Raus in die Wildnis: Fischotter Harvey und Hazel sind jetzt groß
Nach einem Jahr Aufzucht im Wildtier- und Artenschutzzentrum leben die Fischotter-Geschwister jetzt in freier Wildbahn. Die bedrohte Tierart hat sich in den vergangenen Jahren erholt - für Teichwirte ein Problem.
Harvey und Hazel sind jetzt "wildnistauglich", da ist sich Christian Erdmann sicher. Vor rund einem Jahr kamen die Fischotter-Geschwister in sein Wildtier- und Artenschutzzentrum in Klein Offenseth-Sparrieshoop (Kreis Pinneberg). Kurz nach ihrer Geburt hatten die beiden in Niebüll (Kreis Nordfriesland) ihre Mutter verloren. Sie ist vermutlich von einem Auto überfahren worden oder in einer Fischreuse verendet, vermutet Erdmann. Aufmerksame Spaziergänger informierten ihn. "Danach habe ich die beiden erstmal mit der Flasche großgezogen, da war Raubtiermilch und Fencheltee drin", erinnert sich Erdmann und lächelt.

Niedlich sind die kleinen Fischotter noch immer, aber mittlerweile auch richtige Raubtiere: "Letztens haben die beiden einen Bussard erlegt", erzählt Erdmann. "Der ist kurz im Gehege gelandet, um Futterreste zu fressen. Aber Harvey und Hazel sind echt schnell."
Raus in die "Wildnis" - an einem Seitenarm der Elbe ausgewildert
Da sich die beiden auch sonst prächtig entwickelt hätten, so Erdmann, konnten sie am Freitagvormittag ausgewildert werden. In zwei Transportkisten sind die beiden nach Hetlingen ins Naturschutzgebiet gebracht worden.
Leicht hatten sie es ihrem Ziehvater am Morgen jedoch nicht gemacht. Mit einem Kescher musste er sie erst durch das Gehege jagen, bevor sie nach Hetlingen transportiert werden konnten. Da verabschiedeten sich die beiden Fischotter. Er in einen Seitenarm der Elbe nach links, sie auf dem Landweg genau in die andere Richtung.
Bestand der Fischotter erholt sich
Harvey und Hazel sind nun zwei von bis zu 1.000 Fischottern in Schleswig-Holstein, die in freier Wildbahn leben. Diese Bestandszahlen hat das Umweltministerium unter anderem mithilfe von Fotofallen errechnet. Ende des 20. Jahrhunderts waren Fischotter im Land quasi ausgestorben.

Durch die Aufnahme in die Rote Liste für besonders gefährdete Tierarten und Schutzmaßnahmen wie otterfreundliche Reusen, aus denen sie sich selbst befreien können, hat sich die Fischotter-Population erholen können. "Der Zukunftstrend ist positiv und wir gehen derzeit von einer weiter zunehmenden Verbreitung des Fischotters aus", erklärt eine Sprecherin des Umweltministeriums auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein.
Fischotter - noch richtig auf der Roten Liste?
Der aktuell geschätzte Bestand sei bereits der höchste seit Beginn der Wiederbesiedlung. Nach den Kriterien der Europäischen Union zur Bewertung der Arten sei eine Gefährdung der Fischotter aktuell nicht mehr erkennbar, so das Umweltministerium weiter.
Bei der nächsten Überarbeitung der Roten Liste der Säugetiere Schleswig-Holsteins werde dann neu bewertet, ob Fischotter überhaupt noch dort gelistet werden müssen. Einen genauen Termin für diese Neubewertung gebe es aber noch nicht.
Enormer finanzieller Schaden für Teichwirte
Die Vorsitzende vom Verband der Binnenfischer und Teichwirte Schleswig-Holstein, Sabine Schwarten, ist der Meinung, dass es bereits zu viele Fischotter im Land gibt. Sie berichtet, dass an manchen Teichanlagen bis zu zehn Fischotter gleichzeitig unterwegs seien und die gezüchteten Fische fressen würden. Und weil Fischotter jeden Tag etwa ein Drittel ihres eigenen Körpergewichts an Nahrung zu sich nehmen, sei der finanzielle Schaden enorm.
Land leistet Ausgleichszahlungen - aber reichen die?
Wenn geschützte Tiere wie der Fischotter sogenannte fischwirtschaftliche Schäden verursachen, leistet das Land Schleswig-Holstein Ausgleichszahlungen. Auch bei Schäden durch beispielsweise Kormoran, Reiher und Seeadler können solche Zahlungen geltend gemacht werden.
Im vergangenen Jahr haben nach Auskunft des Landwirtschaftsministeriums elf Teichwirte solche Anträge gestellt und für Schäden durch Fischotter und Co. insgesamt knapp 150.000 Euro an Ausgleichszahlungen erhalten. Für Schäden in der Binnenfischerei zahlte das Land weitere knapp 500.000 Euro.
In den Augen von Sabine Schwarten ist das aber lange nicht genug. "Die Betriebe machen Minus. Einige lassen ihre Teiche deshalb jetzt auch Mal leer", bemängelt sie und fordert mehr Unterstützung.
Das Landwirtschaftsministerium reagiert auf Nachfrage mit Verständnis. "Der Landesregierung ist bewusst, dass sich viele Teichwirtinnen und -wirte derzeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden", heißt es schriftlich. Dafür seien neben Schäden durch Raubtiere wie Fischotter oder Seeadler auch steigende Betriebskosten und veränderte Marktbedingungen verantwortlich.
Mehr Geld für Gemeinwohlleistungen
Da Teichwirte neben der Produktion regionaler Lebensmittel auch einen Beitrag zur Artenvielfalt leisten, müssten "auch die Gemeinwohlleistungen der Teichwirtinnen und -wirte für den Naturschutz und den Wasserhaushalt in Zukunft honoriert werden", so eine Sprecherin. Hierzu stehe das Landwirtschaftsministerium mit dem zuständigen Umweltministerium im Austausch.
Schwarten reagiert darauf eher verhalten. "Die Gespräche dazu dauern mittlerweile bereits drei Jahre an und ein Betrieb nach dem anderen gibt gerade auf."
Nach Harvey und Hazel warten Papageien, Schlangen und Störche
Die Fischotter-Geschwister Harvey und Hazel wissen von all diesen Diskussionen nichts. Für sie gilt es erstmal, die neue Freiheit kennenzulernen. Und Christian Erdmann vom Wildtier- und Artenschutzzentrum hat nach der Auswilderung auch nur kurz Zeit zum Durchatmen. Denn zu Hause warten auf ihn noch weitere Otter, aber auch Papageien, Störche, Schlangen und Co. darauf, fitgemacht zu werden für die Welt da draußen - oder zumindest einen Tierpark.
