Tandemclub ermöglicht Radtouren für blinde Menschen
Bei einem Tandemclub aus Pinneberg fahren seit 40 Jahren sehende und seheingeschränkte Menschen gemeinsam Rad. Ohne den Verein wäre für die Menschen ohne oder mit geringem Sehvermögen Radfahren nicht möglich, so die Betroffenen.
Eineinhalb Stunden dauert es, bis das wöchentliche Tohuwabohu vor den Touren des Tandemclubs Weiße Speiche vorbei ist und die Tandemfahrerinnen und -fahrer in die Pedale treten. Bei einigen Tandems fehlt noch Luft in den Reifen, bei anderen muss der Sattel noch richtig eingestellt werden und bei manchen hakt die Gangschaltung. Für Ina Seidel ist das Chaos an diesem Morgen auf dem Vereinsgelände mitten in einem Pinneberger Industriegebiet schon normal. In der Zeit, in der die Tandems flott gemacht werden, unterhält sie sich mit ihren Mitfahrerinnen und -fahrern und macht einen Funkgeräte-Test. Schließlich müssen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tour nachher austauschen können, wenn es Probleme, Behinderungen oder ähnliches gibt.
Die 67-Jährige ist seit zehn Jahren aktives Mitglied bei der Weißen Speiche. Sie selbst hat eine angeborene Augenkrankheit. Ihre Sehkraft liegt mittlerweile bei unter zwei Prozent. Ohne den Tandemclub könnte sie ihrem Hobby Radfahren nicht mehr nachgehen: "Ich brauch dadurch nicht mehr auf meinem Einzelrad rumzujuckeln, sondern kann mit Power Radfahren. Kann die Umwelt genießen, den Duft von den Rapsfeldern, von den Fichten, auch den Staub der Straße und das Wetter in allen Variationen wahrnehmen."
Tandemclub Weiße Speiche: Pannen und Unfälle bleiben nicht aus
Die Tour führt die 20-köpfige Gruppe heute von Pinneberg nach Hamburg-Altona, Hamburg-Blankenese und Wedel im Kreis Pinneberg wieder zurück zum Vereinsgelände. Abseits von Hauptstraßen radelt die Gruppe über Feldwege, vorbei an kleinen Seen und durch einige Parks im Hamburger Westen. Die Bedingungen sind besonders gut: Knapp 25 Grad Celsius und strahlender Sonnenschein begleiten die zehn Tandem-Gespanne auf ihrer Tour. Die ersten 20 Kilometer verlaufen reibungslos, doch dann trifft es ausgerechnet das Tandem von Ina Seidel und ihrer Vorderfrau.
Ein spitzer Stein bohrt sich in den Reifen, sodass der schlagartig platt ist. Ina Seidel gibt per Funkgerät den vor ihr fahrenden Tandems Bescheid und bittet Thomas um Unterstützung. Pannen und Unfälle sind nie komplett zu vermeiden, sagt Ina Seidel. Und bei jeder Tour seien auch genug Flick-Expertinnen und -Experten dabei, die sich im Fall der Fälle schnell um die Lösung der Probleme kümmern können.
Thomas flickt den Reifen, sodass es für Ina Seidel und die gesamte Truppe weitergehen kann. Keine zehn Meter später knallt es jedoch erneut und der Reifen platzt. Da hilft nur ein neuer Schlauch. Für den muss Tourenleiter Wolfgang aber erst einmal in den nächsten Fahrradladen. Die Warte- und Reparaturzeit nutzt der Rest der Gruppe deshalb für eine Pause. Gut eine Stunde später heißt es dann wieder: aufsatteln.
Soziale Komponente steht im Vordergrund
Im Juni feiert der Tandemclub sein 40-jähriges Bestehen. Einige der Gründungsmitglieder von den mittlerweile mehr als 200 Mitgliedern sind noch immer aktiv. Mitmachen kann jede und jeder, sagt Ina Seidel. Für sie steht neben der sportlichen auch die soziale Komponente des Tandemclubs im Vordergrund. Sie selbst ist über eine Selbsthilfegruppe auf den Verein aufmerksam geworden: "Für mich gehts vor allem um die netten Leute. Ich kann mich hier sportlich betätigen, ich mach etwas, wo meine Behinderung nicht im Vordergrund steht. Im Grunde kann ja jeder aufm Tandem sitzen. Aber ich glaub schon, dass der Verein für einige Betroffene auch eine Hilfe sein kann, weil sie dann eben merken, dass auch andere mit ihrer Seheinschränkung klar kommen."
46 Kilometer fährt die Gruppe heute und kommt nach sechs Stunden wieder auf dem Vereinsgelände in Pinneberg an. Bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen lassen die Radlerinnen und Radler die heutige Tour ausklingen.