Wie aus Flüchtlingen Fachkräfte werden können
Die Wirtschaft in Deutschland boomt, die Auftragsbücher der meisten Handwerker sind voll. Viele Betriebe suchen deshalb händeringend Fachkräfte. Allein 15.700 Stellen für Elektrotechniker sind zurzeit unbesetzt. Gleichzeitig suchen immer mehr Flüchtlinge Arbeit. Da liegt es nahe, Flüchtlinge auszubilden. Ein Pilotprojekt aus Lübeck kann dabei als Vorbild dienen, wie ein Beitrag aus der Reihe NDR Info Perspektiven zeigt.
Khaled Hejaizi ist Teilnehmer des Integrationsprojekts Elektrotechnik, er sitzt seit zehn Minuten hochkonzentriert über eine sogenannte Schutzschaltung gebeugt. Der 25-jährige Syrer steckt schwarze Kabel in Buchsen ein - und wieder um. Noch funktioniert die Abschaltung nicht, sagt er: "Ich habe das schon fünf Mal gemacht und immer war alles in Ordnung, aber diesmal habe ich Probleme. Vielleicht kann mir Herr Thomas helfen."
Herr Thomas ist einer von Khaled Hejaizis Lehrern in dem Lübecker Projekt. In den Räumen einer Berufsschule lernen 18 Flüchtlinge seit einem Jahr Begriffe wie Steuerungskreis, Bimetalle und Selbsthaltekontakt. Zu Beginn waren sie noch 20 Schüler, zwei haben aber früh abgebrochen.
Über das Praktikum zum Ausbildungsvertrag
Khaled Hejaizi ist vor zwei Jahren mit seiner Familie nach Lübeck gekommen, damals sprach er noch kein Wort Deutsch. Im vergangenen Jahr hat er bei einer Firma immer mal wieder als Praktikant gearbeitet. Im Herbst kann er dort nun seine Ausbildung zum Elektrotechniker beginnen. In Syrien war der zweifache Vater Buchhalter, aber Elektrik war schon immer sein Hobby.
"Man bekommt viel zurück"
Die jungen Männer seien sehr motiviert, erzählt Helmut Braasch, der gerade mit einem Schüler die Zeichnung an der Tafel noch einmal durchgeht. Der 72-Jährige ist pensionierter Berufsschullehrer und hat das Projekt gegründet. Finanziert wird es durch Stiftungen und die Elektro-Innung. Manchmal, erzählt Braasch, habe er sich während des vergangenen Jahres wie ein Vater für die Flüchtlinge gefühlt: "Es war schon viel Arbeit, das habe ich vorher gar nicht so erwartet. Es gibt viele soziale Probleme. Auf der anderen Seite bekommt man sehr viel zurück. Es ist einfach ein schönes Gefühl, dass man einigen Menschen die Chance gegeben hat, eine neue Lebensperspektive zu finden."
14 von 18 Teilnehmer haben mittlerweile einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Braasch hatte mit ungefähr der Hälfte gerechnet: "Dass es nun 14 geschafft haben, war schon überraschend und freut uns natürlich besonders."
"Nutzt eure Chance"
Peter Bode hat gleich sechs Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz angeboten, die aus Syrien, Somalia und Afghanistan kommen. Seine Firma Habotec mit 130 Mitarbeitern macht Elektrik, Heizung, Sanitär: "Wir müssen momentan ungefähr 20 Prozent der Aufträge ablehnen, weil wir zu wenig Personal haben."
Der Markt für Fachkräfte sei leergefegt, so Bode. Deshalb müsse er ausbilden - und die sechs Männer hätten während der Praktika einen guten Eindruck gemacht: "Wir haben gesagt: Leute, das ist eine Chance für euch. Und es gibt hier ein paar Spielregeln, an die man sich halten muss. Das hat super geklappt, das muss ich sagen."
Die Fachkräfte von morgen
Ihm sei bewusst, dass die Flüchtlinge die nächsten dreieinhalb Jahre sehr intensiv betreut werden müssten: "Meiner sehr jungen Mannschaft habe ich versucht zu verklickern, dass das die Fachkräfte von morgen sind." Die sechs Flüchtlinge kamen bei den Kollegen sehr gut an, sagt Bode - und lacht: "Die wollen unseren Lehrlingen hier morgens die Lehrlingskoffer abnehmen und wollen sie tragen, weil sie stolz sind, hier arbeiten zu dürfen. Unsere Lehrlinge finden das natürlich toll, die wünschen sich mehr solche Leute, die ihnen den Koffer abnehmen."
Noch sitzt Khaled Hejaizi, der Flüchtling, der bei Peter Bode im Herbst seine Ausbildung anfangen wird, aber im Klassenzimmer vor seiner Schutzschaltung. Er strahlt - endlich funktioniert sie. Er freut sich auf die Ausbildung und auf seine Zukunft in Lübeck: "Mein Traum ist: gute Arbeit, gutes Leben und gute Laune."
Projekt wird fortgesetzt
Das Projekt wird auch im nächsten Ausbildungsjahr fortgesetzt - dann nicht mehr als private Initiative, sondern vom Land Schleswig-Holstein finanziert. Und, vielleicht gut zu wissen: Es sind noch ein paar Plätze frei.