Umfrage: Mehrheit für Geflüchtete in der Nachbarschaft
Die Mehrheit der Teilnehmenden an einer #NDRfragt-Umfrage hat nichts gegen eine Unterbringung Geflüchteter in der Nachbarschaft. Problematisch finden viele jedoch die ungleiche Verteilung sowie fehlenden Wohnraum.
Seit Februar 2022 sind in Deutschland mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete angekommen. Doch auch aus anderen Ländern kommen Schutzsuchende hierher. Wir wollten wissen: Wie klappt die Unterbringung? Wer trägt die politische Verantwortung dafür? Und welche Vorbehalte oder persönliche Engagements gibt es in der #NDRfragt-Community?
Alle Ergebnisse dieser nicht repräsentativen Umfrage von #NDRfragt gibt es hier als PDF zum Herunterladen.
Mehrheit findet Unterbringung in der Nachbarschaft unproblematisch
Eine große Mehrheit von 70 Prozent der Befragten gibt an, nichts gegen Geflüchtete in ihrer Nachbarschaft zu haben. 17 Prozent möchten geflüchtete Menschen eher nicht als Nachbarn haben, zwölf Prozent der Umfrage-Teilnehmenden gar nicht. Die hohe Akzeptanz von Geflüchteten als Nachbarn ist dabei unabhängig vom Alter oder Geschlecht der Befragten. Menschen aus der Stadt und vom Land haben gleichermaßen wenig Berührungsängste.
Vorbehalte gegen Geflüchtete in MV größer
Während in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen durchschnittlich 28 Prozent der Befragten Geflüchtete nicht oder eher nicht als Nachbarn haben möchten, sieht es in Mecklenburg-Vorpommern etwas anders aus. Dort lehnen 39 Prozent der Befragten geflüchtete Nachbarn ab. Sie beklagen vor allem die mangelnde Betreuung Geflüchteter und die fehlende Transparenz bei deren Verteilung.
"Das gesamte System der Zuwanderung, der Unterbringung und der Finanzierung wird über kurz oder lang scheitern. Wie es zur Zeit läuft, ob bundesweit oder kommunal, ist nicht mehr tragbar und der Bevölkerung auch nicht mehr zu vermitteln." #NDRfragt-Teilnehmer Olaf (58) aus Mecklenburg-Vorpommern
Ob die Befragten in der Stadt oder auf Land leben, macht hingegen zwischen Ost und West keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Haltung gegenüber Geflüchteten. Wie die Umfrage-Teilnehmenden aus Ihrem Gebiet geantwortet haben, sehen Sie in der Karte (ungewichtete Ergebnisse).
Große Kritik an zu wenig öffentlich gefördertem Wohnraum
Knapp die Hälfte aller Umfrage-Teilnehmenden bescheinigt ihrer Stadt oder Gemeinde, Geflüchtete vor Ort gut unterzubringen. Gut ein Viertel bewertet jedoch die Unterbringung als eher schlecht. Als problematisch wird hier beispielsweise die provisorische Unterbringung in Zelten, Containern oder Turnhallen gesehen. Größter Kritikpunkt ist daher, dass es nicht überall genügend öffentlich geförderten Wohnraum gibt. 80 Prozent der Befragten bezeichnet dies als problematisch, so wie diese Teilnehmerin aus Hamburg:
"Die Unterbringung in Sammelunterkünften und die lange Verweildauer dort ist nicht gut. Die Menschen haben dort keine Privatsphäre, was aber dringend notwendig ist, gerade auch im Hinblick auf die Fluchterfahrungen." #NDRfragt-Teilnehmerin Silke (56) aus Hamburg
Auch die Verteilung Geflüchteter auf die Landkreise im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße steht in der Kritik. Mehr als zwei Drittel empfinden diese als ungleich.
Doch für die gleichmäßige Verteilung und damit einhergehend die Schaffung von Wohnraum benötigen Städte, Kommunen und Gemeinden zusätzliche finanzielle Mittel. Die Bundesländer konkretisierten Mitte März auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten in Berlin bereits ihre Forderung nach einer stärkeren finanziellen Unterstützung des Bundes für die Aufnahme Geflüchteter. Knapp die Hälfte der #NDRfragt-Teilnehmenden sieht die Verwendung öffentlicher Gelder als gerechtfertigt.
Politische Verantwortung klar beim Bund
Bei der Frage, wo die politische Verantwortung bei der Unterbringung Geflüchteter liegt, sieht die eindeutige Mehrheit der Befragten - unabhängig von Alter und Geschlecht - den Bund. Lediglich acht Prozent meinen, die Kommunen seien verantwortlich.
"Ich finde es für den Bund sehr beschämend, alles den Ländern zu überlassen. Es ist m. E. Bundesangelegenheit, alles Notwendige zu tun, dass die Landkreise den Flüchtlingen die Gelegenheit bieten können, um eine gute Integration zu ermöglichen, wie zum Beispiel Kita, Wohnungen/Zimmer in Pensionen, Hotels, Reha-Einrichtungen, sofortige Sprachkurse, Schulen, Praktika usw." #NDRfragt-Teilnehmerin Ulrike (66) aus Niedersachsen
Auch bei dieser Frage zeigt sich ein Ost-West-Gefälle. Während 71 Prozent der Befragten aus Mecklenburg-Vorpommern der Meinung sind, der Bund trage die Verantwortung, sehen das beispielsweise in Hamburg nur 57 Prozent so.
