Urinale für Frauen: Die Kieler Woche ist erst der Anfang
Die pinken Lapees sorgen in Kiel für viel Gesprächsstoff. Doch auch wenn es erst einmal gedankliche Überwindung kostet: Urinale für Frauen im öffentlichen Raum sind ein Thema, das anzugehen sich lohnt.
Hose runter, hinhocken, laufen lassen, abschütteln, Hose hoch, rausgehen. So einfach kann der Toilettengang während der Kieler Woche in diesem Jahr für Frauen sein. Denn zum ersten Mal gibt es an acht Stellen in der Stadt Damen-Urinale. Doch die Meinungen dazu gehen stark auseinander. Zum Anschauen kommen viele vorbei. Die Hosen runter lassen hingegen nicht so viele. "Wenn sich jemand davorstellt, geht das schon", meint eine Passantin nach einem Rundgang um das Urinal. "Ne, ich will meine Privatsphäre", sagt eine andere. "Höhere Seitenwände wären gut." "Ich bin sehr begeistert, finde ich sehr gut", findet die nächste. Für Gesprächsstoff sorgt Lapee in jedem Fall. Das Personal an den Toilettenanlagen gibt an, dass die Urinale durchaus genutzt werden. "Sobald die Schlange lang ist, wird das Frauen-Urinal schon angenommen, also eher von jüngeren Frauen."
Ein Urinal ist für Frauen ein ungewohnter Gedanke
Zugegeben: Der Gedanke, als Frau ein Urinal zu benutzen, ist für viele erst einmal ungewohnt. Doch denkt man die Thematik weiter, machen Damen-Urinale mehr und mehr Sinn. "Das ist super, dass das entstanden ist", kommentiert Bettina Möllring, Professorin für Industrie-Design an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Sie beschäftigt sich schon seit fast vierzig Jahren mit Pissoires für Frauen, hat selbst einige entworfen. Denn viele Frauen setzen sich auf öffentlichen Toiletten ohnehin nicht hin, sondern nehmen eine hockende Haltung ein, um möglichst wenig Berührungspunkte mit der Schüssel zu haben. Das genau ist auch die Idee hinter dem dänischen Design Lapee.
"Freiluft-Feeling. Bevor ich bei der Toilette etliche vor mir habe, gehe ich lieber zum Urinal." Lapee-Nutzerin auf der Kieler Woche
Schnell urinieren, ohne etwas zu berühren
Gina Perier hat das Lapee-Design mitentwickelt. Die Idee dazu kam ihr, als sie selbst auf einem Festival in Dänemark arbeitete. Wann immer sie auf die Toilette musste, habe sie der Gedanke daran gestresst, wie und wo sie hingehen könne. "Vor den oft schmutzigen Toiletten waren lange Schlangen", erzählt Perier. Die einzige Ausweichmöglichkeit sei gewesen, an einen Zaun zu pinkeln. Vor allen anderen. "Viele machen das, weil sie keine Wahl haben. Und andere Menschen fotografieren das auch noch. Es ist sehr unbequem und nicht akzeptabel." Die perfekte Lösung für sie wäre ein Ort gewesen, wo sie schnell urinieren kann, ohne etwas zu berühren.
Sie begann Urinale für Männer genauer zu betrachten und arbeitete zwei wesentliche Merkmale heraus: Sie sind praktisch und effizient, ohne viel Komfort. Lapee ist deshalb sehr offen entworfen. So soll der Toilettengang hygienischer sein, berührungsfrei und sehr effizient. Denn andere Aktivitäten sind in den kleinen Kabinen kaum möglich. Dazu kommt für Perier der Sicherheitsaspekt: Niemand kann einem darin auflauern, dorthin unbemerkt folgen und Frau kann nicht in der Kabine stecken bleiben.
Dieses Gefühl, sich hinzuhocken, aufzustehen und jeder weiß, was du da gemacht hast ... Nee ..." Lapee-Nutzerin Kieler Woche
Lapee ist nur ein Übergang
Das Design von Lapee, das aktuell für eine Woche in Kiel steht, ist für Bettine Möllring ein typisches Festival-Design. "Das kann nur ein Übergang sein", spricht sie allen, die die mangelnde Privatsphäre anprangern, beruhigend zu. Wie bei Autos, bei denen es unzählige verschiedene Modelle gibt, könne es auch bei Urinalen verschiedene Umsetzungsformen geben. Für jeden Pinkeltyp einen. Nur dass es keine Möglichkeit gibt, sich nach der Nutzung die Hände zu waschen, ist für Möllring bei Lapee ein Minuspunkt. Besonders dann, wenn Frauen den Toilettengang nutzen wollen, ihr Menstruationsprodukt zu wechseln.
