Stutthof-Prozess: Die letzten Opfer, die noch aussagen können
Sie sind fast alle Mitte 90 oder älter. Die Opfer-Zeuginnen und Zeugen im Stutthof-Prozess. Am Dienstag wurde einer der letzten geladenen Opfer-Zeuge vor der 3. Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe gehört.
Marek Dunin-Wasowicz wird über eine Video-Schalte aus einem Warschauer Gericht zugeschaltet. Der 96-Jährige war ursprünglich der letzte der Stutthof-Überlebende, der noch bereit war und die Kraft hat, über die grauenhaften Zustände und Erlebnisse im Konzentrationslager zu berichten. Nach seiner Aussage entschied sich aber offenbar eine weitere Nebenklägerin um und ließ über ihren Nebenklagevertreter verlauten, sie wolle aussagen.
"Als Überlebender vor Gericht auszusagen, ist für die alten Menschen nicht nur ein physischer Kraftakt, sondern auch ein psychischer", sagt sein Nebenklagevertreter Rajmund Niwinski. Sein Mandant sei zwar sofort bereit gewesen auszusagen, er werde sich danach aber tagelang davon erholen müssen. "Das ist meine Erfahrung und das gilt für fast alle Überlebenden, die vor Gericht ihre Geschichte erzählen."
Einige Nebenkläger haben den Prozess nicht überlebt
Rajmund Niwinski vertritt sieben Überlebende im Stutthof-Prozess. Bislang waren nur zwei dazu bereit, sich vor Gericht zu äußern. Vor dem Verfahren waren es noch 34 Nebenklägerinnen und Nebenkläger gegen Irmgard F.. Einer ist nach Angaben der Gerichtssprecherin bereits vor der Eröffnung des Verfahrens gestorben. Vier weitere seitdem. Jetzt sind es also nur noch 29. Man müsse immer damit rechnen, dass einer im Laufe des Verfahrens krank wird oder stirbt, so Rajmund Nivinski.
Deshalb hatten die Nebenklagevertreter zu Beginn des Verfahrens auch darauf gedrängt, die Opfer-Zeuginnen und Zeugen so schnell wie möglich zu hören.
Aussagen reißen alte Wunden wieder auf
Fest steht: Ausgesagt haben bisher nur fünf. Marek Dunin-Wasowicz ist der sechste. Alle anderen haben sich gegen eine Aussage entschieden. "Warum weiß ich in vielen Fällen nicht," so Niwinski. Aber viele könnten es aufgrund ihres hohen Alters und gesundheitlicher Probleme schlicht nicht mehr. Andere fühlten sich emotional nicht dazu in der Lage. Jede Aussage reiße die alten Wunden wieder auf, könnten re-traumatisierend wirken.
Das bestätigt auch Nebenklagevertreter Christoph Rückel. Er vertritt fünf Mandantinnen und Mandanten. Zwei haben bereits ausgesagt. Zum Beispiel Josef Salomonovic. Er habe lange gezögert auszusagen, erzählt sein Anwalt. Er leide bis heute sehr unter dem, was er im KZ Stutthof erlebte. Sein Vater ist im Lager erschossen worden. Salomonovic war damals sechs Jahre alt. Christoph Rückel erzählt, dass er sogar zu ihm nach Wien gefahren sei, um ihn von der Wichtigkeit seiner Aussage zu überzeugen. Am Ende habe Salomonovic Ehefrau ihn dazu gebracht, die emotional aufwühlende Reise nach Itzehoe (Kreis Steinburg) anzutreten. Er ist bislang der einzige Zeuge, der im Gericht ausgesagt hat.
Überlebende sind die wichtigsten Zeugen überhaupt
Die Aussagen der sogenannten Opfer-Zeuginnen und -Zeugen haben einen hohen Stellenwert in der Beweisführung vor Gericht. Sie stehen gleichberechtigt neben der Aussage des sachverständigen Gutachters, der Verlesung von Dokumenten und Urkunden und dem sogenannten Augenschein. In diesem Verfahren wäre das der Besuch des Konzentrationslagers als Tatort durch die Verfahrensbeteiligten.
Die Aussagen der Überlebenden sind gleichberechtigt, aber gleichzeitig besonders wichtig, so sind die Nebenklagevertreter überzeugt. "Die Überlebenden sind die wichtigsten Zeugen überhaupt", sagt Christoph Rückel. Nur sie seien dort gewesen. Nur sie hätten wirklich erlebt, was im KZ-Stutthof passiert ist. "Was hat man durchlitten? Wie haben sich die Qualen, die sie dort erlitten haben, auf ihr weiteres Leben ausgewirkt?" Das könne das Gericht nur durch sie wirklich erfahren.
Aussagen sind für Strafmaß entscheiden
Christoph Rückel ergänzt: "Und da gibt es im Strafgesetzbuch einen, wie ich finde, sehr bedeutenden Paragrafen: Paragraf 46. Der besagt, dass bei der Beurteilung, wie hoch die Strafe zu sein hat, zu berücksichtigen ist, wie das Opfer gelitten hat, wie das Leid das Leben begleitet."
Das heißt, die Opfer sind mehr als reine Zeitzeugen. Denn, so Christoph Rückel: "Sie sind auch Tatzeugen, denn der Tatvorwurf gegen Frau F. ist ja nicht, dass Menschen irgendwo versammelt waren, sondern dass Menschen im Konzentrationslager versammelt waren, dort gelitten haben, ermordet wurden oder wegen der schlimmen Lebensbedingungen gestorben sind."
Die bisherigen Opfer-Zeugenaussagen
Josef Salomonivic war sechs Jahre alt, als sein Vater im KZ-Stutthof erschossen wurde. Zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder erlebte er mehrere Lager. Er berichtete am 7. Dezember 2022, dass für ihn das KZ Stutthof das schlimmste gewesen sei.
Die 93 Jahre alte Asia Shindelman erzählte über Video-Schalte am 14. Dezember 2021, wie SS-Bewacher sie und ihre Eltern, einen Onkel und die Großmutter im Lager Stutthof mit Peitschen und Hunden empfingen.
Abraham Koryski, heute 94 Jahre alt, berichtete dem Gericht am 15. Februar, wie er im Krematorium noch heiße, menschliche Knochen einsammeln musste, wie Wachen einen Hund auf Gefangene hetzten und dass er jeden Tag von Leichen umgeben war. Es habe von Anfang an Prügel gegeben und mehrfach habe er Hinrichtungen beobachtet. Von den Taten habe seiner Meinung nach jeder auf dem Gelände gewusst und es auch mitbekommen.
Das sind drei von fünf entscheidenden Überlebenden-Aussagen, die den Ausgang des Prozesses maßgeblich beeinflussen können. Die KZ-Überlebenden von Stutthof tragen so zur Aufklärung bei, gesellschaftlich und juristisch.