Der NDR Chor von 1946 bis 2018
Philipp Ahmann brachte neuen Schwung. Er übernahm von 2008 bis 2018 das Ensemble, als eine klare Perspektive gefragt war. "Der Chor hatte etwas über vier Jahre keinen Chefdirigenten mehr und hatte meines Erachtens kein klares Ziel vor Augen", so Ahmann. "Das war für mich eine gute Startposition sozusagen." Deshalb konnte er seine eigenen Ideen entwickeln und dem Ensemble ein neues Profil geben.
Als logische Konsequenz der kleineren Besetzung. Denn die Zahl der festen Chorsänger hatte sich im Laufe der Zeit von 55 auf 28, also etwa die Hälfte reduziert. "Und es liegt nahe, dass ich auf den Gedanken kam: Um sich zu profilieren, muss der Chor zu dem Repertoire greifen, das dieser Größe entspricht. Diese Größe ist die eines Kammerchors. Und ich habe versucht, das Repertoire von Anfang an auf den Kammerchor auszurichten, den ich vorfand."
Philipp Ahmann begründete eine eigene Abo-Reihe des Chors mit Schwerpunkt auf der A-cappella-Literatur und einem breit gefächertem Repertoire von der Renaissance über die Romantik bis zur Gegenwart. Trotz des Schwerpunkts auf dem A-cappella-Repertoire bleibt der Chor ein Partner des NDR Elbphilharmonie Orchesters - wie bei den Aufführungen von Robert Schumanns "Faust-Szenen" im vergangenen Herbst unter Leitung von Thomas Hengelbrock.
Ein anspruchsvoller Chef
Grundlage für den Erfolg ist die sorgfältige Probenarbeit von Philipp Ahmann, der jeden Ton unter die Lupe nimmt. "Ich hab sicherlich von Anfang an sehr viel an Intonation gearbeitet. Und dann natürlich die Suche nach einem gemeinsamen Klang, nach den gleichen Vokalen, der gleichen Vokalfärbung." Ahmann, der gebürtige Osnabrücker, ist ein anspruchsvoller Chef, der seine Sänger fordert und eine ganz klare Vorstellung davon hat, wohin er will. "Generell würde ich sagen, dass wir einen reinen Klang anstreben, ohne dabei eine gewisse Klangfülle und Wärme zu verlieren. Wenn man das mit dem Chor erreicht, kann man wirklich zu beglückenden Ergebnissen kommen. Weil der Chor diese Klangfülle immer gehabt hat, er hat stimmlich durchaus was zu bieten."
Die stimmliche Qualität ist eine Konstante in der Geschichte des NDR Chors - doch ansonsten hat sich der Charakter seit der Gründung im Jahr 1946 grundlegend gewandelt. Auch im Umgang mit dem Publikum. Seit 2012 lädt der NDR Chor einmal im Jahr zu seinen Mitsing-Projekten mit dem Titel "SINGING!". Dort musizieren die Berufssänger gemeinsam mit Hunderten Laiensängern. Das wäre früher kaum vorstellbar gewesen. Aus dem Ehrfurcht gebietenden und üppig besetzten Klangkörper der Anfangszeit ist nach sieben Jahrzehnten ein flexibler und nahbarer Kammerchor geworden, mit treuer Fangemeinde.
- Teil 1: 1946 bis 1965: Von Oratorium bis Operette - die Ära Max Thurn
- Teil 2: 1966 bis 1978: Helmut Franz rückt Zeitgenössisches in den Fokus
- Teil 3: 1979 bis 1998: Gänsehautmomente mit Menuhin und Karl Richter
- Teil 4: 1999 bis 2004: Hans-Christoph Rademann verschlankt den Klang
- Teil 5: 2005 bis 2018: Philipp Ahmann formt Kammerchor mit eigener Abo-Reihe