"Für die Demokratie eine gute Sache"
Das #NDRfragt-Team wird vom sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut GESIS beraten. Im Interview erzählen die Experten Sven Stadtmüller und Matthias Sand, auf welche Umfrageergebnisse sie besonders gespannt sind.
#NDRfragt ist die Umfrageplattform des Norddeutschen Rundfunks. Die #NDRfragt-Community beantwortet regelmäßig Umfragen zu aktuellen und gesellschaftlich wichtigen Themen. Der NDR berichtet über die Ergebnisse und holt so die Meinung der Norddeutschen ins Programm. Das GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften berät das #NDRfragt-Team dabei, Umfragen richtig aufzusetzen und auszuwerten. Zum vierköpfigen Beratungsteam gehören auch die Wissenschaftler Sven Stadtmüller und Matthias Sand.
Warum ist ein Projekt wie #NDRfragt wichtig?
Sven Stadtmüller: "Umfragen sind eine Möglichkeit, die eigene Meinung und Interessen ausdrücken zu können. Teil der #NDRfragt-Community zu sein, heißt auch, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Dadurch, dass der NDR dann über die Themen aus den Umfragen im Programm berichtet und damit ein großes Publikum erreicht, merken die Menschen: Sie werden gehört, wenn sie bei #NDRfragt mitmachen. Das ist für die Demokratie eine gute Sache."
Matthias Sand: "Es gibt immer wichtige Themen, die die Menschen bewegen. Die Wissenschaft kann diese oft nicht zeitnah aufgreifen, da sie zu lange braucht, um diese Meinungen und Haltungen etwa in Forschungsumfragen zu erheben und dadurch in Form von Daten erforschbar zu machen. Daher: Je früher so etwas wie #NDRfragt kommt, desto besser."
GESIS arbeitet normalerweise vor allem mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Was reizt Sie daran, #NDRfragt zu beraten?
Sand: “Mich reizt vor allem die Frequenz der Umfragen bei #NDRfragt. Bei einer wissenschaftlichen Befragung vergehen vom Sammeln bis zur Veröffentlichung der Daten ungefähr zwei Jahre. Die Wissenschaft misst also vor allem langfristige Einstellungen in der Gesellschaft, die teilweise sogar schon veraltet sind zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Bei #NDRfragt sind wir am Puls der Zeit, und die Ergebnisse werden direkt im Programm des NDR kommuniziert, das finde ich sehr spannend."
Stadtmüller: “Journalismus tickt anders als Wissenschaft. Medien wie der NDR wollen wissen, was draußen in der Welt gerade passiert. Wir von GESIS müssen mit unserer Beratung für #NDRfragt mit diesem Tempo Schritt halten. Das heißt zum Beispiel, dass zwischen den einzelnen Befragungen nur wenig Zeit vergeht und wir kurzfristig angefragt werden, nochmal über einen Fragebogen zu gucken. Das kann herausfordernd sein, da sich die journalistische und die wissenschaftliche Perspektive auch mal beißen können. Insgesamt sind wir aber froh, dass wir mit #NDRfragt auch die journalistische Herangehensweise kennenlernen."
Die Ergebnisse von #NDRfragt sind nicht "repräsentativ" für Norddeutschland, weil die Umfrage-Community sich anders zusammensetzt als die Bevölkerung. Wie aussagekräftig können die Ergebnisse überhaupt sein?
Sand: "Die Ergebnisse können trotzdem etwas aussagen. Je mehr Menschen an den #NDRfragt-Umfragen teilnehmen, desto höher ist die Aussagekraft der Ergebnisse. Außerdem werden die Antworten in der Auswertung 'gewichtet': Wenn bei den Umfragen zum Beispiel vor allem ältere Personen teilnehmen, werden die Antworten von Jüngeren, die in der Umfrage unterrepräsentiert sind, bei der Auswertung so gezählt, dass sie stärker ins Gewicht fallen, so dass es insgesamt der Verteilung von Jung und Alt in der Bevölkerung entspricht. Eine Gewichtung der Antworten macht eine Stichprobe nicht automatisch repräsentativ, kann aber der Schätzung helfen."
Gibt es Fragen, bei deren Antworten Sie besonders gespannt sind?
Stadtmüller: "Ja, zum Beispiel zu Fragen, bei denen soziale Erwünschtheit eine Rolle spielt. Es geht in einer der Eröffnungs-Befragungen unter anderem um Verzicht. Also darum, ob man bereit sei, sich persönlich einzuschränken, weniger Auto zu fahren oder weniger zu heizen. Soziale Erwünschtheit hieße hier, dass Befragte zwar vielleicht ungern verzichten, das aber in der Befragung nicht zugeben, um sich selbst in ein günstiges Licht zu rücken. Das ist ein zentrales Problem in vielen Umfragen. Ich bin also sehr gespannt, wie hoch die Quote derjenigen ausfallen wird, die angeben, in essentiellen Lebensbereichen Verzicht zu üben. Ob sie dies auch wirklich tun, und wie hoch die Abweichung zwischen angegebenem und tatsächlichem Verhalten ist, wäre besonders spannend, bekommen wir aber leider nicht heraus. Da stoßen Umfragen an ihre Grenzen."
Lisa Göllert aus dem #NDRfragt-Team hat mit den GESIS-Forschern Sven Stadtmüller und Matthias Sand gesprochen.