Weltkriegsbombe unter Haus in Heikendorf? "Das wäre eine Katastrophe"
Durch alte Luftbilder kommt der Verdacht auf, dass unter einem Wohnhaus in Heikendorf eine Fliegerbombe liegen könnte - nun hat die Suche danach begonnen. Auf Familie Onur könnten hohe Kosten zukommen.
Auf den ersten Blick scheint alles normal: Ein Backsteinhaus mit großem Garten, davor ein kleiner Sandkasten und ein Stellplatz für mehrere Autos. Das Haus steht inmitten einer ruhigen Wohnsiedlung in Heikendorf (Kreis Plön), um die Mittagszeit ist nur wenig los auf den Straßen. In diesem Haus lebt seit fast vier Jahren Familie Onur.
Doch die anfängliche Idylle trügt: Denn seit über einem Jahr steht der Verdacht im Raum, dass unter dem Haus eine alte Fliegerbombe liegen könnte. Ist damit ihr Lebenstraum geplatzt?
"Ich hoffe, dass sich der Verdacht nicht bewahrheitet"
Die Familie kauft das Haus Anfang 2021, zwei Jahre lang sanieren sie es aufwendig, erzählt Vater Fatih Onur. Viel Zeit und Geld stecken sie in das Haus. Gebaut wurde es 1949, ein Anbau folgte 1981. Neuer Boden, neue Küche, neue Möbel - alles für seine Frau und seine kleine Tochter.
Als dann vor einem Jahr in der Straße Glasfaser verlegt werden soll, kommt der Schock: In einem Schreiben vom Innenministerium heißt es, auf historischen Luftaufnahmen habe der Kampfmittelräumdienst einen schwarzen Punkt an der Stelle entdeckt, wo sich heute der Anbau des Hauses von Familie Onur befindet - ein Indiz, das auf eine nicht detonierte Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg hindeuten kann. Es sei jedoch unklar, ob sich tatsächlich ein Blindgänger unter dem Haus befindet.
"Die erste Frage, die sich mir gestellt hat: Ist das gefährlich?", erzählt Onur. Er macht sich zunächst Sorgen um seine Familie. Der erste Kontakt zum Kampfmittelräumdienst beruhigt ihn jedoch: Es sei unwahrscheinlich, dass etwas passiere, so die Experten. "Ich sehe das mittlerweile pragmatisch. Wenn, dann ist die Bombe ja schon seit 80 Jahren da unten", sagt Onur.
Mieter springen ab, Einnahmen fallen weg
Fast ein Jahr geschieht dann erstmal nichts. Familie Onur bleibt in dem Haus wohnen, fühlt sich aber im Stich gelassen: Lohnt es sich, das Haus weiter zu sanieren? Kann die Bombe ohne Schäden entfernt werden? Oder muss im Zweifel alles abgerissen werden? Das lange Warten wird zur Belastungsprobe für ihre Nerven. Viele Arbeiten bleiben erst mal liegen, erzählt Onur.
Ein weiteres Problem: Damals lebt im Haus noch eine Familie zur Miete, die gerade erst wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nach Deutschland gekommen ist. "Für sie war es hart, denn sie sind erst vor Bomben geflohen", berichtet Onur. Nach dem Verdacht auf einen Blindgänger ziehen sie wieder aus, seitdem steht die Wohnung leer. Die Suche nach einem Nachmieter gestaltet sich schwierig. "Wer will etwas mieten, worunter sich eventuell eine Bombe befindet?", fragt er sich.
Es geht los: Kampfmittelräumdienst arbeitet sich langsam voran
Auf Druck von Familie Onur kommt endlich Bewegung in die Sache. Vor einigen Tagen beginnt der Kampfmittelräumdienst endlich mit der Sondierung - also dem systematischen Absuchen des Erdreichs. Mit dröhnenden Pumpen bohren sie im Keller stundenlang kleine Löcher in den Boden - bis auf eine Tiefe von etwa sechs Meter. Ob es sich tatsächlich um eine Bombe handele, könne man noch nicht sagen. "Das sehen wir erst, wenn wir die Tiefensondierung durchgeführt haben", erklärt Mirko Haack vom Kampfmittelräumdienst. Vorher sei alles reine Spekulation.
