Wie gerät die NS-Zeit für Schüler nicht in Vergessenheit?
Am 27. Januar erinnert die Welt jährlich an die Holocaust-Opfer: Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit. Doch reicht das Gedenken an die NS-Zeit in Schulen? Schüler in SH sagen: Nein.
Passend zum Holocaust-Gedenktag hat die Jewish Claims Conference, ein Zusammenschluss jüdischer Organisationen, eine Studie zum Gedenken an das nationalsozialistische dritte Reich veröffentlicht. Und dabei kommt raus: Jeder zehnte junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren in Deutschland kann nicht sagen, was die Begriffe Holocaust und Schoah bedeuten. Rund 40 Prozent der Befragten wissen außerdem nicht, dass schätzungsweise sechs Millionen Juden im Rahmen des Holocaust ermordet wurden. Liegt es an fehlender Bildungsarbeit in den Schulen?
Schüler: Ohne KZ-Besuch gerät vieles in Vergessenheit
Geht es nach der Landesschülervertretung der berufsbildenden Schulen in Schleswig-Holstein, dann fehlt zunehmend die Praxis. Sie fordert deshalb in einer Pressemitteilung, dass "jede Schülerin und jeder Schüler in Schleswig-Holstein während seiner Schulzeit wenigstens ein Mal ein Konzentrationslager besucht haben muss." So eine Pflicht gibt es bislang nur in Bayern und im Saarland, Hamburg denkt aktuell darüber nach. Der Sprecher der Landesschülervertretung, Elias Görth, wünscht sich so eine Pflicht auch für Schleswig-Holstein, denn seiner Meinung nach kann kein theoretischer Unterricht einen Besuch in einer Gedenkstätte ersetzen.
"Reisen in Konzentrationslager gibt es für viele Schülerinnen und Schüler leider nicht mehr. Das folgt so ein bisschen dem Trend, den wir auch wahrnehmen in der Gesellschaft, dass die Erinnerungskultur vielfach in Vergessenheit gerät. Und das, glaube ich, ist etwas, was wir uns momentan nicht leisten können." Elias Görth, Landesschülersprecher der berufsbildenenen Schulen in SH
Geld für Gedenkstätten reicht für eine Pflicht nicht aus
Der Landesbeauftragte für politische Bildung in Schleswig-Holstein, Christian Meyer-Heidemann, findet - anlässlich der Studie der Jewish Claims Conference - die Wissensdefizite bei jungen Menschen bezüglich des Holocausts besorgniserregend: "Vor allem vor dem Hintergrund, dass die letzten Zeitzeugen verstummen. Umso wichtiger sind darum auch die Gedenkstätten als authentische Orte. Denn selbst wenn die Menschen gehen, die Orte bleiben."
Er spricht sich aber gegen eine Pflicht für KZ-Besuche aus, weil die Gedenkstätten zunächst mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden müssten: "Sie sind nach wie vor prekär aufgestellt, die könnten das personell gar nicht leisten, wenn jetzt eine Pflicht käme", betont Meyer-Heidemann. Auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) setzt auch Freiwilligkeit: "Unser Ziel ist es, dass jeder junge Mensch in Schleswig-Holstein in seiner Schulzeit eine Gedenkstätte besucht. Das soll aber nicht nur als isolierte Pflichtveranstaltung geschehen, sondern mit entsprechender Vor- und Nachbereitung eingebettet in den Unterricht erfolgen."
Schulfahrten zu Gedenkstätten und Erinnerungsorten werden gefördert
Wenn Schulklassen, Lehrkräfte oder auch Jugendgruppen Interesse an einem Ausflug in eine Gedenkstätte in Schleswig-Holstein haben, bekommen sie Unterstützung von der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten (BGSH). Dort werden 80 Prozent der Fahrtkosten bei Exkursionen mit Gruppen von Jugendlichen gefördert. Das gilt ausschließlich für Fahrten innerhalb Schleswig-Holsteins, seit dem Schuljahr 2024/25 fördert das Land außerdem Schulfahrten zu Gedenkstätten und Erinnerungsorten, die nicht durch die Bürgerstiftung bezuschusst werden, weil sie zum Beispiel in Hamburg liegen.
Bürgerstiftung: Besuch im KZ schützt nicht vor Populismus
Die BGSH-Vorstandsvorsitzende Marlies Fritzen betont, dass die Nachfrage unverändert hoch sei. Im vergangenen Jahr sei der Förderrahmen erneut komplett ausgeschöpft worden. Demnach waren es 36 Fahrten und 24 Schulen, die die Förderung in Anspruch genommen haben. "Das freut uns, und das bedienen wir und unterstützen wir auch sehr gerne", betont Fritzen. Einen verpflichtenden Besuch sieht sie hingegen kritisch. Aus ihrer Sicht ist das nicht die Lösung, um Menschen gegen Rechtsextremismus und Populismus zu sensibilisieren.
"Wer glaubt, dass ein Pflichtbesuch gegen rechtsradikale Tendenzen oder Überzeugungen immunisiert, der irrt, glaube ich. Wir sind dafür, dass diese Besuche freiwillig stattfinden - und zwar im Rahmen eines eingeordneten Unterrichts in der Schule. Wir glauben, dass wir damit das Ziel, Menschen für diese schwierige Frage zu sensibilisieren, viel eher erreichen können." Marlies Fritzen, Vorstandsvorsitzende Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten
Der 20-jährige Elias Görth besucht das RBZ Kiel und war selbst noch nie in einem ehemaligen Konzentrationslager. "Früher gab es das hier an meiner Schule regelmäßig, seit einigen Jahren gar nicht mehr." Bei allem für und wider beim Thema Erinnerungskultur ist ihm eine Sache wichtig: "Ich glaube, dass wir alle als Deutsche eine Pflicht haben, uns unserer Geschichte bewusst zu werden, immer wieder jeden Tag aufs Neue."