Zunehmende Anfeindungen gegenüber Geflüchteten
Mit der steigenden Zahl an Schutzsuchenden, die nach Deutschland kommen, ergeben sich nicht nur Fragen nach der politischen Verantwortung bei der Verteilung und Unterbringung. Im Fokus steht auch der Umgang mit ihnen innerhalb der Gesellschaft. Nicht überall sind Geflüchtete willkommen - Vorurteile, Hetze und Gewalt nehmen zu. Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise in Niedersachsen 15 Angriffe auf Geflüchteten-Unterkünfte, im Vorjahr waren es vier. Der Städte- und Gemeindebund warnt vor Protesten gegen neue Unterkünfte für Geflüchtete. Ende Februar eskalierte der Protest gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Greifswald. Die Mehrheit in der #NDRfragt-Community erachtet die Zunahme von Anfeindungen gegen Geflüchtete allgemein als problematisch.
"Immer mehr Bewohner äußern sich fremdenfeindlich, obwohl es keinerlei Zwischenfälle gibt. Es scheint als sei die lebensbedrohliche Not anderer keine real existierende Not." #NDRfragt-Teilnehmerin Anne (42) aus Mecklenburg-Vorpommern
Wenig Engagement bei der Aufnahme Geflüchteter
Damit Gewalt erst gar nicht entsteht, müssten im ersten Schritt Ängste und Vorurteile abgebaut werden. Begegnungen, Gespräche und persönliches Engagement spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Mehrheit der Umfrage-Teilnehmenden beantwortet jedoch die Frage, ob sie sich bei der Aufnahme von Geflüchteten engagieren, mit "Nein". Nur zwölf Prozent bejahen das. Wer sich engagiert, tut dies hauptsächlich mit Geld- oder Sachspenden, innerhalb des eigenen Berufes oder durch die Aufnahme von Geflüchteten im eigenen Haushalt. Ein Prozent der #NDRfragt-Community gibt an, sich gegen die Aufnahme zu engagieren, meist in Form von Demonstrationen und Unterschriftenaktionen oder durch Kontaktaufnahme mit Politikerinnen und Politikern.
Obwohl die Mehrheit angibt, sich nicht persönlich zu engagieren, äußern viele Befragte - so wie Christopher aus Schleswig-Holstein - ihre Unzufriedenheit mit der Integration von Geflüchteten.
"Es sollte auch unbedingt etwas an unserer Integrationspolitik gearbeitet werden. Was ich so mitbekommen habe, wird es Geflüchteten teilweise sehr schwer gemacht sich hier zu integrieren." #NDRfragt-Teilnehmer Christopher (39) aus Schleswig-Holstein
Nachholbedarf sieht unsere Community vor allem bei der Unterbringung allgemein, aber auch bei der Teilhabe Geflüchteter am öffentlichen Leben.
Fluchtgrund entscheidet über Akzeptanz
Die Bereitschaft Geflüchtete aufzunehmen, hängt von den Gründen ab, wegen der sie nach Deutschland kommen. Für die Mehrheit der Befragten sollten künftig weniger Menschen aufgenommen werden, die aus wirtschaftlichen Gründen, aufgrund von Armut oder den Folgen des Klimawandels nach Deutschland flüchten. Gut jeder Fünfte spricht sich dafür aus, künftig mehr Menschen aus Kriegsgebieten aufzunehmen. Knapp jeder Dritte befürwortet die Aufnahme von mehr Geflüchteten, die aufgrund religiöser, politischer oder sexueller Orientierung in ihrem Heimatland verfolgt werden.
Viele Mitglieder der #NDRfragt-Community haben in der Umfrage ihre Gedanken und Meinungen zum Thema Geflüchtete allgemein sowie deren Unterbringung in ihrer Nachbarschaft aufgeschrieben. Hier eine kleine Auswahl weiterer Stimmen, die uns erreicht haben:
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde die Formulierung "freie Wohnortwahl für Geflüchtete aus der Ukraine" verwendet. Diese Formulierung ist irreführend. Der Absatz wurde dementsprechend entfernt. Richtig ist: Geflüchtete aus der Ukraine durchlaufen kein Asylverfahren. Sie beantragen nach § 24 Aufenthaltsgesetz einen Aufenthaltstitel auf Zeit. Nach Absatz 5 dieses Gesetzes haben ukrainische Geflüchtete keinen Anspruch auf eine freie Wahl ihres Wohnortes. Eine freie Wohnortwahl trifft laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur auf jene Geflüchtete aus der Ukraine zu, die für ihre Versorgung zunächst selbst aufkommen können, weil sie zum Beispiel bei Freunden oder Verwandten wohnen.
Die Umfragen von #NDRfragt sind zwar nicht repräsentativ, stehen aber für die Meinungen einer großen Zahl von Norddeutschen. Wir gewichten die Antworten statistisch, damit #NDRfragt so gut wie möglich die Bevölkerungsgruppen in Norddeutschland widerspiegelt.
Wachsende #NDRfragt-Gemeinschaft mit gut 23.000 Norddeutschen
Die NDR Umfrage-Gemeinschaft #NDRfragt gibt es seit Ende Oktober 2022. Mittlerweile haben sich gut 23.000 Norddeutsche angemeldet. #NDRfragt ist das Meinungsbarometer für den Norden. Wer noch nicht dabei ist, aber mitmachen will, kann sich registrieren und an den Umfragen teilnehmen. Mitglied kann werden, wer in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg oder Bremen wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist.