Was Sylt bewegt: Kommunalpolitik unter dem Brennglas

Stand: 12.05.2023 21:41 Uhr

Viele Probleme auf Sylt gleichen denen auf dem Festland. Nur dass auf der Insel von B wie Beherbergungskonzept bis P wie Punks vieles häufig bundesweit registriert wird. Wir haben nachgefragt, wie die CDU als stärkste Kraft und die Sylter Wählergemeinschaft als Gegenpol der etablierten Partei mit den Herausforderungen umgehen.

von Simone Mischke

Carsten Kerkamm (55) ist hauptberuflich Rechtsanwalt und Notar und seit 25 Jahren für die CDU ehrenamtlich in der Gemeindevertretung. Damals noch in der Stadt Westerland, heute in der fusionierten Gemeinde Sylt. Dahin will auch Lars Lunk von der Sylter Wählergemeinschaft (SWG): Der 49-Jährige ist Strandchef beim Tourismus-Service Kampen und seit zehn Jahren bürgerliches Mitglied in den Ausschüssen. Bei der Kommunalwahl hofft er auf den Einzug in die Gemeindevertretung. Beide, Kerkamm und Lunk, sind auf Sylt geboren. Dass die Medien sich so für ihre Heimatinsel interessieren, sehen die beiden mit gemischten Gefühlen. "Die Medaille hat natürlich zwei Seiten. Einserseits werden so auch Sponsoren auf uns aufmerksam, so dass wir Events wie den Surf Worldcup anbieten können. Andererseits werden aber auch kleine Dinge so ganz hochgespielt. Und das kann dann auch nachteilig sein", findet Kerkamm. Und Lunk zeigt weitere Probleme auf: "Einerseits muss man sich sehr gut überlegen, was man sagt. Weil gleich alles viral geht. Ich selbst bin bislang ja gut weggekommen. Aber ich kann mir vorstellen, dass sich einige deshalb lieber nicht politisch engagieren."

Wie geht es mit dem Bau von Ferienwohnungen weiter?

Ebenfalls bundesweit Thema in den Medien: Der Beschluss der Gemeinde Sylt für das sogenannte Beherbergungskonzept im März. Es soll, vereinfacht gesagt, den Bau neuer Ferienwohnungen verhindern und Dauerwohnraum für Insulaner sichern. Vorausgegangen war eine Analyse einer Beratungsfirma, die der Gemeinde Sylt ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Dauer- und Ferienwohnungen bescheinigt hatte - zu ungunsten der Dauerwohnungen. Die Empfehlung lautete, ab sofort keinen Neubau von Ferienwohnungen mehr zuzulassen. Dies umzusetzen ist aber offenbar nicht so einfach, wie es klingt. "Da hat uns der Kreisbaudirektor den Wind aus den Segeln genommen. Bis das Konzept umgesetzt ist, werden wohl zehn, zwölf Jahre vergehen. Aber wir müssen da jetzt ran, als erstes an die Flächen, für die es noch nicht mal einen Bebauungsplan gibt. Und die dann in unserem Interesse sichern."

"Man muss ja mal anfangen"

Das bedeutet unter anderem, entweder Dauerwohnraum zu sichern oder zu verhindern, dass noch mehr Ferienwohnungen entstehen. Für Kerkamm ist das Beherbergungskonzept kein Allheilmittel. "Aber man muss ja mal anfangen. Und schauen, wie sind die Strukturen in bebauten Gebieten." Diese sind zu erhalten. Das heißt dann auch: Wenn es in einem Gebiet schon 95 Prozent Ferienwohnungen gibt, dann wird es rechtlich sehr kompliziert, das endgültig abzuändern. Dennoch sind sich offenbar alle sieben Parteien in der Gemeinde Sylt einig, dass das Ja zum Beherbergungskonzept richtig war. Denn der Beschluss war einstimmig.

Gegenwind von der Bürgerinitiative "Merret reicht's"

Seit etwa drei Jahren guckt auch die Bürgerinitiative "Merret reicht's" auf die Arbeit der Kommunalpolitiker. Und kritisiert unter anderem die Baupolitik der etablierten Parteien. Es sei zu viel für Feriengäste und zu wenig für Sylter gebaut worden. Vor allem die CDU steht in der Kritik der Bürgerinitiative. Das will Kerkamm so nicht hinnehmen. Man könne die Kritik nicht an einer einzelnen Partei festmachen, sagt er. Räumt aber auch ein, dass nicht alle bereits bestehenden Instrumente zur Sicherung des Dauerwohnraums angewendet wurden. "Ja, man hat zu spät reagiert. Man hätte deutlich früher gegensteuern müssen. Aber man hat ja jetzt immerhin reagiert", sagt Kerkamm mit Blick auf das Beherbergungskonzept.

"Brauchen einen vernünftigen Umgang miteinander"

Die Kritik der Bürgerinitiative sei zu seinem gewissen Maß berechtigt, findet Lunk. Aber: "Man kann immer schreien und sagen: Alles ist doof. Aber wenn dann keine Lösungsansätze aufgezeigt werden, dann fehlt mir da ein bisschen was." Wie diese Lösungsansätze aussehen könnten? "Wir brauchen einen vernünftigen Umgang miteinander, auch in den Ausschüssen", meint Lunk. "Wenn da versucht wird, sich gegenseitig eins auszuwischen, das ist keine Art, miteinander umzugehen."

Wie verschieben sich die Machtverhältnisse auf Sylt?

In einem Punkt sind sich viele auf der Insel einig: Wenn das Ruder noch herumgerissen werden soll, muss es jetzt sein. "Ich finde es schade, dass meine Tochter und meine Enkel nicht mehr das erleben dürfen, was meine Generation und die davor erleben durfte. Dass es Diskos gab, kleine, inhabergeführte Geschäfte, Galerien. Das, was Westerland ja auch mal ausgemacht hat", erinnert sich Lunk. Für Carsten Kerkamm hat die Medaille zwei Seiten. Schon als Kind habe er die Ferienappartements bei seinen Eltern geputzt, erzählt er. "Das hat mich auch nie gestört, wir haben davon gelebt. Aber andererseits ist die Masse manchmal doch zu groß. Das ist das Gefühl vieler. Deswegen denke ich, wir brauchen ein gesundes Mittelmaß." Womit Kerkamm den Tourismus meint.

Acht Parteien stellen sich zur Wahl

Derzeit hat die CDU elf, die Sylter Wählergemeinschaft vier Sitze in der Gemeindevertretung. Statt sieben Parteien geht mit der FDP dieses Jahr noch eine achte ins Rennen. Nachdem sich ein Ortsverband vor zwei Jahren aufgelöst hatte, tritt nun ein neuer bei der Kommunalwahl an. Ob und wie sich die Machtverhältnisse innerhalb der Sylter Gemeindevertretung verschieben, das haben die rund 12.000 Wahlberechtigten selbst in der Hand.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 13.05.2023 | 19:30 Uhr

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