Die Arbeit des Kampfmittelräumdienstes ist mühselig. Der Betonboden mache es den Männern nicht leicht, so Haack. Sie kommen in dem engen Keller nur Stück für Stück voran. Es könnte deshalb noch lange dauern, bis sie mit ihrer Suche fertig sind, vermutet Haack. Im Zweifel müsse auch ein Statiker hinzugezogen werden, um die Standfestigkeit des Hauses zu überprüfen.
Die Suche nach der Bombe: Wer trägt die Kosten?
Wenn letztlich keine Bombe gefunden wird, zahlt das Land die bisher entstandenen Kosten. Sollte sich der Verdacht jedoch bestätigen und der Kampfmittelräumdienst findet einen Blindgänger, würden die Onurs als Grundstückseigentümer auf den Kosten für Luftbildauswertung und Sondierung sitzen bleiben. Das teilte ihnen das Innenministerium mit.
Experten schätzen, dass die Kosten für die umfangreichen Sondierungsarbeiten im fünfstelligen, im Zweifel auch sechsstelligen Bereich liegen könnten, so Onur - die Schäden am Haus noch nicht eingerechnet.
"Im sechsstelligen Bereich wäre das nicht mehr tragbar. Das ist äußerst schmerzhaft. Da müsste man über einen Abriss nachdenken - das wäre eine finanzielle Katastrophe." Fatih Onur, Hausbesitzer in Heikendorf
Was aber, wenn die Bombe gesprengt und deshalb das Haus abgerissen werden müsste? Laut Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein ist in den meisten Hausrat- und Gebäudeversicherungen die Kostenübernahme kriegsbedingter Schäden eigentlich ausgeschlossen. Alte Fliegerbomben würden dazuzählen. Man könne häufig aber trotzdem auf die Kulanz der Versicherer hoffen. Das kann Fatih Onur bestätigen: Ihm wurde von der Versicherung bereits zugesichert, dass es im Falle einer Detonation eine Entschädigung geben würde.
Land trägt nicht alle Kosten: "Ich habe dafür kein Verständnis"
Die Kosten für Entschärfung, Bergung und Beseitigung eines möglichen Blindgängers werden vom Land übernommen. Weshalb das Land jedoch nicht auch die Kosten aller vorbereitenden Maßnahmen übernimmt, ist für die Familie unklar. Auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein verweist das Innenministerium in einem Schreiben lediglich auf die bestehende Verwaltungsgebührenverordnung. Es sei geltendes Recht, dass die Grundstückseigentümer dafür aufkommen müssten.
Für die Onurs eine unbefriedigende Situation. "Ich habe dafür kein Verständnis", sagt Fatih Onur. Um doch noch etwas zu bewirken, hat die Familie einen Anwalt hinzugezogen. Nun heißt es für die Familie abwarten - ob und wann eine Bombe gefunden wird.
Was ihn ebenfalls ärgert: Als er das Haus 2021 kauft, heißt es im Verkehrsgutachten, "Informationen zu Kampfmittelablagerungen und Bombenblindgängern liegen im Altlasthinweiskataster nicht vor." Keiner macht ihn auf das erhöhte Gefahrenrisiko aufmerksam, sagt er.
Weitere Blindgänger unter Gebäuden möglich
Familie Onur ist womöglich nicht die einzige Familie, unter deren Haus ein Blindgänger liegen könnte. Laut Kampfmittelräumdienst wurden im Zweiten Weltkrieg Tausende Bomben über Schleswig-Holstein abgeworfen, viele davon detonierten nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass unter Gebäuden, die nach dem Krieg errichtet wurden, Blindgänger liegen, sei also gegeben.
Viele Bomben blieben damals unentdeckt, da die Luftaufnahmen aus dem Krieg erst Ende der 1980er Jahre vom Militär freigegeben wurden. Außerdem schreibt eine Verordnung des Landes erst seit 2012 vor, dass bei Tiefbauarbeiten in potenziell gefährdeten Gebieten diese Aufnahmen ausgewertet werden.
Und es könnte noch mehr Funde geben: Nach ersten Einschätzungen des Kampfmittelräumdienstes sind durch den voranschreitenden Glasfaserausbau im Land vermehrt Blindgänger unter der Erde gefunden worden. Konkrete Auswertungen und belastbare Zahlen für Schleswig-Holstein gebe es dazu aber noch nicht, heißt es weiter. Akute Gefahr bestehe jedoch keinesfalls.