Nach Flucht vor Prozessbeginn: Ehemalige KZ-Sekretärin in U-Haft
Vor dem Landgericht in Itzehoe startete am Donnerstag der Prozess gegen eine mutmaßliche NS-Täterin - allerdings ohne die Angeklagte. Die war mit dem Taxi aus ihrem Pflegeheim in Quickborn verschwunden.
Um 10 Uhr sollte der Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin beginnen. Die Anklage konnte allerdings nicht verlesen werden, weil die Angeklagte nicht erschienen war. Auch in ihrem Pflegeheim in Quickborn (Kreis Pinneberg) konnten Polizisten sie nicht finden. Sie war nach Angaben des Gerichts am Morgen mit einem Taxi geflüchtet. Am frühen Nachmittag gab Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer bekannt, dass die Angeklagte gefunden wurde. Nach Informationen von NDR 90,3 konnten Polizisten die 96-Jährige in der Langenhorner Chaussee in Hamburg finden. Mit einem Zivilfahrzeug wurde die Rentnerin zum Itzehoer Landgericht gebracht. Am Abend teilte das Gericht mit, dass die Angeklagte in Untersuchungshaft muss.
Zuvor hatte das Gericht entschieden, dass der Prozess am 19. Oktober fortgesetzt werden soll - und zwar mit der Anklageverlesung. Die kann laut Gericht nur beginnen, wenn die Angeklagte anwesend ist.
Fernbleiben wurde mit Brief angekündigt
Nach Gerichtsangaben hatte die 96-Jährige in der vergangenen Woche in einem Brief angekündigt, nicht zum Prozess erscheinen zu wollen. Auf diesen Brief ist laut Milhoffer vom Gericht geantwortet worden. Der Angeklagten seien die Konsequenzen aufgeführt worden, die ein Fernbleiben nach sich ziehen würden. Im Vorfeld könne das Gericht aber nichts machen. "Bei passiven Ankündigungen sind rechtsstaatliche Maßnahmen nicht möglich", erklärte die Gerichtssprecherin. Außerdem sei aufgrund des Alters der Angeklagten und ihrer Gebrechlichkeit nicht damit zu rechnen gewesen, dass sie sich tatsächlich aktiv dem Prozess entziehen wird.
Anklage: Beihilfe zum Mord
Die 96-Jährige ist wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen angeklagt. Sie hatte 1943 bis 1945 im KZ Stutthof bei Danzig als Schreibkraft gearbeitet. Damals war sie 18 beziehungsweise 19 Jahre alt. Dort soll die Sekretärin in der Kommandantur von den Vorgängen im Lager gewusst haben. Es ist das erste Mal, dass gegen eine zivile Angestellte verhandelt werden sollte. Wegen des großen Interesses an dem Prozess hatte das Landgericht die Verhandlung in eine Halle eines Logistikunternehmens in Itzehoe verlegt.
Auschwitz-Komitee: "Unglaubliche Verachtung des Rechtsstaats"
Das Internationale Auschwitz-Komitee hat sich empört über die Flucht der Angeklagten geäußert. "Darin zeigt sich eine unglaubliche Verachtung des Rechtsstaats und auch der Überlebenden", sagte Vize-Exekutivpräsident Christoph Heubner.