirigent. Er hat einen 'Messias' im Hamburger Michel aufgeführt. Ich habe noch Karl Richter erlebt, der hier einen 'Elias' dirigiert hat, als er schon einen Schlaganfall hatte und mit dem einen Arm kaum dirigieren konnte. Und trotzdem sind solche Momente schon etwas, was man behält."

Die besonderen Qualitäten

Für heutige Ohren klingt diese Mendelssohn-Interpretation von 1980 eher ungewohnt und ziemlich breit im Tempo und im Klang. Doch Karl Richters romantischer Ansatz hat auch heute noch seinen Reiz und entsprach den besonderen Qualitäten des NDR Chors, wie der Sänger Christfried Biebrach erklärt: "Der NDR Chor hatte zu meiner Anfangszeit immer den Ruf, einen romantischen Chorklang zu haben, das war eine sehr erfolgreiche Richtung."

Diese Richtung schlug auch der langjährige Hamburger Kirchenmusikdirektor Günter Jena ein, als er mit dem NDR Chor ab Herbst 1981 an einer Aufnahme der Chorwerke von Brahms probte. Für diese Zeit war Jena mehr als ein Gastdirigent, wie er rückblickend feststellte: "Es war nun damals keine einzelne, kurzfristige Einstudierung, sondern eine Schallplatteneinspielung aller Brahms-Werke. Ich war ein halbes oder Dreivierteljahr täglich beim NDR und hab mit dem Chor gearbeitet."

Gedeckte Farben und großer Atem

Die Brahms-Edition, bei der Deutschen Grammophon erschienen, bescherte dem Chor ein begeistertes Echo und bestärkte sein internationales Renommee. Die Einspielung wurde mit dem französischen "Orphée d’Or" ausgezeichnet, einem der bedeutendsten Schallplattenpreise. Auch 35 Jahre später betört die Aufnahme mit ihrer klanglichen Wärme - bis heute ein Markenzeichen des NDR Chors.

Porträt von Michael Gläser. © Michael Gläser Foto: Willi Wagner Fotografie
Michael Gläser, seit 1994 Professor für Chordirigieren an der Münchner HMT, bildete mit Gritton während der 90er-Jahre eine Art Doppelspitze.

Das Bad im romantischen Klang genossen viele seiner Direktoren und Gastdirigenten. Auch der Brite Robin Gritton und Michael Gläser, die während der 90er-Jahre eine Art Doppelspitze bildeten. Mit ihren gedeckten Farben und dem großen Atem gehört Michael Gläsers Aufnahme des Abendlieds von Rheinberger zu den chorischen Schätzen im Schallarchiv des NDR: In diese weichen Bögen mit dem satten Bassfundament möchte man sich am liebsten hineinlegen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 06.05.2016 | 19:00 Uhr

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