Frauen-Urinale bereits am Ende der Industrialisierung
Urinale für Frauen sind tatsächlich keine neue Entwicklung. Bereits als die Frauen in der Zeit der Industrialisierung anfingen zu arbeiten, gab es erste entsprechende Einrichtungen. "Die Arbeitgeber haben eben gemerkt, wenn die Frauen irgendwie gut auf die Toilette gehen können, dann geht es schneller. Und dann sind die auch gesünder und so weiter", erklärt Möllring. In ihrer Dissertation 2003 hat sie sich eingehend mit der Geschichte der Damen-Urinale befasst. "Und es gibt sehr, sehr schöne Beispiele aus sehr vielen unterschiedlichen Ländern, wo sehr konkret, sehr unterschiedliche Entwürfe entstanden sind. Und die sind umgesetzt worden und wurden installiert." Doch all das habe sich im halböffentlichen Bereich abgespielt - auf dem Hoheitsgebiet der Arbeitgeber.
"Und wenn wir jetzt aber in den öffentlichen Raum gehen, ist die Sache eben völlig anders." Für Männer gab es erst Plumpsklos und später Pissoires, um Wildpinkeln einen Riegel vorzuschieben. Lösungen für Frauen gab es nicht. "Da wurde heiß gekämpft und heiß geredet. Aber es gibt ganz viele Beispiele, dass dann eben am Ende ein Mann das Machtwort gesprochen hat. Und dann war es entweder zu teuer oder die Frauen sollen sich gar nicht im öffentlichen Raum aufhalten." Mit anderen Worten: Frauen brauchen keine öffentlichen Toiletten.
"Das ist wie in den Busch zu gehen, nur erlaubt und sicherer." Lapee-Nutzerin Kieler Woche
Innovationen für Tabuthemen brauchen Zeit
"Es braucht Zeit Innovationen, die das große Tabu Toilette betreffen, zu integrieren", fasst Designerin Gina Perier das Problem mit den Urinalen zusammen. Lapee sei deshalb ein Produkt, an dem sich die Geister scheiden und einige provoziere, so Perier weiter. Es sei niemand gezwungen Urinale zu benutzen und es ginge nicht darum, Toiletten zu ersetzen. "Wir wollen eine schnelle, berührungsfreie Alternative bieten, einfach wie Urinale für Männer".
"Das ganze Ding ist halt wirklich sehr komplex", stimmt Möllring zu. "Wir reden hier ja auch von sehr intimen Dingen." Es gehe um Ausscheidungen, Intimität, Scham und mehr. "Wir haben drei, vier wirklich große, sehr große Steine, die da irgendwie aus dem Weg geräumt werden müssen." Und obwohl sie sich schon so lange mit der Thematik beschäftigt und es so wenig Fortschritt gibt, will Bettina Möllring dranbleiben. "Für mich ist es wirklich auch eine Passion, weil ich das irgendwie ungerecht finde", beschreibt Möllring ihre Beweggründe. Zwischen männlichen und weiblichen Körpern gebe es nun einmal Unterschiede. Eine Gleichheit könne da nicht hergestellt werden - gleiche Bedingungen hingegen schon. Was es dafür brauche? "Geld", sagt Möllring und lacht. "Und Männer, die sich auch für das Thema einsetzen."
Gewohnheit durch regelmäßige Nutzung
Zugegeben: Der Gedanke, als Frau ein Urinal zu benutzen, ist für viele erst einmal ungewohnt. Doch gilt das nicht für alles, das man noch nicht kennt? Das dänische Design auf der Kieler Woche mag nicht jederfraus Geschmack treffen. Doch Urinale für Frauen aufgrund eines Entwurfs abzulehnen, ist übereilt. Am Ende bringt erst die regelmäßige Nutzung die Gewohnheit, die es braucht, um neues zu akzeptieren. Und wie Wasserklosetts sind Urinale für Frauen in einigen Jahren vielleicht gar nicht mehr aus dem öffentlichen Raum wegzudenken.